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Im transnistrischen Fernsehen

Nach der Lenin-Tour werde ich am Bahnhof von Tiraspol „abgeladen“. Von dort will ich zu Fuss zum Hostel gehen, eine beträchtliche Distanz, aber es ist ja noch Zeit. Auf dem Weg fällt mir ein Tourist Office auf, das auch Souvenirs verkauft. Ich betrete den Laden und werde gleich umgarnt. Es gibt nicht viele Touristen und damit auch nicht viel zu tun im Tourist Office. Vor allem aber suchen sie noch einen Touristen, der sich dazu bereit erklärt im transnistrischen Fernsehen aufzutreten. Nichts Grosses, es gehe nur darum, ob man Transnistrien nicht eigentlich Pridnestrovje nennen sollte, also den russischen Namen verwenden.

Mir ist das relativ wurst, wie das Land genannt werden soll und sage in einem Moment der Selbstüberschätzung zu. Da ich aber kein russisch spreche wird mir eine Englischlehrerin zur Seite gestellt, die grad noch Unterricht hat. Und so geht es zuerst in ein Schulzimmer, wo mich eine Klasse freundlich, nein, eigentlich eher euphorisch begrüsst. Die Stimmung ist ausgelassen, ich bin offensichtlich eine Attraktion und sie wollen mir vor allem klar machen, dass Transnistrien ein ganz normales Land mit ganz normalen Leuten ist. Das ist natürlich auch mein Eindruck.

Danach muss es schnell gehen. Wir nehmen ein Taxi, das uns zum Fernsehgebäude fährt. Ich bleibe erstaunlich gelassen. Im Fernsehstudio werden wir schon erwartet und ich werde gepudert und zurechtgemacht. Bald schon stehen wir im Studio, ein lokaler Historiker, zwei Moderatorinnen und ich. Ich werde nur damit gebrieft, dass es irgendwie um den Namen des Landes geht. Kein Skript, alles spontan, immerhin nicht Live. Wobei Live ja den Vorteil hat, dass es im Nachhinein nicht böse zusammengeschnitten werden kann.

Erschwert wird das Ganze dadurch, dass die Moderatorinnen zwar mit mir englisch sprechen, der Rest des Gesprächs aber auf russisch stattfindet. Ich bin komplett im Blindflug. Die schwafeln irgendetwas, dann werde ich etwas auf englisch gefragt, gebe eine spontane Antwort und dann gehts weiter mit dem Historiker, der das Ganze offensichtlich viel ernster nimmt als ich.

Der Aufforderung „Pridnestrovje“ auszusprechen komme ich gerne nach. Das ist lustig. Doch dann folgt die Fangfrage. Ob ich zustimme, dass es nicht fairer sei, wenn der offizielle Name des Landes Pridnestrovje sei und nicht Transnistrien? Immerhin bestehe der Landstrich ja auf seiner russischen Identität.

Und ich tappe in die Falle, gebe mich als Historiker zu erkennen, argumentiere, dass das natürlich nachvollziehbar sei und blablabla. Nach vielleicht 15 Minuten ist der Spuk vorbei und die Englischlehrerin begleitet mich nach draussen. Sie macht noch eine Bemerkung, dass ich mich da schon etwas aus dem Fenster gelehnt hätte, sie hatte aber Freude an mir. Anders als ich. Denn allmählich beginnt mein Hirn zu rattern und ich verfalle in eine Art Paranoia.

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