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Zug fahren in Bosnien Herzegowina

In Bosnien-Herzegowina Zug zu fahren ist ein Erlebnis. Die modernen neunteiligen Talgozüge sind bequem und klimatisiert, haben grosszügig Platz und Wifi. Besteigt man den Zug an einem Endbahnhof durch die einzige geöffnete und nutzbare Tür, kann es aber schon mal über 40 Grad im Zug haben und auch wenn das Wifi-Passwort via elektronische Anzeige bekanntgegeben wird, wird es kaum funktionieren. Der Zug kann dafür auch mal einige Minuten zu früh abfahren, wobei die erste Herausforderung überhaupt diese ist, herauszufinden welche Züge fahren – und wann. 

Bosnien Herzegowina besteht seit dem Friedensabkommen von 1995 aus zwei Landesteilen, welche nur schwer zusammenarbeiten. Zum einen handelt es sich um die bosnisch-kroatische Föderation (fortan Föderation), zum anderen um die Republika Srpska (fortan RS). Beide verfügen auch über eigene Eisenbahngesellschaften, die völlig unabhängig voneinander funktionieren. 

Rot: Republika Srpska, Gelb: Föderation

So fahren seit einiger Zeit keine Personenzüge mehr zwischen den beiden Entitäten hin und her. Damit entfällt immerhin der technisch sinnlose Lokomotivwechsel, der jeweils an der virtuellen (eigentlich einer schweizerischen Kantonsgrenze entsprechenden Grenze) vollzogen wurde. 

Seltsam ist aber, dass gemäss verschiedener offizieller Angaben auch im Sommer 2021 Züge zwischen den Entitäten fahren sollen. So gibt es in den Bahnhöfen der Föderation weiterhin überall Aushänge, wo durchgehende Züge aufgelistet sind. Speziell an diesen Aushängen ist auch, dass überall die Ankunfts- und Abfahrtszeiten von Sarajevo angeben sind.  

Fahrplanaushang in der Stadt Capljina

Auch im Fahrplan der bosnisch-serbischen Eisenbahngesellschaft, der online nur als pdf Dokument existiert sind durchgehende Züge aufgeführt. Seine auf dem Pdf aufgeführte Gültigkeit: 13.12. 2020 – 11.12. 2021. 

In Realität ist das im Sommer 2021 aber nicht möglich. Will man mit dem Zug von Sarajevo, Haupstadt des Landes und der Föderation nach Banja Luka, Hauptstadt der Republika Srpska fahren, muss man mit dem Zug bis nach Maglaj fahren, dem letzten grösseren Ort in der Föderation. Von dort muss man sich ein anderes Transportmittel suchen, um vom in der Republika Srpska gelegenen Doboj wieder mit einem Zug nach Banja Luka zu gelangen. 

Bis Frühjahr 2020 gab es den grenzüberquerenden Verkehr noch. Es gab zumindest einen Zug von Sarajevo nach Bihac, der im Gebiet der Föderation startete, durch Gebiet der Republika Srpska fuhr und wiederum im Gebiet der Föderation endete. Dieser Zug wurde gemäss einer Notiz am Bahnhof von Bihac wegen Corona eingestellt. Zuvor war der Zug um 1 Uhr morgens in Bihac angekommen und um 2 Uhr wieder abgefahren. Tickets konnten gemäss einer anderen Notiz am Bahnhof ab 10 Uhr nachts gekauft werden. 

Die erwähnten Aushänge in Bihac

Zugute halten muss man hier, dass im Online-Fahrplan der Föderation diese Verbindungen nicht mehr aufgeführt sind. Anders als in der Republika Srpska lassen sich im Fahrplan der Föderation Abfahrts- und Ankunftsort eingeben und man erhält so die Abfahrts- und Ankunftszeiten. Allerdings nur bei Direktverbindungen. 

In der Föderation können Tickets auch online gekauft werden, allerdings nur bis 3 Stunden vor Abfahrt des Zuges. Man gibt alle notwendigen Angaben ein, zahlt mit Kreditkarte und erhält dann den Hinweis, dass man das Ticket  am Ticketschalter abholen kann. Eine Möglichkeit das Ticket selber auszudrucken existiert nicht. 

Viel Sinn ergibt das nicht, ermöglicht aber immerhin dem Beamten am Ticketschalter das Ticket schon vorgängig auszustellen, damit es nur noch abgeholt werden muss. Denn ein Zugticket zu erstellen ist eine Kunst für sich. 

Dazu wird zum einen ein vorbedrucktes Stück Papier in einen Spezialdrucker eingeschoben, so dass die wichtigsten Angaben aufgedruckt werden können. Bis dahin ein normaler Vorgang. Wichtig allerdings: das Ticket muss gestempelt werden. Doch damit ist es nicht getan. Dazu muss eine obligatorische Sitzplatzreservierung erstellt werden. Dies funktioniert wie folgt: Von einem grossen Block wird ein zweifaches Ticket ausgestellt. Die eine Hälfte bleibt im Block, die andere Hälfte wird abgerissen und dient dann als Sitzplatzreservierung. Es müssen also alle Angaben doppelt ausgefüllt werden und das handschriftlich. Und ohne Unterstützung durch den durchaus vorhandenen Computer. Dies hat zur Folge, dass der Beamte natürlich nicht weiss, welche Sitze noch frei sind, weshalb die Sitzplatzreservierung – keinen Sitzplatz reserviert (aber möglicherweise garantiert, dass man einen Sitzplatz hat). Wichtig aber: es muss gestempelt sein. 

Ticket, Sitzplatzreservation und Beleg

Die Sitzplatzreservierung kostet natürlich extra, weshalb nun mit einer altertümlichen Rechenmaschine die beiden Beträge (Ticket und Reservierung) addiert werden und ein Ausdruck davon erstellt wird. Die drei Dokumente werden dann mit einem Bostitch zusammengefügt und das Ticket ist fertig. Vielleicht noch anzufügen wäre hier, dass das Ticket zumindest an manchen Schaltern nur am Tag der Zugfahrt ausgestellt werden kann.

Mit dem Online-Ticket geht dies immerhin. Es kann am Vortag bezahlt werden und wenn man es am Schalter abholt, muss man nur noch seine ID zeigen. Deren Nummer wird dannhandschriftlich in ein Formular übertragen, das man noch unterschreiben muss. Der Vorgang benötigt etwa gleich viel Zeit wie das Ausstellen des Tickets. 

Stolze Besitzer eines solchen Tickets dürfen sich nun auf den Weg zum Bahnsteig machen. Und dort die vielen Bahnmitarbeiter bewundern, welche überall rumsitzen und nichts zu tun haben. Das können in einem kleinen Bahnhof durchaus 6 Leute sein, welche irgendeine nicht näher zu eruierende Funktion haben, wenn die 4 oder 6 Züge pro Tag einfahren. Und zumindest eine Person an einem Bahnhof, wo gar kein Zug hält. Hauptsache die Uniform ist gut gebügelt. 

Talgozug und viele Mitarbeiter

Bahnhof und Plattform sind zwar heruntergekommen und wie das ganze Bahnnetz in schlechtem Zustand, aber grundsätzlich sauber. Und so wartet man auf einem der zwei Sitzbänke und mehr oder weniger pünktlich fährt der Zug ein. Für Langstrecken in der Föderation die bereits erwähnten komfortablen Talgozüge. 

Diese sind für 220 Km/h ausgelegt und wurden 2005 angeschafft, konnten aber bis 2016 kaum oder nicht eingesetzt werden, weil das Schienennetz für so moderne Züge nicht gut genug war. Neun Züge wurden angeschafft, fünf mit Tagesausstattung, vier Nachtzüge. Für ein Land, wo die längste (inzwischen eingestellte) Strecke in gemächlichem Tempo  in neun Stunden bewältigt werden kann. Aber vielleicht hatte man an internationale Verbindungen gedacht, die wohl seit ca. 2005 Jahren eingestellt sind. Seit 2016 fahren nun aber zumindest einige der Tagesformationen durch Bosnien Herzegowina. Ausgelastet sind sie aber definitiv nicht. 

So erreicht der eine Zug die Stadt Capljina fahrplanmässig um 9:37 Uhr, steht dort dann den ganzen Tag und fährt um 16:42 Uhr wieder zurück nach Sarajevo. Einsteigen kann man rund 20 Minuten vor Abfahrt, wobei der Zug dann erst mal gekühlt werden muss durch die immerhin gut funktionierende Klimaanlage. Aber anfänglich können so schon die erwähnten über 40 Grad Celsius zusammenkommen. 

Egal ob an der End- oder einer Zwischenstation, der neunteilige Zug darf nur durch eine einzige Tür betreten und verlassen werden. Durch diese durch den Schaffner zu öffnende Tür müssen alle Passagiere mit allem Gepäck ein- und aussteigen. Obwohl der Zug normal viele Türen hat – und die Gepäckabteile bei den jeweiligen Türen sind, sich also alles Gepäck bei der Eingangstüre stapelt – oder mühsam durch die Gänge geschleppt werden muss. 

Die einzige Tür, durch die der Zug betreten und verlassen werden darf…

Auch Velos dürfen mitgenommen werden. Für sie ist Platz in der Bar. Dort hat es Platz, da sie nicht sonderlich gemütlich ist, nur Stehplätze bietet und ausser Kaffee, Tee und Sodawasser eh kaum etwas gekauft werden kann. Wichtig aber: für das Velo muss ein Veloticket gekauft werden, das für einen ganzen Tag gültig ist, aber etwa gleichviel kostet wie eine Langstreckenfahrt. Dieses Ticket wird nicht am Schalter ausgestellt, sondern durch einen der bis zu drei oder mehr Zugschaffnern, welche die Tickets kontrollieren. Das Veloticket wird mit Durchschlag für 7 bosnische Mark verkauft – oder ohne Ticket für 5 bosnische Mark (was wohl nicht dem Normalfall entspricht…). 

Sitzt man einmal an einem Platz des gar nicht mal so schlecht besetzten, aber längst nicht ausgelasteten Zugs ist die Fahrt angenehm und gemütlich. Die Züge sind sauber, die meisten Toiletten funktionieren, die Klimaanlage kühlt auf die richtige Temperatur, es gibt kaum Hektik und im Idealfall erreicht der Zug das Ziel auch nur mit wenig Verspätung. Im Endeffekt funktioniert das System gar nicht so schlecht, ist aber hochgradig ineffektiv, teuer und ein finanzielles Loch ohne Boden. Und immer wieder erstaunlich, dass trotz absurder Mitarbeiterüberbelegung eine Modernisierung nicht in Angriff genommen wird. 

Allerdings war das ja nur ein Bericht über das Zugfahren in der Föderation. In der Republika Srpska gibt es zwar sogar elektronische Anzeigen der Ankunfts- und Abfahrtszeiten im Bahnhof, aber ein konkreter Test steht hier noch aus – und komfortable Talgozüge gibt es hier nicht.