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2.1.2017 Nablus (Westbank – Teil 1)

  • Reysen

Eigentlich wollte ich diesen Beitrag ja „Besatzung ohne Besatzung“ nennen, doch das wäre missverständlich. Als wir morgens um 8 Uhr zum ersten Mal die Mauer zu Gesicht bekamen, war ich fast schon ein wenig enttäuscht. Eine Mauer halt. Ich hatte wohl schon zu viele Bilder davon gesehen, zudem fuhren wir ihr nur ein kurzes Stück entlang. Weshalb ich unbedingt noch Bethlehem besuchen möchte, wo ich wohl einen ganz anderen Eindruck erhalten werde. Nachhaltig überrascht war ich dann aber, als die Mauer plötzlich hinter uns lag – ohne irgendwelche Kontrollen. Wie mir später gesagt wurde hatte ich den Checkpoint schlicht übersehen, wir hatten nicht einmal nennenswert verlangsamt. Wenige hundert Meter später kam unser palästinensischer Führer hinzu, für den die Mauer ein unüberwindbares Hindernis ist.

Wir fuhren auf einer gut ausgebauten Strasse in Richtung Norden, die von Autos mit grünen, weissen und gelben Nummernschildern befahren wurde. Weisse zeigen ein Palästinenserfahrzeug an, das die Grenze nicht überfahren darf, gelb steht für israelisches Fahrzeug, das überall fahren darf und grün sind palästinensische Taxis, die wenn ich das richtig verstanden habe die Grenze passieren dürfen. Eine grüne Nummer habe ich in Israel allerdings noch nie gesehen.

Die Strasse führte uns durch eine karge, trockene, unwirtliche, wenig besiedelte, ärmliche Landschaft. Ab und an erschien ein Dorf links oder rechts, ein Minarett zeigte an, dass es sich um eine palästinensische Ortschaft handelte. Jüdische Siedlungen, die wie Burgen auf Hügeln thronen nahm ich keine wahr – erstaunt war ich höchstens darüber, dass ausschliesslich die Namen von jüdischen Siedlungen auf den Strassenschildern vermerkt waren. Dies änderte sich nachdem wir den grössten Siedlungsblock im Norden passiert hatten und uns Nablus näherten, unserem ersten Zwischenstopp.

Respektive dem übernächsten. Denn kurz vor der Stadt, nachdem wir einen weiteren scheinbar (?) unbesetzten Checkpoint überquert hatten, bogen wir ab in die Berge, um den heiligen Berg der Samariter zu besuchen. Ja, die biblischen Samariter, von denen es heute noch rund 750 geben soll. Die keine Nicht-Samariter heiraten dürfen. Allerdings können Frauen nach einer dreijährigen Lernzeit und der Übernahme des Glaubens zur Gemeinschaft dazustossen, was in den letzten Jahren 20 mal geschehen sein soll. Doch auch diese „Blutsauffrischung“ wird nicht genügen – es soll bereits inzestuöse Degeneration geben. Und auch unabhängig davon ist die Gruppe wohl schlicht zu klein, um langfristisch überleben zu können. Da hilft auch ein Kinderspielplatz wenig – der weder besonders einladend, noch besonders gut besucht wirkt.

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Der Hügel selbst war unspektakulär, aber die Sicht auf eine Stadt im Hintergrund war eindrücklich – trostlos. Mich erinnerte die Aussicht an Bilder aus Nordkorea, triste Plattenbauten in einer bräunlichen, dürren Umgebung. Erst als ich mich zu orientieren versuchte wurde mir klar, dass es sich dabei um Häuser in Nablus handeln musste.

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Die Ankunft in Nablus bestätigte diesen Eindruck leider. Auf den Strassen war wenig los, nur wenige Geschäfte waren geöffnet, mir kam immer wieder der Begriff „trostlos“ in den Sinn. Auch Hoffnungslosigkeit schien mir ein treffender Begriff, der allerdings bereits eine Wertung enthält. Doch bevor wir die Stadt erreichten, besuchten wir noch einen total faszinierenden Ort: Jacobs well. An diesem Brunnen soll Jesus eine Samartierin angesprochen und Wasser getrunken haben und diese soll ihn als Erste als „Messias“ bezeichnet haben. Doch nicht der Brunnen ist spektakulär, sondern die darum herum erbaute Kirche – wobei ich weiter nicht ganz glauben kann, dass die Geschichte stimmt.

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Denn sowohl die Kirche wie auch alle Bilder, Ikonen und Mosaike darin sollen vom 80 jährigen griechisch-orthodoxen Pater geschaffen worden sein. 1968 soll das Gelände noch leer gewesen sein, 1998 wurde die Kirche eröffnet und steht seit da etwas einsam im sonst überwiegend muslimischen Nablus und über „Jakobs Brunnen“, der gemäss unserem Führer nicht fotografiert werden durfte.

Der mit einer vollausgestatteten Nikon-Fotokamera und einer Go-Pro Filmkamera an der Stirn ausgestattete Amerikaner in unserer Gruppe ignorierte dieses „Verbot“ natürlich, worauf er durch die welterfahrende Guatemaltekin zurechtgewiesen wurde. Was er nicht auf sich sitzen lassen konnte, denn eine andere Touristengruppe fotografierte ungehemmt. War er da schon etwas eingeschnappt, sprach er später am Mittagstisch kein Wort mehr, nachdem ihm ein weiterer Mitreisender auf seine „riesige Kamera“ angesprochen hatte – was auch nicht recht gewesen sein soll.

Wie auch immer, nach Jacobs Well ging die Fahrt noch zu einer archäologischen Ausgrabungsstätte, wo ich das wohl interessanteste Objekt der ganzen Reise fand – einen Käfer:

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Hier hatte sich jemand wohl einen Traum erfüllt, was mir sehr gut gefiel. Anders als die Häuser der Umgebung, die das trostlose Bild bestätigten:

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Nablus ist allerdings auch eine uralte Stadt und als wir uns dem Zentrum näherten wurde es allmählich belebter und lebendiger.

Und als wir zum Eingang des Souk, des Marktes kamen, war der trostlose Eindruck definitiv verflogen. Dieser wird auch als „little Damascus“ bezeichnet, ist riesig und meines Erachtens noch eindrücklicher als der arabische Markt in Jerusalem auf den ich aus meinem Hotelfenster schauen kann. Einen solchen Souk muss man erlebt haben, beschreiben lässt er sich nicht und auch Fotos geben die Stimmung nicht wirklich wieder. Es ist ein Gewimmel an Eindrücken, es überfordert jegliche Sinne und gehört immer wieder zum faszinierendsten auf Reisen in den arabischen Raum.

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Zu kaufen gibt es (fast) alles. Ganze lebende Hühner, halbe (tote) Ziegen, Stoffe und Kleider, Gewürze und Tees, Möbel und Elektrowaren, Spielwaren und farbenfrohe BHs, was in einem derart konservativen und prüden Gesellschaft immer wieder erstaunt, Gold und Schmuck mit dem der Brautpreis bezahlt wird, Hochzeitskleider und – Virginity Soap.

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Man findet aber auch Eigenschaften, die bei uns kaum noch exisitieren. So werden verschiedene Leute aus unserer Gruppe durch die Angebote in Versuchung getrieben – oder war es einfach die fehlende Pause bis dahin? Jedenfalls stoppte der Italiener einen Mann, der einen Wagen mit Mandarinen vor sich herschob und wollte ihm zwei Mandarinen abkaufen. Die zehn Schekel (rund 2.50 Fr) wollte der Mann aber nicht annehmen – konnte er nicht wechseln? War er einfach zu bescheiden? 10 Schekel müssen für ihn immerhin ein stattlicher Betrag sein. Immerhin gelang es letztlich, ihm den Betrag quasi aufzudrängen. Die Gruppe war perplex. Der verschenkt einfach seine Mandarinen? Das Gleiche geschah dann auch beim Brotkarren, auch hier wurde das Brot (widerwillig?) verschenkt.

Meine Spekulation geht dahin, dass es sich bei beiden um Transporteure und nicht um Händler handelte. Sie sind wenn schon Zwischenhändler und beliefern die Läden, verkaufen aber nicht direkt an Endkunden. Da Nablus kaum Touristen kennt wird die Situation nicht ausgenutzt, sondern stösst höchstens auf Unverständnis. Vielleicht ist es ihnen auch gar nicht gestattet, ihre Waren zu verkaufen – oder es gibt noch eine ganz andere Erklärung. Wie auch immer – zwei Dinge findet man im Souk auf keinen Fall: Verhütungsmittel und Alkohol.

Noch ein paar Worte zum temporären Titel „Besatzung ohne Besatzung“. Ich habe schon oft von Touristen gehört, dass die Besatzung gar nicht so schlimm sei, dass das Reisen innerhalb der Westbank völlig unproblematisch sei und alles völlig übertrieben werde. Dieser Eindruck kann tatsächlich entstehen, wenn man wie ich einfach mal durch die Westbank reist. Es erscheint als Besatzung ohne Besatzung. Liest man allerdings Berichte von Palästinensern, unabhängigen Journalisten, israelischen Soldaten oder Menschenrechtsorganisationen erhält man schnell ein anderes Bild. Zum einen gibt es tägliche Schikanen, zum anderen kann Israel innert kürzester Zeit reagieren, wenn es irgendwo Probleme gibt. Israel hat die totale Kontrolle über die besetzten Gebiete – nur so ist diese scheinbare Besatzungslosigkeit überhaupt möglich.

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