Der Jugoslawienkrieg begann mit der Unabhängigkeitserklärung Sloweniens. Restjugoslawien liess Slowenien fast ohne Kriegshandlungen ziehen, weil das Land ethnisch mehr oder weniger homogen war – sprich, es leben fast nur Slowenen in Slowenien. Mit der Unabhängigkeitserklärung Kroatiens begann der erste mit grosser Vehemenz geführte Krieg. Und dieses Szenario könnte auch Katalonien drohen, sollte eine Unabhängigkeit umgesetzt werden.
Das durch Serbien dominierte Restjugoslawien war zwar äussest nationalistisch und es gab die Vorstellung eines Grosserbiens, wo alle Serben leben sollten, viel wichtiger war aber, dass mit der Unabhängigkeit Kroatiens plötzlich viele Serben in einem fremden, feindlichen Land lebten. Diese zu beschützen war Aufgabe Serbiens. Auf Katalonien angewandt bedeutet das, dass mit der faktischen Unabhängigkeit plötzlich viele Spanier in Katalonien leben würden, was Spanien niemals zulassen könnte – Spannungen und Übergriffe wären vorprogrammiert, der Krieg fahrlässig provoziert. Wer aber wäre der Aggressor?
Auch in Bosnien-Herzegowina begann der Krieg mit der Unabhängigkeitserklärung. Aus bosnischer Sicht war diese natürlich rechtmässig und deshalb die Serben die Aggressoren. Aus serbischer Sicht hingegen war die Unabhängigekti widerrechtlich und Serbien hatte deshalb die Pflicht, wenn nicht ganz Bosnien, so zumindest die mehrheitlich serbisch besiedelten Gebiete zu besiedeln. Da die durch Serbien dominierte jugoslaische Volksarmee noch am Tag der Unabhängigkeit in Bosnien stationiert war, handelte es sich offensichtlich um einen Rückzug, was die These der Verteidigung stützt.
Da eine Unabhängigkeit Kataloniens der spanischen Verfassung widersprechen würde, hätte Spanien das Recht oder sogar die Pflicht, diese Unabhängigkeit auch mit militärischen Mitteln zu verhindern. Genau dies tat „Restjugoslawien“ 1992 in Bosnien-Herzegowina – auch wenn die Beispiele nicht ganz identisch sind.
Ich befinde mich zurzeit in Sarajevo und höre nur Geschichten von Leid und Elend. Die Wirtschaft ist auch bald 25 Jahre nach dem Krieg am Boden, eine Besserung nicht in Sicht. Der bosnische Staat funktioniert nicht wirklich, nicht zuletzt weil Bosnien drei Präsidenten hat – einen kroatischen, einen bosnisch-muslimischen und einen serbischen. In Katalonien würde das sicher wieder anders aussehen, aber gewinnen können die Katalanen unter keinen Umständen, nur schon weil sie automatisch nicht der EU zugehörig wären, kein einziges (!) Handelsabkommen besitzen würden, vermutlich nicht einmal mehr Flugzeuge landen dürften (die Abkommen dazu würden wohl ihre Gültigkeit verlieren) etc. etc. etc.
Der Traum der Katalanen ist wohl ähnlich wie jener der Bosniaken vor der Unabhängigkeit gewesen ist. Das Aufwachen war für die Bosniaken unfassbar hart – und wäre für die Katalanen definitiv kaum weniger hart, selbst wenn ein Krieg verhindert werden könnte. Da Katalonien keinerlei Grossmacht und auch kaum kleinere Staaten hinter sich weiss, wäre es komplett isoliert und ohne Zukunftsperspektiven. Ich kann nur hoffen, dass die Katalanen allmählich zur Vernunft kommen – auch wenn die spanische Politik unter Mariano Rajoy mit zur heutigen Situation beigetragen hat ist eine Unabhängigkeit auch für die Katalanen die schlechteste Lösung!
Zum Titelbild: ein Friedhof in Sarajevo mit Grabsteinen, die (fast?) alle Todesdaten von während des Krieges enthalten