Am Ende stand es 1:0. Oder vielleicht auch 20:8. Darauf liess zumindest das verhaltene „Thank you“ und „Bye“ schliessen, als die jüdische Siedlerin, die uns am Nachmittag begleitet hatte den Bus verliess. Im Gegensatz dazu gab es am Morgen ein warmes Abschiednehmen. Die palästinensische Führerin wurde von allen Frauen unserer Gruppe herzlich umarmt. Als ich ihr die Hand schüttelte wandte sie sich allerdings abrupt ab – das war dann wohl doch zuviel gewesen. Mann und Frau – ein schwieriges Thema in einer äusserst traditionellen Gesellschaft und so war bereits dies (beinahe) ein Übergriff.
Die Tour, die wir durch Hebron machten stand unter dem Namen „two narratives“. Am Morgen wurden wir von einer Palästinenserin durch das arabische (palästinensische) Viertel von Hebron geführt, am Nachmittag von einer Jüdin durch den jüdischen Teil, der nur 3 Prozent der Stadt umfasst.
Am Morgen konnten wir die Härten der Besatzung wahrnehmen, mit Palästinensern sprechen, den Souk besuchen, erhielten gratis Kaffee. Wir wurden in eine Wohnung eingeladen, wo wir die kargen Räumlichkeiten betrachten und herzzerreissende Geschichten über die Besatzung hören konnten. Wir konnten die Gitter sehen, die den Abfall auffangen, den jüdische Siedler auf den Souk werfen (was diese natürlich bestreiten). Wir sahen die Zerstörungen durch die Besatzung, Checkpoints, ein Basketballfeld, das ein jüdischer Siedler direkt über dem Souk errichtete – wofür einige Geschäfte weichen mussten. Wir wurden herzlich empfangen, spürten die arabische Gastfreundschaft und assen bei einer palästinensischen Familien relativ zähes, aber feines Huhn mit Reis und Salat. Und natürlich gab es viele Selfies mit der Führerin.
Der Nachmittag begann mit einer Führung durch den jüdischen Teil der Ibrahimi-Moschee, die das Grab von Abraham beinhalten soll und sowohl für Juden wie für Muslime der viertheiligste Ort ist. Auf mich machte er einen sehr unwirtlichen Eindruck – es gibt definitiv eindrücklichere Moscheen. Wir erhielten dann eine lange Geschichtsstunde über Abraham und warum die Juden ein Recht hätten in Hebron zu sein, uralte Geschichten wurden als für die heutige Realität relevant geschildert – schon bald hatten offensichtlich die meisten genug. Danach gingen wir durch leere Strassen mit verschlossenen Geschäften, wo früher ein Souk (Markt) war, der aus Sicherheitsgründen geschlossen wurde – es gab zu viele Übergriffe zwischen den wenigen hundert Juden und den rund 500’000 Arabern, die in Hebron leben. Wobei die Übergriffe vor allem in Zusammenhang mit der zweiten Intifada vor über 10 Jahren geschehen waren. Hier verfestigte sich allerdings der Eindruck, dass die jüdische Besatzung das Problem ist und nicht die Araber, die an diesem Ort einen Aufstand gegen ebendiese wagten. Warum bloss leben wenige hundert Juden inmitten der palästinensischen Stadt? Die Führerin versuchte dies immer wieder zu erklären, überzeugen konnte sie wohl die wenigsten.
Danach ging es zum Sprecher der jüdischen Siedler von Hebron, der uns klarmachte, dass die Zweistaatenlösung ein Widerspruch in sich selbst sei (es wäre keine Lösung) und er meinte, dass es für manche Probleme halt keine Lösung gebe, respektive plädierte für eine langfristige Einstaatenlösung. Nach einer Übergangsfrist, in welcher die Palästinenser ihre Friedfertigkeit bewesen müssten, könnten diese die volle Staatsbürgerschaft erhalten. Es schien allerdings offensichtlich, dass er diese Lösung nicht ernsthaft in Erwägung zog, sondern sein Ziel der Status Quo war – die Besatzung.
Es folgte ein Besuch in einem Museum, wo wir auf ein Massaker an Juden im Jahre 1927 aufmerksam gemacht wurden und wiederum, warum Juden ein Recht hätten, hier zu sein. Danach ging es zu einem Checkpoint, wo vor relativ kurzem ein Palästinensischer Messer-Attentäter, der wehrlos am Boden lag durch einen israelischen Soldaten erschossen wurde, zu den Ruinen einer uralten Synagoge und auf ein Dach, von wo wir eine perfekte Aussicht über Hebron geniessen konnten.
Gefühle gewannen schliesslich gegen das Argumentieren. Wobei die Argumente allzuoft Rechtfertigungen waren, nicht wirklich überzeugten und historische Fakten entweder falsch wiedergegeben wurden (was kaum einer merkte) oder relevante Dinge weggelassen wurden (was ebenfalls kaum einer merkte). Die Monologe am Nachmittag liefen aber zu sehr darauf hinaus, dass Juden nur gut seien und die Palästinenser alles potentielle Terroristen – ein Bild, das kaum krasser mit der warmen Gastfreundschaft am Morgen hätte kontrastieren können. Es waren zwei Weisen, sich zu verkaufen, die in gewisser Weise dem Folgenden entsprachen: am Morgen wurden wir immer wieder von neugierigen Kindern umgarnt, die Hello sagten und sich noch so gerne fotografieren liessen, am Nachmittag reagierte ein Siedlerkind auf die Frage, ob es fotografiert werden dürfte mit radikaler Ablehnung. Unabhängig von Argumenten war dies das Bild, das gewann.
Bilder zu dieser Reyse finden Sie unter www.imagerey.ch