Nachdem wir das Fernsehgebäude verlassen haben gehe ich zu Fuss durch die Strassen Tiraspols. Gleich beim Fernsehstudio waren mir zwei finstere Gestalten aufgefallen, die mich unfassbar böse angeschaut haben. Das gibt mir etwas zu denken, aber vorerst gefällt mir die Vorstellung, dass ich im Nachmittagsprogramm von Transnistrien gesendet wurde. Fast schon erwarte ich, dass mich Leute auf der Strasse erkennen. Was leider nicht geschieht. Oder vielleicht sind sie auch einfach zu schüchtern, um mich anzusprechen? Wurde die Sendung noch gar nicht ausgestrahlt?
Aber diese beiden Typen. Und die Worte der Englischlehrerin, die mich begleitet hatte. Ich hätte mich schon etwas weit aus dem Fenster gelehnt. Und so beim Gehen kommen die Gedanken. Wird das Bild der finsteren Gestalten im Auto immer präsenter. Habe ich jetzt ernsthaft im transnistrischen Fernsehen ein Plädoyer abgehalten, dass das Gebiet eigentlich offiziell Pridnestrovje genannt werden soll? Wie das wohl in Moldawien ankommt, zu dem Transnistrien völkerrechtlich gehört, das hier aber nichts zu sagen hat? Und plötzlich erinnere ich mich daran, dass es in Transnistrien keinen konsularischen Schutz gibt. Wie komme ich hier wieder raus? Würde ich an der Grenze aufgehalten werden? Probleme kriegen?
Ich gehe etwas essen und die Gedanken beginnen zu rasen. Ich finde immer mehr Gründe, dass ich gefangen bin. Dass der moldawische Geheimdienst hinter mir her ist. Ich überschätze meine Bedeutung, steigere mich immer mehr in eine Paranoia. Schaffe ich es über die grüne Grenze nach Moldawien (also dem offiziellen Teil)? Immerhin würden mich die Transnistrier ja sicher rauslassen und es gibt keine Grenzkontrollen der moldawischen Seite. Aber wie kann ich noch das Land verlassen?
Ein Hoffnungsschimmer bleibt mir. Mein Plan ist es, übermorgen nach Odessa in der Ukraine weiterzufahren. Ich werde also die Grenze Transnistrien-Ukraine überschreiten und Moldawien gar nicht mehr durchqueren. Aber was, wenn Moldawien mit der Ukraine zusammenarbeitet und die Grenzer bereits informiert sind? Bin ich dann in Transnistrien gefangen – ohne konsularischen Schutz?
Ich bin sehr fertig, gehe zurück ins Hostel, getraue mich aber nicht, die Hosts über meine missliche Lage zu informieren. Ich schlafe kaum, aber bis am Morgen habe ich mich einigermassen beruhigt. Wird schon gut gehen.
Ich mache mich zeitig auf den Weg in die Stadt, da ich noch eine zweite Tour gebucht habe. Ich spaziere durch einen Park, es nieselt, meine Stimmung ist schlecht. Aber nicht miserabel. Ich gehe zum Treffpunkt, wo sich noch zwei Deutsche dazugesellen, die die gleiche Tour gebucht haben. Sie erzählen gleich zu Beginn, dass sie mit dem Auto in die Ukraine und zurück gefahren seien. Das sei noch spannend. Da gebe es drei Grenzkontrollen, aber Moldawien und Ukraine arbeiteten zusammen. Man zeige zuerst den Pass den transnistrischen Zöllnern und danach würde er zugleich vom moldawischen und ukrainischen Zoll kontrolliert.
Man sieht mir wohl nicht an wie ich innerlich zusammenzucke. Ich muss durch den moldawischen Zoll. Ich bin gefangen. Die Tour ist unfassbar schlecht. Wir schauen uns irgendwelche Denkmäler an, von denen ich nichts mitkriege, wir besuchen die Festung von Bender, die irgendwie was mit dem Baron von Münchhausen zu tun hat, wir passieren russische „Friedenstruppen“, besuchen das Kloster, wo ich schon gestern war. Das alles geht an mir vorbei, weil ich inzwischen Fluchtpläne schmiede. Was, wenn ich statt nach Odessa zurück nach Chisinau fahre und von hier zurückfliege? Dann habe ich konsularischen Schutz und am Flughafen sprechen sie vielleicht englisch oder haben mehr Ahnung als an irgendeinem Provinzgrenzübergang.
Ich bin froh als die Tour zu Ende ist. Ich kehre direkt zurück ins Hostel, treffe auf Evghenia, die das Hostel wirklich wie eine Mutter führt. Ich traue mich ihr an, meine Sorgen. Sie lacht. Aber lacht mich nicht aus. Meint lapidar: du bist nicht der Erste, der da im Fernsehen war, da ist nichts dabei. Sie versichert mir, dass ich keine Probleme am Grenzübergang haben werde. Ein Stein fällt mir vom Herzen. Auch wenn ich es ihr noch nicht ganz glaube, ich hatte mir ja schon auch immer wieder überlegt, ob ich vielleicht ganz ein klein wenig übertreibe.
Nach dem Abendessen gibt es noch einen lokalen Schnaps und sie schlagen mir vor am nächsten Tag eine richtige Tour de Transnistrien zu machen. Gerne sage ich zu und gehe schlafen. Und das gelingt mir diesmal auch.