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Visum

Wars das gewesen? Das Ende meiner Träume? Nach monatelanger Vorbereitung? Dutzender gelesener oder überflogener Bücher? Reiseführer? Youtube Videos? 1002 Gedanken wie und was ich im nächsten halben Jahr machen soll? und will? und überhaupt? Denn so wirklich einen Plan habe ich auch weiterhin nicht.

Am Anfang stand die Idee, die USA mit dem eBike zu bereisen. Wo doch grad Wahlkampf ist und ich von meinem Arbeitgeber mehr als grosszügig unterstützt eine mehr als halbjährige Auszeit nehmen darf. Vielleicht eine Schnapsidee, aber ich habe sie ernsthaft weiterverfolgt. Auch nüchtern. Und irgendwann gefunden, dass es vielleicht schon etwas ambitioniert ist. 100 Kilometer pro Tag. Im Schnitt. 180 Tage ist das Visum gültig, also 18000 Kilometer maximal. In etwa die Strecke New York San Francisco. Und zurück. Und dann nochmals nach San Francisco. Und nochmals zurück. Also jeden zweiten Tag ein Ruhetag. Denn einmal hin und zurück ist mir genug. Wobei.

Ambitioniert ist anders. 4500 Kilometer ist schon ziemlich der direkteste Weg. Und den will und kann ich nicht nehmen. Und nicht den gleichen Weg zurück. Sonst hätte ich ja die Monate vergebens mit all diesen Büchern und Reiseführern verbracht. Die mir nahelegten nicht die direkte Route zu nehmen, sondern einen ziemlichen Zickzackkurs zu verfolgen. Wo aus 4500 Kilometern schnell 9000 werden. Und dann wieder zurück. Dann halt doch keine Ruhetage.

Oder eine Vespa an des E Bikes Stelle. Auch coole Idee. Vor allem da ich grad dieses Buch gelesen habe von diesem Typ, der mit einer alten PX aus den Siebziger Jahren erst von San Francisco nach Alaska gefahren ist – und danach nach Patagonien. Gut, der hat mehr Zeit gehabt. Aber schon auch cool. Ausser, dass er alle paar hundert Kilometer eine Panne hatte. Dann halt eine neue Vespa. Schon auch geil.

Um diese Alternative auszuprobieren fliege ich nach Kreta. Miete ein Motorrad. Grösser und stärker und schneller und besser als eine Vespa. Aber voll uncool. Und ziehe nach 1000 Kilometern ein erstes Fazit. Durchschnittsgeschwindigkeit: bei weitem keine 40 Km/h. Das ist weit weniger als doppelt so viel als ich mir mit dem eBike erhoffe – zumal in den USA die unterstützte Geschwindigkeit bei 32km/h liegt, 7 km/h schneller als in Europa.

Zudem gibt es ein Problem. Möglicherweise wegen der europäischen DSGVO scheint es nicht mehr möglich zu sein, legal eine Fahrzeugversicherung abzuschliessen. Mit einem Trick ist es zwar weiterhin möglich, im schlimmsten Fall zahlt die Versicherung dann einfach nicht bei einem Schadensfall. Und das in den USA. Eher uncool.

Dann halt doch eBike. Und da gibt es ja noch mehrere Joker: Bahn, Bus und Auto. Auch wenn die USA nicht bekannt sind als Land der Bahnen (was sie durchaus mal waren und Güterzüge fahren auch weiterhin viele), gibt es mehrere West Ost Strecken und ist die Mitnahme in der Bahn – seit Januar 2024 – auch für eBikes erlaubt. Tönt nach einer akzeptablen Option. Mit einem Problem: Die Bahnlinien liegen schnell mal 1000 Kilometer und mehr auseinander und natürlich liegen die schönsten Ziele exakt in der Mitte dazwischen. Macht dann schnell mal eine Woche fahren, nur um ein besonderes Ziel zu erreichen. Und danach eine weitere Woche, um zur nächsten Zugstation zu gelangen.

Aber das gehört zum Abenteuer. Weil in dieser ersten und danach auch in der zweiten Woche sicherlich nicht nur die Landschaft öde, die Strassen schlecht und zu stark befahren, die Menschen unnahbar und meine Stimmung nahe dem Gefrierpunkt sind. Nein, weil genau darin der Reiz besteht. Im Regen und Sturm bei Gegenwind quer durch die USA zu reysen. Das einzige Motel voll, der Zeltplatz verwaist, beim Wildzelten den Pfefferspray vergessen und vom Bären verspeist. Vielleicht ist es ja ganz gut. Dass es das womöglich gewesen ist. Welcher Idiot kommt nur schon auf eine solche Idee. Aber eben: in diesem Moment habe ich sowieso aufgegeben. Bevor es begonnen hat.

Ich hatte alle Fragen offen und ehrlich beantwortet. Wo ich zur Schule gegangen bin. Wann ich mit dem Studium begonnen habe. In welchen Ländern ich in den letzten fünf Jahren gewesen bin. In vielen. Und wenn man das nicht innert 10 Minuten eintragen kann wird man ausgeloggt. Speziell wird darauf hingewiesen, dass man alle 10 Minuten zwischenspeichern soll. Bloss funktioniert das Speichern nur, wenn man alle Angaben korrekt eingegeben hat. Was nicht möglich ist, weil es schlicht zu viele Angaben sind. Oder man danach suchen muss, wann man jetzt genau mit dem Studium begonnen hat. 10 Minuten Zeit. Danach Exitus. Immerhin nur temporär.

Es war eine Pein. Dann die Foto. Extra Stativ mit Kamera installiert. Und dann wird sie nicht akzeptiert. Die Foto. Der zweite Versuch ist dann unvorteilhaft. Verbrechergesicht. Aber funktioniert. Auch egal. Dann die Gebühr bezahlt, was leicht geht. Alles klar. Nun noch der letzte Schritt: einen Termin in der Botschaft in Bern buchen. Ich gelange auf die Website und bin etwas überrascht. Es gibt zwar einige freie Termine, aber alle sind am Morgen. Kein Termin passt mir wirklich und ich klicke mich durch die ganze Woche durch in der Hoffnung auf einen Nachmittagstermin, der mir besser passt. Und durch die nächste Woche.

Offensichtlich war das zuviel. Als ich den Termin buchen will erscheint die Meldung, dass ich temporär von der Website gesperrt wurde. Ich refreshe. Warte. Nervös. Warte. Ewigkeiten. Nach 30 Sekunden der nächste Refresh. Ich gehe in den Keller, Wäsche abhängen. Zurück in der Wohnung: Refresh. Habe sicher lange genug gewartet. Denkste. Es folgt der absolute Schocker: „you have been blocked“. Definitiv. Kein Termin. Keine Möglichkeit. Ich greife zu meinem Handy. Anderes Gerät, das funktioniert vielleicht. Das hat ja 5g. Wobei ich erst spät bemerke, dass ich vergessen habe, das Wifi auszuschalten. Es erscheint die Meldung, dass geprüft werde, ob ich ein Mensch sei. Die Prüfung dauert. Irgendwann gebe ich auf. Soeben wurde entschieden, dass ich kein Mensch sei. Ich tigere durch die Wohnung. Stelle mir vor wie ich in der Warteschlaufe der Botschaft lande. Und die keine Ahnung haben, wo das Problem liegen könnte. Aber vielleicht vergeben die Termine auch manuell. Vermutlich nicht.

Ich versuche es nochmals. Mit einem dritten Gerät. Diesmal von Anfang an über 5g. Und es ist schon erstaunlich, wie schnell Emotionen wechseln können. Es funktioniert. Es war nur die IP Adresse gesperrt und nicht mein Account. Jetzt nur keine Fehler machen. Ich klicke auf den erstmöglichen Termin. Ist jetzt auch egal. Und kann es kaum glauben als wenige Minuten später die Bestätigung im Email-Postfach liegt. Ich habe es geschafft.

Nun scheint nur noch der Termin in der US-Botschaft zwischen mir und meinem Projekt zu stehen. Das Visum. Ob ich schon am Vorabend anreisen soll? Im Hotel übernachten? Einen neuen Anzug kaufen? Krawatte? Ne, das habe ich mir als Jugendlicher geschworen will ich mir nie antun. Auch wenn mir diese jugendlichen Schwüre heute nicht mehr so wichtig sind, es geht auch ohne. Hoffentlich. Vielleicht. Vermutlich. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Ich nähere mich dem Abenteuer. Entscheidungen stehen an und es wird sich zeigen, welche Hindernisse sich noch auf den Weg machen, um sich mir in den Weg zu stellen. Arztbesuche: Check. Zahnarztbesuch: Check. Fitnessstudio: ähm, Abo gekauft. Es bleibt noch viel zu tun, aber langsam beginne ich daran zu glauben: das ist es noch nicht gewesen. Vermutlich. Vielleicht. Nein. Ganz sicher nicht. Oder…

P.S. 18000 Kilometer entsprechen etwa der Strecke – Zürich Tokyo. Einfach. Via Türkei, Iran, Afghanistan, Pakistan, Indien, Bangladesh, Myanmar, Laos, Vietnam, China, Nordkorea, Südkorea und ner kurzen Schifffahrt, die ich 2019 schon mal gefahren bin. Also die Schifffahrt.

P.P.S. Das Interview für das Visum bestand aus drei Fragen. Drei kurze Antworten und es war „approved“. Nun warte ich nur noch darauf, dass der Pass rechtzeitig zurückgesandt wird und nicht verlorengeht…

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