Ja, zu diesem Post fehlt ein Bild. Denn ein Bild habe ich nicht gemacht von ihm. So hatte ich es mir zuerst gedacht. Aber ein Post ohne Bild geht nicht und ganz unschuldig passt ja auch ein Bild vom schönen Zürichsee. Denn wir befinden uns in Zürich.
Wir sitzen in einem Restaurant, trinken Bier, bestellen ein Abendessen, das ich wohl lange nicht mehr essen werde und natürlich bringt mir der Kellner dann nicht das Gewünschte, sondern Fleisch mit Pommes, das Standardmenu in den USA. Was solls.
Es ist Zeit, Abschied zu nehmen und solche Abende häufen sich gerade. Es ist schön und ich geniesse es, vielleicht macht es mir aber auch Angst, gute Freunde nun ein halbes Jahr nicht mehr zu sehen. Zu allem Übel haben sich seit gestern Rückenschmerzen eingestellt, die sich anfühlen als würde mein Rücken bei der kleinsten Bewegung zerbrechen.
Billiges Stichwort, aber es passt. Zu vorgerückter Stunde werde ich auf einen Mann aufmerksam, der hinter mir sitzt. Er hat eine klare, laute Stimme, so dass ich ihn nicht ignorieren kann, was mich aber fasziniert ist, dass er einen unglaublichen Sprachwitz hat. Er reisst Sprüche, macht Pointen, die zugleich intelligent als auch meist etwas unanständig sind. Er fasziniert mich.
Als mein Sauf- und Esskumpan auf Toilette geht drehe ich mich um und beginne mit dem Mann zu sprechen. Es geht alles sehr schnell und vieles kriege ich nicht mit, aber es ist ein trauriges Schicksal. Geschiedene Ehen, eine Tochter, die er nicht sehen kann und der er nun mitgeteilt hat, dass sie sich auch nicht um ihn zu kümmern brauche, viel zu hohe Alimente, Gelegenheitsjobs, Sozialhilfe, drohende Obdachlosigkeit, fehlende Rechte als Vater, keine Perspektiven etc. etc. Und natürlich ertränkt er sein Leid in Alkohol.
Und dennoch bin ich fasziniert. Wiederum seine Formulierungen. Trocken. Zynisch. Böse. Aber auch reflektiert. Natürlich geht es irgendwann um Nazis und Juden. Aber nicht primitiv, sondern einmal mehr vorsichtig, überlegt, Gedanken anregend.
Ich versuche ihn mit No Future Parolen zu provozieren, ich scheitere. Er setzt sich glaubwürdig für die Menschheit ein, für die Zukunft, obwohl sein Dasein aus Sicht von aussen tragischer kaum sein könnte. Er spricht von Leibeigenschaft, von Schwarzarbeit, tiefen Löhnen, fehlender sozialer Unterstützung, von Frauen, die ihn ausgenützt haben, aber auch wie er kein schlechtes Gewissen hat, sicher oft Grenzen überschritten hat, wie das Geld auszugehen droht und dennoch: verbittert wirkt er nicht. Nicht hoffnungslos, vielleicht ein wenig resigniert. Gebrochen. Er hat wohl lange gekämpft und er gibt nicht auf. Aber er hat auch seine Grenzen kennengelernt und vielleicht sein Scheitern eingestanden.