Milano ist voll. Ausgebucht. Rien ne vas plus. Non funziona piu niente. So wie Barcelona vor einem Jahr. Der Versuch ein Hotel zu buchen fördert den tiefsten Sumpf der Hotelmafia zu Tage. Wobei: ohne Auswahlfilter hat es durchaus noch eine Auswahl. Ab 450 Franken für ein Einzelzimmer in einem Aussenbezirk. Natürlich ohne Zugang zum Spabereich, der ansonsten inklusive wäre und ohne Frühstück. Mit Filter aber heisst es: 89 Franken für ein Zimmer im 12er Frauenschlafsaal (ob da das Bekenntnis genügt, eine Frau zu sein?) oder für 167 Franken ein Einzelzimmer mit Gemeinschaftsbad in einem einigermassen zentral gelegenen Hotel. Mit der Bewertung „schlecht“, „sehr schlecht“ oder „enttäuschend“ bei meinem meist verhassten, aber halt doch sehr praktischen Buchungsportal booking.com. Wobei schon „durchschnittlich“ bedeutet, dass das Hotel besser zu meiden ist.
Die Bewertungen zu lesen macht allerdings durchaus Spass. Wenn man die Unterkunft nicht als einzige valable Möglichkeit sieht, seine nächste Nacht darin verbringen zu müssen. Schmutz und Schimmel sind da selbstverständlich selbstverständlich. Eine Nachbarschaft durch die man seine einzige Tochter nicht mal tagsüber in Gedanken schreiten lassen möchte, ebenfalls. Dünne Wände, die einen nicht nur an eigentlich durchaus angenehmen zwischenmenschlichen Tätigkeiten direkt teilnehmen lassen, gehören dazu. Insbesondere indem sie das Gestöhne und Gequietsche ungefiltert durchlassen – und einen auch olfaktorische Reize spüren lassen. Und die den Streit danach ungefiltert durchdringen lassen, wenn die Bezahlung dann doch zu gering war. Einziger Trost ist in solchen Momenten, dass man sich vom Gezeter ablenken lassen kann durch den Lärm des Strassenverkehrs, der durch die nur theoretisch existierende Isolierung kaum abgehalten wird. Und wenn man noch mehr Glück hat werden mehr nah als fern Schüsse abgefeuert, die das Heulen von Sirenen zur Folge haben und noch mehr Ablenkung bieten. Am besten natürlich direkt vor dem Hotelfenster, so dass man für den Preis immerhin noch etwas Action geliefert kriegt.
Aber all das lässt sich aushalten, solange man nicht ein anderes zutiefst menschliches Bedürfnis verspürt und das Zimmer verlassen muss. Wobei in solchen Momenten glücklich ist, wer das teurere Zimmer für 232 Franken gewählt hat – das über ein kleines, ungeschickt angebrachtes, aber immerhin funktionierendes Waschbecken mit Ablauf verfügt. Da könnte man schon in Versuchung kommen. Doch der Gentleman macht sich natürlich auf den Weg ins Etagenklo. Vorbei an mit Blut verklebten Spritzen, die einen daran denken lassen, dass man hier immerhin gratis eine Restmenge von irgendwelchen krassen Drogen probieren könnte. Und als Profi hat man für diesen eigentlich unspektakulären Ausflug extra Bergschuhe mitgebracht. Denen die Überschwemmungen nichts anhaben können und die sich leicht reinigen lassen. Besser wären natürlich billige Plastikstiefel geeignet, die man nach dem Klogang direkt wegwerfen könnte, aber die benötigen schlicht zu viel Platz im Gepäck. Insbesondere, wenn man eine schwache Blase hat und mehrmals pro Nacht den beschwerlichen Weg auf sich nehmen muss.
Milano ist voll. Barcelona war es auch. In Barcelona hatte ich mich dann für ein Zimmer entschieden. Mickrig klein, winziges Fenster zum Gang, immerhin eigene Dusche und Klo für über 200 Franken für eine Nacht. 90cm Bett. Mehr hätte nicht Platz gehabt. Aber immerhin: Frühstück inklusive – das aus Toastbrot und abgepacktem Käse und Schinken bestand. War die günstigste Option zumindest in der Nähe des Bahnhofs von dem ich am nächsten Morgen früh weiterreisen wollte.
In Milano wollte ich mein Glück dann lieber nicht versuchen. Wo das Hotel in Barcelona ganz OK war, schienen hier wirklich nur noch Übernachtungsmöglichkeiten übrig geblieben zu sein, die gemäss Bewertungen keine Existenzberechtigung mehr hatten. Und wo ich mich immer frage, wie und warum Menschen diese Hotels überhaupt buchen. Das sind wohl Menschen, die jedes „TU ES NICHT“ ignorieren und einfach ein spannendes und ereignisreiches, wenn auch nicht zwingend einfaches Leben haben wollen.
Gut, ich hab das auch schon extra gemacht. In Australien. Extra das übelste Hotel gewählt. Bin schliesslich ein sehr neugieriger Mensch. Es war das einzige Hotel, das die Reservation über Booking übersehen hatte. Was keine Rolle spielte, da es eh fast leer war und ich im Pub im Erdgeschoss empfangen wurde und man sich da ja gleich ein kühles Bier als Willkommensdrink auf eigene Kosten genehmigen konnte. Und nach drei Bieren war das Zimmer dann auch so bereit wie ich breit. Aber es war eine gute Wahl gewesen. Nicht die sauberste Unterkunft, aber mit Charme. Eigenwillig. Mit Charakter. Mit Mithotelgästen, die viel zu erzählen hätten, so man sie denn erzählen liesse. Hatte sogar einen Kühlschrank im Zimmer. Der so laut war, dass ich ihn abgestellt habe. Und am nächsten Morgen war das Zimmer überschwemmt. Eisfach. Hatte immerhin den Vorteil, dass damit der Boden zum ersten Mal seit Jahren wieder mit Wasser in Berührung gekommen war.
Ich schweife ab. Sitze im Zug nach Genua. Wo die Hotelpreise normal sind. Im Gegensatz zu Milano. Und reflektiere über meine typischen kapitalismuskritischkritischen Gedanken: Die Abgaben für Booking mögen hoch sein, für manche Hotels zu hoch, aber die Hotels profitieren dabei auch von Marktpreisen: ohne Portal wären die Zimmer entweder längst alle ausgebucht oder würden gerade die schlechteren Hotels tiefere Preise verlangen, wären genau gleich ausgebucht wie jetzt, aber zu deutlich tieferen Preisen. Zumindest in Fällen wie diesen scheinen viele Hotels weit mehr von der grossen Marktmacht des grossen Buchungsportals zu profitieren als das gemeiniglich angenommen wird. Hach, ich liebe es, Kapitalismuskritik zu kritisieren. Aber ehrlich: zugleich wird mir dieser Text jetzt zu theoretisch und deshalb: Prost. Und denken Sie daran: Urlaub bedeutet auch, sich Ungewissheiten zu stellen.