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Ich bin doch nur ein Mann

Meine Lippen waren bereits blau angelaufen, in meinen Zehen begann sich das Gefühl zu verabschieden, aber weiter biss ich fest auf die Zähne. Denn den Reaktionen der anderen Fahrgäste gemäss war ich einfach ein Weichei. Was ich ja auch bin. Ein Warmduscher. Was ich ja auch bin. Und gerade, weil ich ein Warmduscher bin, bin ich mir solche Kälte einfach nicht gewohnt.

Aber ich befand mich ja in Nordirland. Und hier haben die Menschen offenbar ein anderes Verhältnis zur Temperatur. Sind kälteerprobt. Wenn ich jetzt also nach vorne zum Busfahrer ginge, würde ich mich höchstens blamieren und dieser mich womöglich vor versammelter Menge lächerlich machen. Nein, da gab es nichts.

Vielleicht war der Busfahrer auch einfach stolz darauf, dass er eine Klimaanlage an Bord hatte, wie auf einem Plakat speziell hervorgehoben wurde. Ich meine, wenn da in Afrika in einer Wüste einer eine Heizung im Auto hätte, dann würde der diese bestimmt auch auf volle Pulle stellen. Eben.

Aber hatte nicht dieser Mann drei Reihen vor mir gerade zur Belüftungsdüse raufgeguckt? War ihm vielleicht, nein, der fragte sich sicherlich, ob man nicht noch kühler stellen könnte. Schliesslich war ich bislang der einzige, der noch einen zusätzlichen Pullover überzogen hatte, meinen warmen aus Merinowolle. Zusätzlich zu T-Shirt und normalem Pullover und Hardshelljacke. Und trotzdem zählte ich die Minuten.

Erst ein gutes Drittel geschafft. Noch zwei Stunden. Die Landschaft war ja wie versprochen ganz schön, aber so richtig beeindrucken konnte sie mich nicht. Ganz anders als die junge Frau, die eben zugestiegen war. Im T-Shirt! Was für ein Weibsbild und ich wollte zum Fahrer gehen, um ihn zu bitten, die Temperatur etwas höher zu stellen? Ich bin doch nicht blöd! Ich bin ein Mann!

Ich bibberte, ich litt. Allmählich drohte ich das Bewusstsein zu verlieren als beim nächsten Stopp ein anderer Mann nach vorne ging und dem Busfahrer etwas sagte. Dieser Lange-Unterhosen-Anzieher, Mülltrenner, Barbietittenlutscher. Der ging jetzt aber nicht ernsthaft nach vorne – und was soll denn diese junge Dame denken? Hä? Die im T-Shirt? Wenn jetzt geheizt wird wie wie wie im Knusperhäuschen? Bei Frau Holle oder wie die hiess? Soll die denn…

Aha. Ganz ein schlauer! Geil. Ein Mann. Der denkt strategisch. Der hat natürlich gar nicht kalt. Der denkt sich nur, wenn wir jetzt einheizen, dann bleibt der ja gar nichts anderes übrig, als… Na eben. Ich meine, ich bin ja gut im Leiden und Kälte ertragen geht ja irgendwie noch. Aber wenn dir zu heiss ist, dann kannst du ja nur eines tun. Ein Lächeln glitt mir übers Gesicht und mir wurde sofort warm. Weil ist ja klar, der Busfahrer stellte jetzt natürlich nicht einfach die Klimaanlage ab, sondern die Heizung auf höchste Stufe. Sauna ein Dreck dagegen. Und alle Männer begannen wie Hunde mit der Zunge die Eigentemperatur zu regulieren. Und dann geschah es. Sie musste wohl schon derart leiden, dass sie keinen anderen Ausweg mehr sah.

Sie ging nach vorne zum Fahrer. Ist ja auch klar. Sie ist eine Frau. Sie redet mit dem Fahrer, wenn ihr etwas nicht passt. Die Temperatur fiel innert Millisekunden um mehrere Grad, die Anspannung wich sofort. Enttäuschung machte sich breit. Und dann stieg sie einfach aus.

Ich konnte also einen Sieg verbuchen! Im Gegensatz zu ihr hatte ich durchgehalten und war nicht einfach feige ausgestiegen. Stolz fuhr ich weiter und endlich konnte ich die schöne Natur auch geniessen.

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