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Der Notausgang

Schon beim Bezug des Zimmers war er mir aufgefallen: der notdürftig versperrte Notausgang. Eine nicht nur angenehme Vorstellung, wenn das Zimmer im 30. Stockwerk liegt. Nur mit Liften zu erreichen. Die Fantasie jedenfalls versucht zu erklären, worum es hier geht.

Im Januar 2016 wurde Otto Warmbier, ein US amerikanischer Tourist am Flughafen Pyongyang festgenommen. Ihm waren „feindliche Aktivitäten“ vorgeworfen worden. Nach einem wohl erpressten Geständnis war er zu 15 Jahre Arbeitslager verurteilt worden. Ein Jahr später wurde Warmbier wieder der Presse vorgeführt – im Wachkoma. Es ist unklar, was genau geschehen war. Jedenfalls wurde er in die USA evakuiert und verstarb dort im Juni 2017.

Warmbier wurde vorgeworfen, sich in einen nicht erlaubten Bereich seines Hotels begeben und dort ein Plakat entwendet zu haben. Es handelte sich zwar um ein anderes Hotel als das, wo wir logieren, doch ein Unbehagen beschleicht mich. Könnte der Notausgang deshalb verriegelt sein, dass man nicht in ein falsches Stockwerk gelangen kann? Mehrere Stockwerke sind mit dem Lift nicht zugänglich, es ist offensichtlich, dass dieses Hotel viele Geheimnisse kennt.

Eines dieser Geheimnisse lerne ich im Moment kennen, wo ich die Foto schiesse. Obwohl verdeckt muss – zufälligerweise? – eine halbe Sekunde später jemand im Nachbarzimmer husten. Dieses Zimmer sollte eigentlich unbesetzt sein, da wir die einzigen europäischen Touristen in diesem Stockwerk sind. Der Verdacht drängt sich auf, dass der Geheimdienst doch näher ist als erhofft und dies eine Warnung ist. Und selbst wenn es kein „Warmbier-Moment“ gewesen sein sollte, wird mir wieder bewusst, wo ich mich befinde.

Es ist übrigens bis heute nicht geklärt, ob Warmbier wirklich ein Plakat zu entwenden versucht hat. Womöglich war er auch einfach zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort. Dieser Gedanke kommt mir aber zum Glück erst, als wir längst wieder zuhause sind.

Das Hotel, das Otto Warmbier zum Verhängnis wurde
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