Meine ersten Amish. Sie überraschen mich. Noch mehr als das Frühstück im Hotel. Dieses war als sehr reichhaltig mit grosser Auswahl bezeichnet worden und ich hatte mich so sehr darauf gefreut. Naja. Abendessen können sie. Frühstück: verbesserungswürdig.
Um halb Acht bin ich auf der Strasse und es geht auf einer angenehmen Strasse mit wenig Verkehr ein Tal hinauf. 400 Höhenmeter sind zu bezwingen auf einer langen, bewaldeten Strecke, das ist machbar. Sehr gut machbar. Ich komme schnell voran und bald habe ich einen Schnitt von weit über 20 Km/h. Cool. Bevor es wieder runter geht. Der Schnitt sollte zu halten sein.
Bei einem der ersten Häuser bei der Abfahrt fallen mir Trottinetts mit grossen Rädern auf. Ich hadere kurz, ob ich umkehren und ein Bild machen sollte, ich habe so ein Gefühl, dass das kein Zufall ist. Einige Kilometer weiter mache ich meine 360 Grad Kamera an, wieder so ein Gefühl. In der Ferne hat es Silos wie ich sie auch schon gesehen habe. Und in der Tat sehe ich weitere Trottis und dann plötzlich die ersten zwei Amish. Eine junge Frau und einen jungen Mann. Die – ich bin perplex – mit einer benzinbetriebenen „Sense“ das Gras mähen. Benzinbetrieben. Dabei sind die Amish doch dafür bekannt noch so zu leben wie im 18. Jahrhundert oder so. Ohne Errungenschaften der Moderne. Und das Gras am Strassenrand könnte man problemlos mit einer Sense oder einer Sichel motorlos schneiden.
Die Lösung ist wohl einfach. Es gibt solche und solche. In ein paar Tagen plane ich in Ohio durch Gegenden zu fahren, wo extrem traditionelle Amish leben sollen. Wobei sich diese religiöse Gruppierung durchaus durch unkonventionelle Dinge auszeichnen soll. So sollen gewisse Amish in ihrer Jugend ausdrücklich Party machen, Drogen nehmen, Sex haben, um sich danach angewidert von solchen Sünden fernzuhalten und in der Community zu bleiben. Habe ich zumindest irgendwo gelesen. Und ist mir geblieben, weil dies zu hundert Prozent das war, was ich nicht erwartet hätte.
Typisch für Amish ist jedenfalls die Erwachsenentaufe. Der Entschluss bei den Amish zu leben soll bewusst gefällt werden. Und es gibt auch immer wieder welche, die abhauen, die ein Leben in der Stadt bevorzugen, was je nach Community akzeptiert oder mit Ausgrenzung sanktioniert wird.
Amish ist also nicht Amish, die Unterschiede sind gross. Was aber auch bei den von mir beobachteten „modernen“ Amish auffällt: sie sind traditionell gekleidet. Wie im vorletzten Jahrhundert oder früher. Und dieser Kontrast ist schon faszinierend.
Etwas weiter begegne ich noch einem Jungen mit einem der erwähnten Trottis und dann das Highlight: weit, weit vor mir sehe ich eine Pferdekutsche. So glaube ich. Mir bleiben noch 4 Kilometer Akku und ich gebe alles. Ich fliege voran, doch die Kutsche, die womöglich auch gar keine Kutsche war ist verschwunden. Ich will schon aufgeben, da sehe ich sie gar nicht so weit vor mir einen Hügel hinauffahren. Ich schalte rauf, pumpe die letzten Wattstunden Energie in den Motor, beschleunige und bald bin ich direkt hinter ihnen. Soll ich überholen? Ein wenig peinlich, denn in maximal 2 Kilometern muss ich anhalten und Akku wechseln. Ich tue es gleichwohl, fahre mit beinahe 40 Km/h vorbei, fahre noch etwas weiter und halte dann an einer Abzweigung bei der nächsten Ortschaft. Stelle das Rad so hin, dass die Kamera die Kutsche besser einfangen kann. Wie peinlich. Und als sie kommt, biegt sie tatsächlich ab, was ich nicht erwartet hatte. Trotzdem irgendwie witzig.
Die restliche Fahrt ist wenig spektakulär. Rauf, runter, rauf, runter. In State College (so heisst die Ortschaft, die die Penn University beherbergt) gehe ich in einem Mc, ich habe Hunger. Und hatte es schmackhafter in Erinnerung. Danach gehts zum Hotel, auf die Suche nach einem Velomech (vgl. separater Artikel), kurz Einkaufen, etwas Lesen auf einer Parkbank bis die ersten Tropfen fallen und bald folgt der erste Blitz und Donner. Das angekündigte Donnerwetter. Bis es losgeht bin ich längst im Hotel, hänge etwas herum und da der Regen anhält gehe ich wenige Meter neben dem Hotel in ein American Diner.
Es laufen Baseball, Basketball und Football. Die heilige Dreifaltigkeit. Aber, ich bin mehr als erstaunt, auf einem Screen läuft ein Lokalsender. In einem Park in der Nachbarstadt gab es Vandalismus. Irgendein irgendwas wurde überfallen. Ein Sheriff zielt mit irgendeinem Schiesseisen irgendwohin. Dann das Wetter. Thunderstorm. Temperaturen fallen. Werbung. Und irgendwo zwischendurch ein greiser Mann. Der sich offensichtlich Mühe gibt, so zu gehen, dass niemand sein Alter bemerkt. Dessen Gesichtsausdruck mich an meinen Vater erinnert, kurz vor seinem Tod. Es könnte Parkinson sein. Und dann eine junge Frau. Gut. 59. Aber sie wirkt viel jünger. Vor allem vitaler. Sympathisches Lächeln, durchaus mit Charisma. Dann wieder ein anderer alter Mann, orange Haare, Miesepeter, Unsympath.
Wenn ich diese Bilder vergleiche, könnte der Wahlkampf tatsächlich nochmals neu lanciert sein. Geht es um Inhalte? Oder um Bilder? Um Inszenierungen? Wo noch vor wenigen Tagen zwei alte Männer gegeneinander „kämpften“ geht es nun um eine vitale Frau gegen einen Griesgram. Kamala Harris hat schlechte Umfragewerte, konnte bislang politisch kaum überzeugen. Donald Trump hat seine Anhänger. Die Wahl wird aber bei den Unentschlossenen entschieden und für die hat das Rennen soeben neu gestartet.
Im Moment aber kümmern mich ganz andere Dinge. Die Spaghetti an Tomatensauce schmecken. Zusammen mit dem unfassbar grossen Chickenfilet bin ich einmal mehr nahe dran wie alle anderen drei Viertel davon mit nach Hause zu nehmen. Da ich kein Zuhause habe hier, esse ich einfach alles auf.
Und werde dann wohl früh zu Bett gehen. Ich bin ziemlich erschöpft und es folgen nach Plan zwei strenge Tage mit vielen Höhenmetern. Und das feuchtheisse Klima ist eine Herausforderung für den Körper, der Sattel hat sich zwar bislang bewährt und dennoch schmerzt der Hintern, auf Details soll hier verzichtet werden… und so schlage ich mich Tag für Tag durch, reserviere Hotels nicht zu früh, um meine Pläne flexibel anpassen zu können und hoffe, dass nicht plötzlich alle Optionen besetzt und ich obdachlos irgendwo im Nirgendwo landen werde. Wobei: das wäre dann wohl wieder ein grösseres Abenteuer…