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Tag 12 Highway to Hell

Weiterhin bleibe ich vom Regen verschont. In der Nacht allerdings hat es gestürmt und auch tagsüber muss es geregnet haben – bloss nie, wo ich war. Die Sturmschäden behindern meine Weiterfahrt. Einmal muss ich wegen eines umgekippten Baums umkehren, ein zweites Mal werde ich vor einem umgekippten Baum gewarnt. Leider ohne Hinweis, ob eine Durchfahrt dennoch möglich ist. Die Umwege sind zum Glück nicht allzu gross.

Wie schon die letzten Tage fahre ich grösstenteils auf dem Railtrail, fast schon ein wenig langweilig, aber perfekt zum Velo fahren. Kurz vor Cincinnati hört die umgebaute Eisenbahnlinie dann auf und erst fahre ich einem Flugfeld, dann dem Ohio River entlang. Es sind nur noch wenige Kilometer, da wird auf eine „Road closure“ hingewiesen. Immer mühsam. Der Umweg führt über einen Highway, wo zwar nur relativ klein, aber deutlich darauf hingewiesen wird, dass langsame Fahrzeuge wie Velos nicht erlaubt sind. Ich fahre wieder auf die vorherige Strasse zurück und fahre in Richtung Baustelle. Bevor ich sie erreiche frage ich einen Einheimischen, ob ich mit dem Velo durch die Baustelle fahren könne. Er meint nein. Meint leider auch, dass er anstelle des Highways keine sinnvolle Umfahrung kenne. Damn.

Ich fahre zum nahegelegenen Fluss, überlege, was ich machen soll und frage drei nicht mehr ganz junge Ladies um Rat. Sie meinen, dass die Anwohner ja auch irgendwie da durchkommen müssten, ich solle es einfach versuchen. Wäre wohl eh mein Plan gewesen und in der Tat ist die Strasse zwar komplett aufgerissen, der Bürgersteig aber „intakt“. So erreiche ich Cincinnati wohlbehalten. Doch die grösste Herausforderung steht noch an.

Ich hasse es, hohe und lange Brücken zu überqueren. Der Ohio River ist in Cincinnati schon ein ziemlicher Fluss und ich war mir von Anfang an bewusst, dass das unangenehm werden könnte. Und die Brücken sehen dann auch imposanter aus als auf Google Earth…

Ich wundere mich, dass mich meine Navi-App nicht über die berühmte Purple People Fussgänger- und Velobrücke leitet, bin aber auch froh, weil ich so noch ein paar Kilometer weiter fahren kann. Die von der App gewählte Brücke hat leider einen extrem mühsamen Boden aus Eisen, wo die Veloreifen immer wie in Schienen zu führen drohen. Kenne ich. Uncool. Ich fahre zur ersten Brücke zurück und sage mir, dass das schon klappen wird.

Leider einmal mehr: „Road closed“. Damned. Ich überlege mir, ein Uber oder Taxi zu nehmen, bin aber nicht begeistert von der Idee. Es gäbe auch eine Fähre, die ist aber zu weit Fluss auf- oder abwärts, keine Ahnung, in welche Richtung der Fluss fliesst, das ist mir in dem Moment ziemlich egal.

Ich fahre an einigen Obdachlosen vorbei (härteres Schicksal als meins!), an spielenden Kindern und ihren Müttern, turtelnden Verliebten, einfachen Spaziergängern, sehe Velofahrer und Fussgänger die Brücke überqueren, bin angespannt. Aufgeben ist aber auch keine Option, denn es werden noch weitere solche Brücken kommen auf meinem Weg. Wenn ich jetzt aufgebe, werde ich den Pazifik vermutlich nicht erreichen.

Irgendwann gebe ich mir einen Ruck, fahre die Auffahrt zur Brücke rauf. Sobald ich den seltsamen Boden erreiche weiche ich zurück, kehre um. Wirklich sehr mühsam. Ich warte bis alle Autos vorüber sind, schalte in den Turbomodus und fahre zugleich schnell und vorsichtig die Brücke rauf (sie hat eine gewisse Steigung). Es gäbe stets die Möglichkeit, umzukehren, aber ich sehe den höchsten Punkt schnell näher kommen und bin eigentlich erstaunlich entspannt. Ich merke, dass erste Autos hinter mir aufschliessen. Zum Glück hupen Amerikaner in solchen Situationen in der Regel nicht, sondern fahren geduldig langsam hinter einem her. Und so ganz sicher bin ich mir nicht, ob da wirklich Autos sind. In den Rückspiegel wage ich mich nicht zu gucken. Ich fahre hochkonzentriert und schon bald geht es wieder hinunter. Ich muss bremsen. Vorsichtig. Der Boden ist wirklich mühsam. Und hinfallen will ich nun definitiv nicht. Schon bald sehe ich Asphalt vor mir. Noch relativ weit weg, aber ich sehe ihn. Will beschleunigen. Muss aufpassen. Der Boden ist wirklich mühsam. Wieder bremsen. Nur nicht zu stark. Und dann habe ich es geschafft. Ich bin in Kentucky. Ich habe die Brücke überquert.

Es war mühsam, aber nicht schlimm. Was nur schon deshalb wichtig ist, weil ich übermorgen wieder auf die andere Flussseite zurückfahren will. Bald merke ich allerdings, dass es da auch noch ne andere Option gäbe. Ich fahre wie die App vorschlägt dem Fluss entlang (auf- oder abwärts, egal). Nach ein paar Kilometern folgt eine Abzweigung, wo es dann noch 200 Höhenmeter den Hügel raufgeht. Und wenige Meter (!) nach dieser Abzweigung – befindet sich die erwähnte Fähre. Soviel zu meiner exorbitant guten Planung…

Es ist heiss. Oben auf dem Hügel gehts in den Subway, Eis mit Cola Zero. Vor allem Eis. Und dann noch wenige Kilometer bis nach Florence. Die gebuchte Unterkunft verfügt über eine Küche und ich freue mich auf eine riesige Portion Pasta mit selbst gemachter Sauce und Gurkensalat. Ich vermisse die europäische Küche, obwohl ich fast jeden Abend einen Italiener finde… Und schon oft von erstklassiger Qualität, das wird aber in Zukunft wohl immer seltener werden.

Die Unterkunft hat – wenig erstaunlich – auch zu nutzende Waschmaschinen und so fühlt es sich grossartig an. Wieder einmal sauber, gut genährt und voller Tatendrang für die nächsten Tage und Wochen, die wohl ziemlich intensiv werden könnten.

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2 Gedanken zu „Tag 12 Highway to Hell“

  1. Ich gebe zu, mit Gemeinplätzen wird in diesem Beitrag nicht gespart, aber die Dramatik der Lage wurde imposant beschrieben. Schön, hast du’s gewagt und geschafft.

  2. Vielen Dank für Ihren Kommentar, Herr L.
    Meinen Sie mit Gemeinplätzen diese Stelle?: „Ich fahre an einigen Obdachlosen vorbei (härteres Schicksal als meins!), an spielenden Kindern und ihren Müttern, turtelnden Verliebten, einfachen Spaziergängern, sehe Velofahrer und Fussgänger die Brücke überqueren, bin angespannt.“
    Die ist in der Tat sehr allgemein (nicht gemein!) geraten, das aber durchaus bewusst: es sollte die Anspannung widerspiegeln: während der restliche Text sprachlich viel stärker differenziert ist es dem Protagonisten hier nicht mehr gelungen, Details wahrzunehmen. Er ist derart mit sich selbst beschäftigt, die Realität ist so gemein zu ihm (sorry, der musste sein), dass seine Wahrnehmungsgabe in diesem Moment maximal eingeschränkt ist. Und genau das soll mit dieser Stelle ausgedrückt werden.
    Mit freundlichen Grüssen, Ihr Reyman.

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