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Imago

Heute Nacht habe ich von ihr geträumt. Schon lange habe ich ihre Gestalt nicht mehr so klar vor meinen Augen gesehen. Ihr Antlitz. Ihren Ausdruck. Ihr Lachen. Ihr Strahlen. Aber auch der Zweifel, die Unsicherheit, ihr Charme. Wie sie mich schelmisch angelächelt hat, im tiefsten Inneren verbunden, verbunden im Herzen schauten wir durch einen Vorhang in die Ferne. Ohne dass es ein Drinnen, ohne dass es ein Draussen gegeben hätte. Nur ein Wir. Eine Einheit, ein Zusammen, ein Gemeinsam.

Eine verbotene Liebe. Eine unmögliche Liebe. Eine Liebe ohne Zukunft, eine Liebe ohne Vergangenheit, eine Liebe, die nicht sein darf, eine Liebe, die nicht sein kann, eine Liebe, die nicht ist. Eine Liebe im Traum, so intensiv, so entrückt und entwurzelt von der Realität. Eine phantastische Liebe, eine Sehnsucht, eine Idee. Eine Vertrautheit, eine Intensität, unwirklich. Und doch so unfassbar real.

Geträumt habe ich schon oft von ihr. Tagsüber. Vor dem Einschlafen. Nach dem Aufwachen. Als Hoffnung, voller Begierde und Verlangen. Als Frau meines Lebens, meinen Alltag versüssende Muse, mich aus meinem Elend befreiende Zuversicht. Als Imago, als Bild, als Ideal. Geträumt im Tagtraum, in meiner Phantasie.

Vielleicht wage ich es nur nicht, vielleicht habe ich Angst davor, den Zauber zu zerstören, aus der Phantasie Realität werden zu lassen. Vielleicht bin ich einfach zu schüchtern, zu selbstverliebt, sind meine Phantasien nicht von dieser Welt, befürchte ich vom Alltag enttäuscht zu werden.

Und dann begegne ich ihr wieder. Ihre Anmut verunsichert mich, ihr Lachen hellt meine Stimmung auf, ein Spruch zu viel, Enttäuschung in ihren Augen. Ein Blick, ein Augenzwinkern, es läuft. Und im nächsten Moment die Erleuchtung, die Desillusion, der Zweifel. Ich spüre die Vertrautheit, ich sehe ein Sprühen in ihren Augen, ich realisiere, dass alles nur eine Phantasie ist. Dass mich die Realität desillusionieren würde, dass es keine Zukunft geben wird, dass es keine Vergangenheit gegeben hat, dass es keine Gegenwart gibt. Sondern nur eine Phantasie.

Eine Phantasie, die mich beruhigt einschlafen, die mich den Tag beglückt beginnen lässt, die das Dasein erträglich macht, die mir in dunklen Momenten Lebenskraft einflösst, die mich aber auch davon abhält, mich dem Leben hinzugeben, mich auf das Dasein einzulassen, mich mit dem Unperfekten zu begnügen, zu leben.

Ich habe von ihr geträumt. Im Schlaf. Ein realer Traum, keine Phantasie. Nicht in der perfekten Vorstellung, wo mein Geist das Paradies erschafft, wo es nur Gut und kein Böse gibt. Wo nur das Schöne existiert, wo nur das erlaubt ist, was ich erlaube. Entrückt. Perfekt. Sorgenlos, problembefreit, vom Alltag unberührt.

Nein, ich habe von ihr geträumt. Ganz real. Wir haben gemeinsam den Traum durchwacht, taten gemeinsam, was wir taten und nicht, was ich mir wünschte. In einer entspannten Selbstverständlichkeit. Ein Gespann ohne Vergangenheit und ohne Ziel in trauter Zweisamkeit. Keine Fragen, keine Antworten, nur Gegenwart.

Und dann bin ich aufgewacht. Habe ihr Bild so klar vor Augen gehabt als ob sie vor mir stünde. Oder neben mir läge. Als ob mich ihr langes, blondes Haar kitzelte. Ich spüre ihre Hand auf meiner Schulter, auf meinem Oberarm, spüre ihren Atem, ihren Kuss, verliere mich in den Tiefen ihrer weiblichen Züge, schmelze dahin, bin aufgewühlt.

Und auch ein wenig aufgeregt. Denn bald werde ich sie wieder sehen. Werden wir uns Blicke zuwerfen, kokettieren, kommunizieren, werden wir uns austauschen, werde ich ihr zuhören wie sie mit ihren Freundinnen tratscht, wie sie von ihrem Alltag erzählt, wird sie sich dehnen, werde ich ihrer Weiblichkeit gewahr. Wird mir die Realität einen Streich spielen, wird mir die Realität einen Spiegel vorhalten, in dem sich meine Phantasie spiegelt, meine unmögliche Phantasie, mein Ideal, meine Imago, meine unerreichbare Liebe.

Ich habe von dir geträumt. Es war himmlisch, es war perfekt, ich habe mich so wohl gefühlt mit dir, in deiner Nähe. Und es warst definitiv du, deine Züge waren nicht zu verkennen. Ja, ich glaubte gar, dich zu riechen. Ich hörte deine Stimme. Fühlte dein Herz. Spiegelte mich in deinen tiefbraunen Augen. Allmählich bin ich dann aufgewacht, schlaftrunken hat sich der Traum immer mehr aufgelöst bis ich im Hier gelandet bin. Wo ich dich verloren habe. Wo du dich in meine Gedanken zurückgezogen hast, in meine Phantasie und du als Traum entschwunden bist.

Es heisst, dass Träume Schäume sind. Ich bin mir da nicht mehr so sicher. Während der Traum in meinen Gedanken und Gefühlen real war, zerplatzt die Phantasie an der Realität wie eine Seifenblase. Weil du nicht Imago bist. Weil die Realität den Ansprüchen meiner Träume nie genügen kann. Weil du nicht sie bist. Und trotzdem: ich hab dich unendlich lieb.

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