Zwischen Serbien und Kroatien gibt es einen Grenzkonflikt. Für Serbien ist der Hauptverlauf der Donau die Grenze, für Kroatien die mäandrierenden Seitenarme. Aus dieser Perspektive gehören diverse Landstücke zu Kroatien (gelb in der Karte), allerdings gibt es auch wenige Landstücke, die aus der kroatischen Sicht zu Serbien gehören (grün in der Karte). Eines dieser Landstücke (in der Karte „Siga“) wird als „Liberland“ bezeichnet, respektive beansprucht. Es liegt gemäss kroatischer Sicht auf der serbischen Seite der Grenze, aus serbischer Sicht auf der kroatischen. Es wird also weder von Serbien noch von Kroatien beansprucht und ist damit ein „Niemandsland“.
Von Tomobe03 – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=32125732
Készítette: Elevatorrailfan – Ez a vektorgrafikus kép néhány olyan elemet tartalmaz, ami innen lett átvéve:, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=41462124
Diese spezielle Situation wurde von einigen findigen Leuten erkannt und sie erklärten das von keinem Staat beanspruchte Stück Land zum Staat „Liberland“. Hier sollte ein besonders liberaler Staat entstehen. Inzwischen gibt es protostaatliche Strukturen wie zum Beispiel Pässe oder eine Währung, Zaha Hadid, in deren Gebäude in Graz ich wenige Tage zuvor übernachtet hatte, hat eine futuristische Bebauung Liberlands im Metaverse erstellen lassen. Bis im Sommer 2023 war es aber niemandem gelungen, das Stück Land ohne Einwilligung der kroatischen Polizei zu betreten. Vielmehr verteidigte die kroatische Polizei das Stück Land mit viel Aufwand, was insofern absurd ist, als es sich gemäss Kroatien ja gar nicht um kroatisches Staatsgebiet handeln soll. Durch diese Massnahmen zeigte der Staat Kroatien letztlich, dass es – faktisch – die Grenzziehung Serbiens akzeptiert. Wird „grün“ verteidigt, gehört „gelb“ zu Serbien.
Die meisten Versuche auf Liberland zu landen wurden von der serbischen Seite der Donau aus versucht. Mit Booten sollte die Donau überquert und in „Liberland“ gelandet werden. Die kroatische Polizei wusste dies zu verhindern. Im Sommer gelang es dann einem Youtuber, Liberland mit einem Schnellboot von Ungarn aus zu erreichen. Ungarn und Kroatien sind beide durch das Schengenabkommen verbunden und es gibt keine Grenzkontrollen. Da er kein kroatisches Gesetz gebrochen hatte konnte er „Liberland“ (fast) unversehrt wieder verlassen. Darauf gelangten verschiedene „Liberlander“ über kroatisches Staatsgebiet auf das Stück Land und begannen eine Art Infrastruktur wie Hütten aufzubauen. Dies wurde durch die kroatische Polizei eine Zeit lang geduldet, danach wurde aber alles wieder zerstört. Im Herbst soll auch eine Hochzeit auf Liberland stattgefunden haben. Es schien also legal möglich zu sein, das Land zu betreten.
Mich interessierte nun, wie es heute aussieht. Mir war aufgefallen, dass nur wenige Meter an Liberland vorbei ein europäischer Veloweg verläuft. Und da ich ja eh immer mit dem Ebike unterwegs bin, machte ich mich ganz unschuldig auf den Weg dahin.
Landschaftlich ist es selbst im Winter eine äusserst schöne Gegend und wird auch mit „Amazon Europas“ beworben. Nach dem letzten Dorf geht es eine Weile einer geteerten Nebenstrasse entlang bis diese nach links abzweigt und eine Schotterpiste in Richtung „Liberland“ führt. Der Weg ist sehr abgelegen, nur ein, zwei Autos passieren mich. Nach knapp 20 Kilometern beginne ich etwas nervös zu werden – was erwartet mich hier? Und vor allem: was werde ich tun? Da werde ich aus meinen Gedanken gerissen, plötzlich huscht etwas Dunkles vor mir vorüber. Ein Wildschwein. Ich bin zu langsam, aber seinen Kumpanen halte ich bildlich fest.
Bei der letzten „offiziellen“ Abzweigung vor „Liberland“ biege ich ab und schaue mich um. Da hinten im Gebüsch irgendwo liegt es. Doch werde ich es auch sehen? Ich fahre weiter und plötzlich hat es eine Art Weg (oder einfach eine Schneise…) zu einem Jagdsitz. Auf der Karte sehe ich aber, dass es nur wenige hundert Meter weiter einen „offiziellen“ Weg hat, der in Richtung Liberland abzweigt. Ich fahre weiter – und stosse auf dieses Schild:
Leider funktioniert meine Übersetzungsapp auch Offline und so habe ich keine Ausrede und schaue mir an, was es damit auf sich hat: „Arbeitslose IST VERBOTEN BEWEGUNG IN DER JAGD“. Arbeitslos bin ich zwar nicht, aber ich schätze, das „verboten“ bezieht sich auch auf mich. Und da die Strasse zwar in Richtung „Liberland“, aber nicht nach „Liberland“ führt, fahre ich auf dem Veloweg weiter.
Gemäss Karte wird der Landstreifen, der mich von „Liberland“ trennt immer schmaler. Und plötzlich sehe ich eine weitere Schneise, die sich befahren lässt. Ich schaue kurz zurück – und heize los. Wenige Sekunden später bin ich an einem Flusslauf und da liegt es in aller Stille: „Liberland“.
Blick zurück zum Veloweg
Im Hintergrund: „Liberland“
Ich bin etwas erstaunt, dass das bis dahin so problemlos funktioniert hat. Ich fahre einfach auf einem Veloweg, begegne keiner Menschenseele und alles scheint ruhig. Und dafür machen die „Liberlander“ ein solches Aufhebens? Drew Binsky, ein bekannter Youtuber wollte unbedingt Liberland betreten und war gescheitert – und ich war so nahe dran, ohne irgendwelche Hindernisse?
Als ich wieder auf meine Navigationsapp schaue, bin ich erstaunt. Diese will mich nun über den unpassierbaren Wasserweg mitten durch „Liberland“ führen. Ich befinde mich zurück auf dem Veloweg (roter Kreis), A aber liegt in „Liberland“ wie auch der vorgeschlagene Weg. Ich fahre der violetten Linie entlang weiter und wundere mich, wie es wohl bei der nächsten Abzweigung aussehen mag.
Nur kurze Zeit später liegt sie vor mir, die Abzweigung, die nach „Liberland“ führt. Soll ich oder soll ich nicht. Kein Mensch weit und breit, alles ruhig, der Weg verschwindet schnell im Wald und bevor ich es realisiere bewegt sich der Lenker nach rechts und ich gebe Gas. Schnell habe ich die in der Karte eingezeichnete Abzweigung erreicht und bin wiederum erstaunt. Kein Stoppschild, kein Verbot, kein Zaun, nur eine einfache Barriere und dahinter ein sumpfiger Weg. Soll ich oder soll ich nicht?
Ich schaue auf die Karte und sehe, dass noch ein zweiter Weg nach „Liberland“ führt. Ich fahre weiter. Links hat es zwei, drei Häuser, sehen aber eher unbewohnt aus. Egal. An der Donau angekommen gibt es eine weitere Schranke, hier aber wiederum mit einem Schild versehen: „VERBOTENE BEWEGUNG DURCH JÄGER JAGD LÄUFT“. Spannend. Auch hier kein eigentliches Verbot, sondern nur ein Verbot für Jäger, sich zu bewegen. Ob ich da was falsch verstehe?
Ich hatte mir vorgenommen, keine Verbote zu überschreiten. Das war es mir nicht wert. Ich fahre deshalb zurück und stoppe nochmals an der ersten Schranke. Hier gibt es kein Verbot, aber einen Sumpf. Ich hadere. Soll ich oder soll ich nicht? Ich bin alleine auf weiter Flur, habe aber wirklich keinen Bock auf eine Auseinandersetzung mit der kroatischen Polizei.
So wie sich zuvor mein Lenker automatisch nach rechts bewegt hat, bewegen sich nun meine Füsse und beginnen zu trampen. Ich habe es gesehen, ich war so nahe dran wie möglich, das Betreten von „Liberland“ wäre nur noch eine Mutprobe gewesen und auf die hatte ich es eigentlich nicht abgesehen. Gleichwohl bin ich etwas enttäuscht, fahre wieder in Richtung Veloweg, halte noch kurz an und wechsle den Akku.
Ich höre ein Auto und blicke auf. Ich erstarre. Nur wenige Dutzend Meter vor mir fährt ein Polizeiauto vorbei. Direkter Sichtkontakt, was soll ich schon sagen, was ich hier mache? Der Wagen fährt weiter – und bremst ab? Nein. Nicht wirklich. Haben die mich echt nicht gesehen? Das erscheint mir fast unmöglich. Doch es ist so. Sie fahren weiter.
Ort, wo ich den Akku wechsle, hinter der Holzbeige links im Bild liegt der Veloweg, 90 Grad zum sichtbaren Weg
Das Polizeiauto
Mit leicht schlotternden Knien fahre ich auf den Veloweg und die Gedanken beginnen zu kreisen. Ich war eine Stunde auf dem Veloweg und kaum ein Auto und nun fährt ein Polizeiauto vorbei? Sind die auf der Suche nach mir? In dem Moment realisiere ich wie doof ich war, unmittelbar danach weitergefahren zu sein – wenn die zurückkommen wie erkläre ich es, dass sie mich vorher nicht angetroffen haben? Plötzlich bin ich froh, mich beherrscht zu haben. Ich fahre weiter und sehe einen Van am Strassenrand stehen. Ich denke mir nichts dabei und bemerke erst als ich daran vorbeifahre, dass es sich ebenfalls um ein Polizeifahrzeug handelt.
Vermutlich handelt es sich dabei tatsächlich um einen „Posten“, der dafür zuständig ist, dass keine Fahrzeuge nach „Liberland“ fahren können. Da ich die 20 Kilometer lange Route (plus lange Zufahrt vom nächsten Ort) auf mich genommen habe, bin ich auf kein Hindernis gestossen. Von der nächsten Hauptstrasse her sind es aber nur 4 Kilometer. Und genau dazwischen der Polizeivan.
Ich fahre weiter – und es erscheint ein weiteres Polizeifahrzeug im Rückspiegel. Scheisse. Es ist dasselbe Modell wie das, das mich am falschen Ort überrascht hatte. Aber wie sind die zurückgekommen? Sind die wirklich auf der Suche nach mir? Ich versuche so ruhig als möglich weiterzufahren und bin erleichtert als es mich einfach passiert.
Am Ende des Velowegs angekommen pausiere ich kurz und sortiere meine Gedanken. Bald wird mir klar, dass es sich wohl um zwei verschiedene Polizeiautos gehandelt hat. Dass ich als Velofahrer (mit Gepäck…) wohl eh zu unschuldig gewirkt habe. Und dass ja vielleicht einfach Mittagspause war oder es einen anderen Grund für die gehäufte Präsenz gab. Kaum vorstellen kann ich mir aber, dass sie mich auf dem „verdächtigen“ Weg nicht gesehen haben.
Nun, hätte ich es dennoch wagen sollen, wagen können? Passiert wäre mir wohl nichts, ausser dass ich dreckige Schuhe gekriegt hätte. Wäre ich wenige Minuten später zurückgefahren wäre ich dem Polizeiauto nicht oder schlicht auf dem Veloweg begegnet. Ich glaube nicht, dass es Kameras hat, die das Gelände überwachen und Gesetze gebrochen hätte ich – bei der ersten Abzweigung – wohl ebenfalls nicht. Eine Schranke darf wohl zu Fuss umgangen werden. Auf jeden Fall war es mir auch so Abenteuer genug.