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…Swing und Blues in Phnom Penh

Noch weiterhin verbluest entsteige ich dem Air Asia Flugzeug, das trotz leicht verspätetem Abflug zwanzig Minuten zu früh – nach weniger als einer Stunde – in Phnom Penh landet. Einmal mehr musste ich verschiedene (fast) redundante Formulare ausfüllen – allmählich kenne ich die Passnummer auswendig. Der Flughafen ist klein, der Weg zum Schalter, wo die „Visa on arrival“ ausgestellt werden kurz. Circa zehn Beamte sitzen hinter einem Schalter, der erste nimmt Antragsformular, Foto und Pass entgegen, danach gehts zehn Meter weiter nach rechts, wo der Pass einige Minuten später in die Höhe gehalten wird und gegen eine Gebühr von 30 Dollar „ausgelöst“ werden kann. Nachdem er durch die entsprechenden zehn – oder auch zwanzig Hände – gewandert ist.

Nur noch kurz durch die Passkontrolle, doch da werd ich beinahe angeschrien. Ich hab ihn einfach nicht verstanden. Four. Four. Ich ziehe Dollars aus der Tasche. Auch nicht richtig. Ah, er will, dass ich vier Finger auf den Fingerprintscanner lege. Warum denn so aggressiv? Danach den Daumen. Auch hier bin ich ihm nicht schnell genug. Allmählich verstehe ich das Prinzip, aber so herrisch und unfreundlich wurde ich noch selten angesprochen. Diese Szene kommt mir im Genozidmuseum wieder in den Sinn – dieser Ton ist auf jeden Fall auch Teil der Geschichte dieses Landes, doch dazu später mehr.

Phnom Penh ist mir spätestens auf den anderthalbten Blick äusserst sympathisch. Es hat, was Bangkok fehlt: einen Ort zum Verweilen. Mein günstiges Hotel erweist sich als absolutes Bijou – 8. Stock mit Blick über den Mekong und gleich davor eine Promenade, wo sich am Sonntagabend die Menschen treffen, flanieren und einfach nur sind. Herrlich. Bloss ist es nicht so leicht die Strasse vom Hotel zur Promenade zu überqueren – der Verkehr ist noch chaotischer als in Bangkok. Ich ertappe mich aber bereits am nächsten Tag, dass ich immer entspannter durch die Gassen wandle. Wenn man sich in den „Flow“ einreiht, wird man nicht überfahren, weil irgendwie doch alle aufeinander zu schauen scheinen. Einen Unfall hab ich zumindest bis jetzt noch nicht gesehen…

Der Hunger treibt mich zum Nachtmarkt. Einmal mehr bin ich überwältigt – im hinteren Teil gibt es Foodstände, davor Matten am Boden, wo man sich draufsetzen und die Köstlichkeiten geniessen kann. Dass man dabei zuerst die Schuhe ausziehen sollte, sollte jedem klar sein – gleichwohl latscht die amerikanische Tourigruppe, aber lassen wir das. Ich hab mich schliesslich auch am falschen Ort hingesetzt – eigentlich müsst ich jetzt zwei Mahlzeiten vertilgen, aber ein Lemon-Juice reicht auch.

Nach wenigen Minuten hält mich der Swing gefangen. Ich finde zurück zur Stimmung während des Jazz-Konzerts in Bangkok – das Leben kann grossartig sein. Ich versuche Fotos zu machen von den Strassenkindern, was mir nicht so recht gelingen will und ich erfasse vielleicht zum ersten Mal in diesem Land den Blues, der allgegenwärtig ist.

Ja, die vielen Kinder sind auffallend. Sie sind überall. Unfassbar süss, sie gehören einfach dazu. Manche verkaufen etwas, andere drücken sich an Mama oder spielen irgendetwas. Im Gegensatz dazu gibt es sichtbar wenig Menschen über 50 – ich glaube nicht, dass mir das nur auffällt, weil ich die schreckliche Geschichte Kambodschas kenne, mit der ich mich in einem der nächsten Blogeinträge auseinandersetzen werde: vor 40 Jahren (1974-78) wurde gegen ein Viertel der Menschen Kambodschas durch die sozialistische Schreckensherrschaft der Roten Khmer in den Tod getrieben.

Bein einem Spaziergang über die Promenade fallen weitere Teile des Blues auf: Obdachlose, die auf einer Liege schlafen, am eindrücklichsten ein kleines Mädchen, das auf dem nackten Boden eingeschlafen ist – es scheint sich niemand um sie zu kümmern. Daneben hocken Familien, die nichts zu haben scheinen – und doch in die Stadt gezogen sind, weil sie sich hier mehr Perspektiven, ein besseres Leben erhoffen.

Gleichwohl ist diese Armut schwer anzuschauen, zumal Kambodscha, das unter den Roten Khmer zu einer klassenlosen Gesellschaft werden sollte heute wirklich nur zwei (oder drei) Klassen zu kennen scheint: die ganz Armen, die untere Mittelschicht, die am Sonntagabend stolz zu Viert oder Fünft mit dem Moped einen Ausflug macht – und die Oberschicht, die in unglaublich protzigen Toyota-Geländewagen – oder gleich im Porsche Cayenne oder Bentley – ihren Reichtum zelebriert. Nein, als ich bei der Rolls Royce Vertretung vorbeikomme, wundere ich mich überhaupt nicht. Swing und Blues liegen hier einfach zu nahe beieinander.

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