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Rasante Entwicklung

Sein Geburtsjahr weiss er nicht so genau. Und Namen hat er zwei. Also nicht einen Doppelnamen, sondern zwei amtliche Namen. Irgendwie wegen der Roten Khmer, denn geboren wurde er während deren Herrschaft. Die Namen zu vereinheitlichen würde Geld kosten und bislang kann er auch mit zwei Namen gut leben. Oder sogar: immer besser leben.

Er sprach mich an auf einem Spaziergang in Banlung. In den Armen seine zweijährige Tochter. In der Regel gehe ich solchen Situationen aus dem Weg und natürlich, nach einer Minute Geplänkel kommt er zur Sache. Inzwischen weiss er, dass ich am Nachmittag noch nichts los habe – und er hat einen Plan für mich… Und so werde ich um ein Uhr von ihm abgeholt auf seinem altersschwachen Moped.

Er hat es richtig gemacht und hat einiges erreicht. Einfach war das sicher nicht, denn die Konkurrenz ist gross. Es scheint zwei Branchen auf dieser Welt zu geben, wo es ein massives Überangebot gibt: TukTuk-Fahrer und Prostituierte. Wer als Mann alleine durch ein Rotlichtviertel spaziert ist, weiss wovon ich rede – die Penetranz mit der man „angemacht“ wird ist schier unerträglich. Mein doppelnamiger Held hat zwar kein TukTuk, sondern nur ein altersschwaches Moped, aber das Problem ist dasselbe – und mit mir scheint er einen guten Fang gemacht zu haben.

Gerade jetzt in der Regenzeit, wo die Touristen der Stadt fernbleiben. 15 Dollar will er für den Nachmittag, was nach wenig erscheint relativiert sich, wenn man einkalkuliert, dass ein TukTuk-Fahrer vielleicht 100 Dollar im Monat verdient (in der Regenzeit wohl deutlich weniger), er nur ein Moped hat – und ein Beamte rund 400 Dollar mit nach Hause nimmt am Ende des Monats. Der Lohn von Beamten wurde erst vor kurzem erhöht, um gegen die Korruption vorzugehen.

Und so tuckern wir gemütlich durch die grüne Landschaft, zweigen nach kurzer Zeit auf eine Nebenstrasse ab, um nach Kung Nang zu gelangen. Das Dorf liegt etwa 3 Kilometer von der Hauptstrasse entfernt und umfasst rund 300 Einwohner. Die Strasse dahin ist in sehr schlechtem Zustand, ich werde aber an diesem Tag schnell realisieren, dass dies die Regel und nicht die Ausnahme ist. Auch die Strasse nach Banlung, dem Hauptort der Provinz wurde erst vor weniger als 10 Jahren asphaltiert, Strassen, die davon abgehen sind nach einem heftigen Regen kaum oder nicht mehr passierbar.

In Kung Nang lebt eine ethnische Minderheit mit einer eigenen Sprache. Wirklich willkommen fühle ich mich allerdings nicht – auch wenn wir extra noch Früchte als „Bhaltis“ mitgebracht haben, die gerne entegengenommen werden. Zwei Gründe scheinen mir für die Distanz ausschlaggebend zu sein: zum einen ist es wohl einfach unangenehm, wenn alle paar Stunden oder Tage Fremde ins Dorf kommen und wie wild herumfotografieren, zumal der Privatbereich nicht klar abgegrenzt zu sein scheint. Zum anderen gibt es in diesem Dorf immer noch die weitverbreitete Furcht, dass eine Foto die Seele stehle oder für den Tod verantwortlich sei oder irgend so etwas.

Ansonsten ist das Dorf aber wohl nicht viel anders als ein abgelegenes Khmer-Dorf. Inzwischen gibt es sogar Strom und eine Schule, die Entwicklung schreitet im Osten Kambodschas rasant voran – und ist für die meisten Menschen wohl positiv, auch wenn das ursprüngliche Dorfleben so romantisch wirkt. Fernsehen, vor allem aber Schule, Handy und Motorrad ermöglichen Menschen bis dahin nie gekannte Freiheiten, was in der Regel zu rascher Landflucht führt.

Diese Freiheiten hat auch der doppelnamige Motorradfahrer kennengelernt. Er hatte mir schon von seinem Schweizer Grossvater erzählt, verstanden hatte ich aber nicht, was er damit meinte. Nach weiteren Ausflügen fahren wir noch zu ihm nach Hause, um seine 16 jährige Tochter kennenzulernen. Zu jemandem nach Hause zu können gehört zu den schönsten Aspekten des Reysens, ich war mir aber auch bewusst, dass es wohl einen „Haken“ gibt.

Bevor wir angekommen sind springt seine bildhübsche Tochter bereits aus der Tür und wir setzen uns fast ein wenig zu vertraut hin. Sie hat viele Fragen und erzählt, dass sie Medizin studieren wolle – und vom Schweizer „Da“. Dies, so stellt sich heraus, ist ein Schweizer Gönner, der der Familie extrem viel ermöglicht hat: der Mann konnte in eine Privatklinik, als er gesundheitliche Probleme hatte und erhielt ein neues Handy, die Familie konnte das Haus vergrössern, die Tochter soll an eine Privatschule gehen und wenn ich das richtig verstanden habe in Europa studieren – und hat ein tolles neues Moped erhalten, das des Vaters alte Kiste, mit der er die Familie ernährt noch älter aussehen lässt. Bei einem Monatsverdienst von wohl deutlich unter 100 Dollar scheint er das ganz grosse Los gezogen zu haben.

Doch er arbeitet auch dafür – so hat er den „Da“ auch auf einer solchen Mopedtour kennengelernt. Zudem wird die Tochter nun in gewissem Sinne „vermarktet“: Stolz holt sie ihre Zeugnisse hervor und ich Idiot weise auf das einzige „C“ hin – eine 4 in Khmer, der Landessprache, ansonsten fast nur A+. 6en. Wow. Sie kriegt Unterstützung, aber sie lernt hart und will scih ein besseres Leben erkämpfen – ein Vorhaben, bei welchem ich sie – verbal – möglichst tatkräftig zu unterstützen versuche.

Aber die Art des Vaters stresst mich auch wieder. Ich könne ja seine Tochter auch unterstützen, bla bla bla. Aber wenn sie ja schon einen Grossvater haben, denke ich für mich.

Als es allmählich dunkel wird brechen wir zur Rückfahrt auf. Ich überlege mir wie viel ich ihm geben soll. Ich hatte 5 Dollar Sprit übernommen, abgemacht waren 15 Dollar, also wären 20 Dollar grosszügig – wären immerhin zwei Drittel mehr als abgemacht. Nach diesem Gespräch war aber offensichtlich, dass er mehr erwartete. Aber zu Recht? Müsste ich nicht wenn schon Leute unterstützen ohne grosszügigen Gönner?

Ich habe ihm dann wirklich „nur“ die 20 gegeben, weils mir auch einfach zuviel geworden ist. Und ich habe meine Kontaktdaten dagelassen für den Fall, dass die Tochter tatsächlich nach Europa oder sogar in die Schweiz kommen sollte. Gelingt ihr dies (und ich wünsche es ihr sehr), bin ich gerne bereit, sie hier nach Möglichkeit zu unterstützen. Aber 20 Dollar mehr hätten sich für mich einfach falsch angefühlt.

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