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Am Rande

„If you enter, you stay there.“ Die Warnung war deutlich genug. Der Anreiz allerdings auch. Denn anders als an den meisten Stellen, gab es hier kaum ein Verbotsschild. Und nur eine Schranke, die leicht zu überwinden wäre. Und was sich dahinter befinden sollte, sagen wir mal, Neugier ist ein Hund. Ein verdammter Hund sogar. Aber an sich bin ich ja vernünftig und in diesem Moment auch glücklich. Denn die Vernunft obsiegte.

Der Wetterbericht hatte Regen angesagt. Unglaublich. Denn bislang gabs nebst Sonne vor allem Sonne und nebst heiss auch ein wenig weniger heiss. Also schon noch heiss, einfach, eben. Und deshalb blieb der Schirm natürlich auch zu Hause. Denn, eben.

Forschen Schrittes machte ich mich auf in Richtung Checkpoint. Und kurz vor dem Checkpoint rechts abgebogen und ganz unschuldig pfeifend der Nase nach. Sollte mich jemand fragen, natürlich hatte ich kein Ziel, hatte ich mich einfach verlaufen. Hatte ich noch nie etwas davon gehört, dass diese Stadt drei Teile hatte. Einen im Süden, einen im Norden und dazwischen das Niemandsland. Norden, Süden, klar. Aber die Mitte. Da zog es mich hin. Bin ja schliesslich ein Mann.

Und diese Mitte, die soll es schon ziemlich in sich haben. So Flughafen, zum Beispiel. Echt. Zwischen Nord und Süd liegt ein Flughafen, also nicht so ein Flugfeld, sondern richtiger Hafen, international. Vergleichbar mit jenem in Gaza. Einfach grösser. Und genauso, sagen wir mal, dysfunktional. Denn, weil er in der Mitte liegt, kann er weder von Norden noch von Süden erreicht werden, sondern nur aus der Luft. Was bei einem Flughafen rein theoretisch kein Problem wäre. Aber Flughafen benötigt auch Bodenpersonal. Und wenn das letzte Bodenpersonal weggeflogen, dann ist Sense. Schluss. Immerhin besser als beim BER. Weil der Flughafen hier, der hat zumindest Vergangenheit. So ein wenig Nostalgie. Noch ein paar Flieger mit gebrochenen Flügeln und Flughafengebäude mit verlebten Möbeln. Mit Geschichten. Und BER nur Versager. Dafür vielleicht Zukunft. Vielleicht.

Aber der Flughafen, der liegt natürlich ausser meiner Reychweite. Ich befinde mich ja schliesslich im Stadtzentrum. Und Flughafen nicht im Zentrum. Dafür jede Menge Strassenbarrikaden. So mit Stacheldraht obendrauf. Damit ein Reyman auch versteht, dass da Schluss mit lustig. Und wenn kein Stacheldraht, dann wenigstens Posten, so mit grimmigen Militärs und auch Schluss mit lustig.

Und so irre ich weiter rein zufällig der Grenze entlang und in meinem Rücken beginnt sich der Himmel zu verdüstern. Aber auch egal. Betrachtet man Regen als Reygen, dann bekommt er sofort Charme. Irgendwie. Verreygnet zu werden, aber lassen wir das. Eine weitere Strasse endet im Stacheldraht, aber davor zweigt ein Weg ab. Schleichweg. Wer weiss. Doch nach hundert Metern ist Schluss. Da steht so ein Posten mit Soldat. Der mir offensiv den Rücken zudreht. Ob ich, also sehen kann der mich ja nicht. Wobei. Vielleicht will der mich auch austricksen. Zeigt mir extra sein Hinterteil und dabei. Spiegel.

Wieder abgebogen und das Glück scheint mir hold. Die Strasse endet an einem zerfallenen Haus. Da hat es zwar so ein Schild von wegen keine Fotos und kein, aber da steht ja nichts auf Schweizerdeutsch. Versteh ich nicht. Keine Chance. Irgendwelche komischen Sprachen und ist wie ein Parkplatz. Also wenn da einer seine Karre hinparkt, dann darf ich doch auch. Andererseits. Die Minen. Auch nicht lustig. Und ehrlich gesagt. Lustig ist das Ganze ja eh nicht. Also nicht, weil jetzt so erstes Donnergrollen und Schirm immer noch zuhause und so, sondern, weil eben. Da sind Menschen gestorben wegen. Also frühzeitig gestorben wegen. Wurden Familien auseinandergerissen. Menschen vertrieben. So jene aus dem Süden in den Norden und jene aus dem Norden in den Süden und jene aus der Mitte, eben. Niemandsland. Da wohnt keiner mehr. Schlimmer als in Tschernobyl.

Also nicht, dass man da nicht hinkäme. So in die Sperrzone. Das ist jetzt nicht Fort Koks. Kox. Knox. Wie auch immer. Sondern mehr so liberal. So Eigenverantwortung. Wir haben dich gewarnt. Und wenn du es doch tust, mach es einfach nicht. So absolute Autorität. Und natürlich werde ich schwach und auf dem Rückweg grüsse ich den Soldaten freundlich. Der soll schliesslich nicht glauben, dass ich, dass ich, dass ich nur schon daran gedacht, nicht mal Foto, ehrlich. Voll seriös. Wobei. Der dreht mir wieder den Rücken zu. Aber eben: Spiegel. Und um seiner Autorität Würde zu verleihen donnert es als ob der Herrgott persönlich sagen wollte, dass, eben. Geschmacklos.

Und so geht es weiter, irgendwie imposant, so am Rande. An der Sperrzone. Da gibt es so Handwerksbetriebe, so mit Uraltmaschinen und das glaubst du nicht. Dass es das noch gibt. Pure Mechanik. Da sprühen die Funken. Handarbeit. Schreiner. Metaller. Keine Ahnung. Malocher halt. Und daneben alles zu. Weil eben. Wer will da schon. Vielleicht der andere. Verkauft Flipperkästen. Computergamekästen aus den 80ern. Bloss, also verkaufen tut er die eben nicht. Deshalb auch Schild: zu verkaufen. Also jetzt nicht die Kästen, sondern den Laden. Glaubi zumindest.

Oder ein Automech. Als ob die Zeit still gestanden. Repariert nen Mini aus den 70ern. Oder einfach Betriebe. Keine Ahnung, was die betreiben. Aber überall Staub. Unordnung. Als ob die, eben. Büros mit alten Männlein drin. Die nix tun. Nicht mal abstauben. Die sitzen da, vielleicht Zigarette oder Zeitung und sonst. Nix. Warten. Auf Kundschaft. Die nicht kommt. Weil Sperrzone. Und Gewitter. Und fehlende Innovation. Ungute Mischung.

Aber gibt natürlich auch Hoffnung. Weil so an der Sperrzone tiefe Mieten. Startupgenerierungsmaschine. Da verkauft eine doch tatsächlich Bücher. Schöne Bücher. Auf englisch. meresmultispace.com. Kannst du mal gucken. Also wohl besser: die will da verkaufen. Und wenn du Website guckst, so wirklich, also noch nicht wirklich toll. Aber schöner Laden. Wirklich. Aber ohne Käufer kein Verkauf. Oder Galerie. Oder Büro. Einfach Büro. Weil billig. Sympathisch. Hübsch. Aber eben. Da geb ich dem serial griller grad noch gute Chance. Immerhin klares Businessmodell. Aber was fehlt: Cola Zero Verkäufer. Goldgrube heute. Oder Schirmverkäufer.

Denn allmählich zeigt Petrus ein Einsehen mit dieser tristen Welt und lässt es uns mittels grosser Tränen wissen. Und so schreite ich mit grossen Schritten weiter und gelange zu einem UN-Posten, der ziemlich definitiv wirkt. Am Rande zweier Fussballfelder. So eines im Norden. Aber das weiss ich ja noch nicht. Deshalb pst. Nur unter uns. Weil wegen. Im Norden bin ich ja erst morgen. Also heute. Aber eben. Und eines im Süden. Und dazwischen UN. Und so ausser Sichtweite davon dieses Tor. Ohne Verbotsschild. Also fast ohne. Und weil es grad begonnen hat zu regnen und wegen Donner und wegen, eben, Neugier, was weiss ich und in diesem Häuschen da, also das liegt ja jetzt noch nicht wirklich dazwischen, sondern so quasi eben. Am Rande. So wenn man etwas schielt und ich trag ja eine Brille könnte man mit etwas Überzeugungskraft auch sagen, noch nicht im, sondern nur am. Und am ist ja nicht verboten, sondern nur im. Eben.

Und dann kommt dieser verdammte Taxifahrer. Oder vielleicht auch dieser, also das ist jetzt doof. So mit der deutschen Sprache. Weil verdammt ist ja klar. Aber was ist jetzt da das Gegenteil von? Wenn du nicht verdammt, sondern wenn du verbelohnt? Also so, also schräg, dass es das nicht gibt. Contraverdammt. Unverdammt. Weil, also der Taxifahrer eigentlich Geschenk vom Himmel. Weil, der fährt da vor mit seinem fetten Mercedes und das sind ja meist die Schlimmsten. So die Taxifahrer mit den fetten Mercedes. Weil die warnen dich ja nicht mal, wenn sie mit 150 auf dich zuhalten. In der Innenstadt. Aber der hier stoppt seine Karre neben mir und säuselt: „don’t enter“. Was willst du da noch sagen. Wenn da Taxifahrer mit fettem Mercedes und der warnt dich. Und sogar mit Humor. „If you enter, you stay there.“ „Forever.“ „Really“. Fuck.