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Sarajevo

Der Grenzübertritt nach Bosnien-Herzegowina gestaltet sich recht problemlos. Während die Serben Serbiens ihre Aufgabe recht ernst nehmen, zeigen die Serben auf der bosnischen Seite wenig Interesse für die Zollformalitäten. Ein riesiges neues Zollterminal ist zwar gebaut, ist aber noch nicht bezogen, weshalb sich die Zollkontrolle mitten auf der Strasse abspielt. Dass es die bosnischen Serben nicht allzu genau nehmen mit der Grenzkontrolle (pro forma durchsuchen sie die Einkaufstasche des Busfahrers), war zu erwarten. Immerhin versucht sich die Republik Srpska (serbischer Teil Bosnien-Herzegowinas) an Serbien anzulehnen und forderte wohl nicht nur vor zehn Jahren die Unabhängigkeit oder den Anschluss an Serbien. Politisch könnte es durchaus sein, dass die Republik Srpska inoffiziell weiter solche Gedanken verfolgt. Zwischen den verschiedenen Volksgruppen in Bosnien scheint heute nur eine Einigkeit zu bestehen: kein Krieg mehr, wie mir ein Mitarbeiter der internationalen Kontrollmission (OHR) in Bosnien versichert. Gerade im Schulwesen soll dagegen das heillose Chaos herrschen, die Schulen sind streng getrennt und die Lehrmittel sollen auch heute noch die eigene Version der Geschichte betonen und die Sicht der anderen im Krieg unterdrücken. Wie auf dieser Basis ein einheitlicher Staat aufgebaut werden soll, erscheint mir schleierhaft.

Nach der Grenzkontrolle geht die Reise weiter auf einer bestens ausgebauten Strasse, die sogar durch gelbe Markierungen auf der Seite abgegrenzt ist. Die Landschaft verändert sich abrupt, während Westserbien aus einer Ebene besteht, ist Ostbosnien sehr gebirgig und erinnert durchaus an die Schweiz. Die zum See gestaute Drina grenzt an die linke Seite der Strasse, auf der rechten erheben sich schon erste Berge, die es bald zu durchqueren gilt. Der erste Schock stellt sich einige Kilometer weiter ein, rund dreissig Kilometer vom traurigerweise weltberühmten Srebrenica. Einige Häuser am Strassenrand scheinen nur wenige Tage oder Wochen zuvor beschossen worden zu sein, Ruinen oder wieder bewohnte, aber durch Granat- und Maschinengewehrschüsse zerlöcherte Behausungen „zieren“ den Weg. Dabei ist der Krieg jetzt schon seit bald zehn Jahren beendet. Ähnliche Bilder werden wir im Laufe der Fahrt immer wieder sehen, doch ist dieses erste Beispiel eines der besonders krassen. Abgesehen von Sarajevo und Mostar inklusive Umgebung. 

Die Fahrt durch die Berge des vorwiegend serbisch bewohnten Teils Bosniens gestaltet sich ansonsten als ruhig, wobei die Fahrt durch Gebiete führt, die an Voralpen, den Jura und gebirgige Teile des Schweizer Mittellandes erinnert. Vor allem kurz vor Sarajevo tauchen wieder vermehrt kriegsversehrte – oder auffallend neue, aus Backsteinen aufgebaute Häuser auf. Nach dem Überqueren einer Kuppe liegt dann das idyllische Städtchen plötzlich vor uns, auffallend die vielen Minarette, ein Zeichen, dass wir uns nun im muslimisch geprägten Teil Bosniens befinden. Als kahle Ruine ragt das ehemalige Regierungsgebäude mitten in der Stadt hervor, das in allen Nachrichtensendungen während des Krieges wieder und wieder gezeigt wurde.

Die Fahrt nach Sarajevo endet jedoch eigentlich nicht in Sarajevo. Nachdem wir die letzte im serbischen Teil liegende Stadt Pale durchfahren und auf einer Höhenstrasse Sarajevo entlang gefahren sind, biegt der Bus auf eine Seitenstrasse stadtauswärts ein und schon bald steht ein Zeichen am Strassenrand, das das Ende des Kantons Sarajevo verkündet. Nach einer doch recht weiten Fahrt erreichen wir schliesslich das Busterminal inmitten eines riesigen Neubaugebiets – dem serbischen Teil Sarajevos, den über hunderttausend Serben als Folge des Kriegs verlassen mussten. Dass der Bus von Beograd nach Sarajevo nicht ins muslimische Sarajevo führt, mag praktische Gründe haben, da die meisten Serben in den serbischen Stadtteil reisen wollen. Weshalb der Bus aber keinen Zwischenhalt im muslimischen Teil macht oder machen kann, ist sicherlich politisch bedingt. So muss der Tourist entweder einen weiteren Bus suchen – oder sich ein Taxi nehmen, das für die Fahrt in die Innenstadt fast halb so viel kostet wie die achtstündige Busfahrt.

Ein Reisebericht von 1998 erklärt den Grund für diesen Umweg, wobei es anscheinend sogar einen Tunnel um Sarajevo gegeben haben muss, wo wir immerhin die (auf bosnisch-muslimischem Gebiet liegende) Höhenstrasse befahren konnten:

„Den Zustand des bosnischen Staates fast drei Jahre nach Dayton macht eine Busfahrt vom serbisch bewohnten Bergort Pale nach Sarajevo deutlich. Der Bus fährt durch einen Tunnel um Sarajevo herum und hält erst hinter der Stadtgrenze. Den Grund erklärt uns der Busfahrer: „Transit durch die Türkei“, sagt er, auf Sarajevo zeigend. „Serbien“, sagt er, während er zur Republik Srpska zeigt, die nach dem Abkommen von Dayton bosnisches Staatsgebiet ist.“

http://www.akweb.de/ak_s/ak418/41.htm

Sarajevo ist eine hübsche Kleinstadt, idyllisch gelegen in einem engen Tal, durch das sich sicherlich ursprünglich der Fluss Miljacka schlängelte, der heute jedoch in seine Schranken gewiesen ist. Die Häuser klammern sich auf allen Seiten des Tales an den Hügeln fest, wobei es fast so scheinen könnte, als ob es aus diesem Tal keinen Abfluss gäbe. Steht man am Fluss im Stadtzentrum und lässt seinen Blick schweifen, so scheint die Stadt komplett abgeriegelt, scheinen sich die Hügel auf allen vier Seiten zu erheben. Ein Schein, der natürlich gut zur jüngsten Geschichte dieser Stadt passt und dadurch zustande kommt, dass das tatsächliche Tal sich Richtung Meer wieder verengt.

Das alte Zentrum ist gut erhalten und besticht durch Charme und eine grosse Anzahl Cevapcici-Imbissständen, die alle sehr modern ausgebaut sind. Es finden sich auch viele Verkaufsstände und –läden für Fossil-Uhren oder Schmuck jeder Art. Im Vergleich zu Beograd wähnt man sich aber in einem idyllischen Touristenort, mit dahingehend angepasster Infrastruktur. Erscheint das Stadtzentrum Beograds mondän, hat sich Sarajevo den Kleinstadtcharme erhalten können. Auffallend ist auch heute noch die Vielfältigkeit dieser Stadt. Geprägt ist das Stadtbild von Minaretten jeglicher Art und Höhe, ab und an hört man auch den Muezzin sein Vorgebet über die Dächer schmettern, doch wirkt es nie aufdringlich wie in vielen arabischen Städten. Es wirkt mehr wie ein Hintergrundteppich, der einem die Orientalität und Exklusivität dieser Ortschaft verdeutlicht. Trotz seines offensichtlich muslimischen Charakters, findet man auch katholische und orthodoxe Kirchen, sowie mehrere Synagogen. In den Strassen sieht man kaum verschleierte Frauen oder mit ausgeprägtem Bartwuchs ausgestattete Männer, vielmehr stechen die überaus freizügigen, zum Teil richtiggehend obszönen Bilder hervor, die sich bei jedem „Kiosk“ finden. Ein scheinbar besonders beliebtes Heft zeigt einen Mann, der eine Motorsäge an seinen Penis hält – ein abstossendes Bild, das mich darüber rätseln lässt, ob es sich hier um eine „erotische“ oder eine gewaltverherrlichende Zeitschrift handelt. Die Idee, mir die Zeitschrift zu kaufen, um mehr zu erfahren, kommt mir leider erst im Bus nach Mostar und dort fand ich sie beim besten Willen nicht mehr.

Erreicht man Sarajevo von Pale her, fährt man die letzten Kilometer durch eine Landschaft mit vielen versprengten Häusern, die auch heute noch in grossem Ausmass vom Krieg zeugen. Es ist die zweite Massierung von weiterhin sichtbaren Kriegsschäden und ihr wird noch eine dritte, kurz vor Mostar, folgen. Diese Beobachtung mag reiner Zufall sein, doch scheinen sich die Gebiete rund um die grössten Krisenherde (Srebrenica, Sarajevo, Mostar) am Langsamsten zu erholen. Auch in Sarajevo selbst ist der Krieg noch allgegenwärtig. So sticht der ehemalige Regierungssitz weiterhin wie ein Mahnmal ins Auge, eine komplette Ruine, wobei es erstaunt, dass dieses Gebäude, das während dem Krieg wohl am stärksten beschossen wurde, überhaupt noch steht. Im Stadtzentrum von Sarajevo sind die meisten Kriegsruinen beseitigt worden, doch ragen weiterhin viele kahle Hochhaus-Überreste in den Himmel, aus deren Fenstern inzwischen veritable Bäume wachsen.

Während man allenthalben auf Einschusslöcher stösst, scheint sich die Stadt sonst recht gut vom Krieg erholt zu haben. Sie wirkt bis auf einige wenige Bettler, wie es sie in allen Städten dieser Grösse und dieser Touristenattraktivität gibt, relativ reich. Ich hatte die Gelegenheit bei einer bosnischen Familie zu übernachten, die sich durch das Vermieten eines Zimmers ein kleines Zubrot verdient. Das Haus – in klassischer Backsteinbauweise gehalten – wirkt modern, gross, die Einrichtung würde auch in der Schweiz einen guten Eindruck machen. Die Vermieterin, eine sympathische knapp 50-jährige Bosnierin, spricht nur bosnisch, serbokroatisch, kroatoserbisch oder wie man diese Sprache auch immer nennen will. Die paar Brocken polnisch, die ich einst gelernt hatte, werden auch hier verstanden, was die grosse Ähnlichkeit aller slawischen Sprachen beweist. Die Versuche der Kroaten oder Bosnier, ihre Dialekte als eigene Sprachen auszugeben, wirken dabei je nach Sichtweise niedlich oder pathologisch.

Überhaupt ist die Unterscheidung der drei Volksgruppen für einen Aussenstehenden kaum nachvollziehbar. Das einzige klare differenzierende Merkmal ist die Religion – doch auch hier gibt es Ausnahmen. Serben sind in der Regel christlich-orthodox, Kroaten katholisch und Bosnier muslimisch. Die Serben lebten jahrhundertelang unter osmanischer, also türkischer Herrschaft, die Kroaten gehörten zum Reich der Oesterreicher und Ungarn. Während Serbien über längere Zeit ein unabhängiges Königreich bildete und die Bewohner ihre Religion grösstenteils beibehielten, konvertierten viele Einwohner Bosnien-Herzegowinas zum Islam. Diese waren ursprünglich fast ausschliesslich Serben oder Kroaten, nahmen also erst durch die Konvertierung zum Islam eine neue Identität an. Für einen Muslim in Bosnien-Herzegowina schien es während des Krieges keine Rolle zu spielen, ob seine Ahnen Kroaten oder Serben waren – Hauptsache sie waren muslimischen Glaubens.

Diese Durchmischung, die noch dadurch verkompliziert wurde, dass es natürlich unzählige Mischehen zwischen den drei Volksgruppen gab, lässt es für einen Aussenstehenden nicht nachvollziehen, weshalb und wie sich Kroaten, Serben und Bosnier besonders in Bosnien-Herzegowina bekriegen konnten.

Der Krieg in Kroatien, mit dem der ganze Jugoslawienkonflikt 1991 begann, war unvermeidbar. Kroaten hatten während des Zweiten Weltkriegs Hunderttausende von Serben vertrieben, zwangskatholisiert oder umgebracht. Als zu Beginn der Neunziger Jahre das Kroatische Nationalsymbol, die Schachbrettflagge, die auch die aktuelle offizielle Flagge ziert, überall im Land verbreitet wurde, bekamen es viele in Kroatien lebende Serben mit der Angst zu tun. Dasselbe Symbol, das für die Kroaten Unabhängigkeit bedeutet, war auch das Zeichen der Ustascha, der kroatischen Faschisten, die unzählige unglaublich brutale Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg begannen hatten. Gleichzeitig gab es schon vor Ausbruch des Krieges in den serbisch bewohnten Gebieten Kroatiens Ausschreitungen, wobei es heute wohl schwer zu rekonstruieren ist, wer damit begonnen hat. Sicher ist, dass Serben vertrieben wurden, was den Nationalisten Milosevic dazu veranlasste, die serbischen Gebiete Kroatiens beschützen zu wollen. Als Kroatien am 25. Juni 1991 seine Unabhängigkeit erklärte, war es also weniger erstaunlich, dass die von Serbien dominierte Jugoslawische Volksarmee die Serben Kroatiens beschützen wollte. Viel überraschender erscheint im Rückblick, dass die Armee diejenigen Gebiete Kroatiens räumte, die nicht von Serben bewohnte wurden. Denn die einseitige Loslösung von Jugoslawien durch einen Teilstaat war im Bundesvertrag nicht vorgesehen, die Unabhängigkeitserklärung also eindeutig illegal. Fatalerweise erreichte es vor allem die deutsche Diplomatie, Kroatien kurz nach der Unabhängigkeitserklärung anzuerkennen, was den Konflikt sicher weiter schürte. 

Auch wenn Serbien nicht unter der Herrschaft eines Nationalisten wie Milosevic gestanden hätte, wäre die Loslösung Kroatiens und Sloweniens nicht ohne Probleme vonstatten gegangen. Es ist deshalb mehr als erstaunlich, dass man in westeuropäischen Zeitungen immer wieder Berichte von den aggressiven Serben hört. Man stelle sich vor, Bayern als wirtschaftlich stärkste Republik Deutschlands erkläre seine Unabhängigkeit, weil es nicht mehr bereit ist, Ostdeutschland zu subventionieren. Die Situation in Jugoslawien war diesem Szenario nicht unähnlich, da ein wichtiger Grund für die Unabhängigkeitserklärung sowohl der Slowenen wie auch der Kroaten die wirtschaftliche Vormachtstellung war. 

Die Konflikte zwischen Serben und Kroaten innerhalb Kroatiens haben eine lange Geschichte. Das Königreich Oesterreich-Ungarn, zu dem Kroatien während Jahrhunderten gehörte, siedelte als Schutz vor den von Süden vordringenden Osmanen aus Serbien geflüchtete Serben in der Grenzregion an. In diesem Gebiet, der sogenannten Krajina, leben auch heute noch vorwiegend Serben. Da diese serbischen Wehrbauern von der oesterreichischen Verwaltung privilegiert behandelt wurden, entstanden bald Spannungen zwischen den beiden Volksgruppen, die sich dann seit 1919 im neu entstandenen Jugoslawien weiter aufluden und schliesslich im Zweiten Weltkrieg im Massaker an den Serben entluden. Wobei der Hass vieler Kroaten in der Zwischenkriegszeit noch dadurch gestärkt wurde, dass sie sich von Serben Serbiens dominiert und benachteiligt fühlten.

Sarajevo ist mit Bus und Auto gut zu erreichen. Das Erstaunen über die wenigen Zugverbindungen legt sich, sobald man den Bahnhof erreicht. Das Bahnhofsgebäude scheint verweist, heruntergekommen. Die Schalterhalle ist leer, bis auf den Informationsschalter. Die Frage nach Zugverbindungen nach Mostar wird zwar freundlich beantwortet, doch verlässt der Zug die Stadt derart in der Morgenfrühe, dass es mir ratsamer erscheint, den Bus zu nehmen. Warum aber, so frage ich mich, gibt es nur einen Zug Richtung Küste und einen Zug Richtung Zagreb täglich? Der Durchgang zum Bahnsteig gibt die Antwort. Die Unterführung ist teilweise gesperrt, das einzige was zu funktionieren scheint sind die Lautsprecher, die die wenigen Züge in ohrenbetäubender Lautstärke ankündigen. Die Perrons erscheinen wie aus einer anderen Zeit, hier sind die Kriegsschäden unmittelbarer zu sehen als in der Innenstadt, da dort zwar Ruinen stehen, diese aber durch ihre Kahlheit und offensichtliche Unbelebtheit eine gewisse psychische Distanzierung erlauben. Der Bahnhof hingegen ist in Betrieb. Vermutlich wegen fehlenden Geldes und vor allem fehlenden Rollmaterials sind nur diese wenigen Kurse unterwegs, die sich sicherlich nicht rentieren. Doch geht es hier vielmehr darum, die Normalität wieder herzustellen, dient der Bahnbetrieb wohl mehr symbolischen als wirtschaftlichen Zielen.

Auf Symbole, die an den Krieg erinnern, stösst man allenthalben. Überall in der Stadt befinden sich Plakate, die Kleidungsstücke aus Srebrenica zeigen und die Bevölkerung aufrufen, diese und ihre ursprünglichen Besitzer zu identifizieren. Es ist nun über zehn Jahre her seit diesem durch serbische Bosnier begangene schlimmste Massaker seit dem Zweiten Weltkrieg in Europa und weiterhin werden die Bewohner Bosnien-Herzegowinas täglich daran erinnert. So gut gemeint diese Kampagne ist, erscheint sie mir aber nicht unproblematisch zu sein. Gerade durch die Platzierung im öffentlichen Raum drängt sie sich Menschen auf, die – als Opfer – vielleicht einfach ihre Distanz dazu finden wollen. Schon fast komisch – und dadurch besonders tragisch – wirkt aber die häufig zu findende Kombination von diesen Plakaten mit solchen der Firma Procter & Gamble, die für ihr neustes Waschmittel wirbt. Ob dieses auch die Jacke des Srebrenica-Opfers wieder weiss wäscht? Die Banalität einer solchen Waschmittelwerbung bringt in mir das Gefühl hervor, dass damit die Opfer von Srebrenica irgendwie entehrt werden. Statt beim Betrachten der schmutzigen Jeansjacke innezuhalten und nachzudenken, bewegt mich diese Darbietung im öffentlichen Raum – Seite an Seite mit pornographischen Bildern am Kiosk oder eben dieser Waschmittelwerbung – eher dazu, auch Srebrenica als Banalität zu betrachten. Anstatt dass sich die Spannung dieses Plakats auf den Betrachter überlädt, befürchte ich, dass die Banalität des Alltags genau diese Spannung entlädt und damit auch das Geschehene in Srebrenica. 

Ein zweites Bild, das mich stark berührt hat ist das Folgende:

Dieser Junge stand an einer Kreuzung direkt vor dem ehemaligen Regierungsgebäude, das mit seiner zerstörten Kahlheit die Stadt überragt und das inmitten der ehemalig berüchtigten „Sniper-Alley“ liegt. Seine Mutter sass gleich nebenan im Schatten eines Baumes und beobachtete die Szene. Ich habe nicht wirklich verstanden, was der Grund dazu war, dass sich dieser Junge am Strassenrand aufhielt und mit seinem Spielzeuggewehr auf die Autos zielte. Ich beobachtete ihn nur von ferne und hatte das Gefühl, dass er um Geld bettelte, sobald das Licht auf rot schaltete. Die Autofahrer schienen sich nicht gross an seinem Anblick zu stören – wahrscheinlich war es für sie zu selbstverständlich. Kinder spielen auch bei uns gerne mit Spielzeuggewehren, insofern darf man die Szene vielleicht auch nicht überbewerten. Trotzdem erscheint es als krasses Symbol einer durch Gewalt zerstörten Gesellschaft, dass sich niemand an solchem stört, dass eine Mutter anscheinend nichts daran findet, dass ihr Kind „spielerisch“ versucht, Menschen umzubringen – und dies mitten in Sarajevo, direkt an der Strasse, an welcher hunderte wenn nicht sogar tausende von Menschen durch Heckenschützen umgekommen sind.

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