Wer den Verlauf meiner Route verfolgt hat wird sich wohl gewundert haben, warum ich plötzlich scheinbar wieder zurück in Richtung Osten fahre.
Die Überlegung war die Folgende: Natürlich wollte ich die Arche sehen. Brief an den Papst. Und so. Sie lag aber extrem nicht am Weg. In Berlin, wo ich die Amish „besuchte“ musste ich mich entscheiden, ob ich in Richtung Cincinnati – Arche, direkt in Richtung Chicago oder in Richtung Detroit fahre. Detroit war ebenfalls ein No Brainer, da wollte ich unbedingt hin und durch Chicago muss ich fast durch. Also blieben zwei Optionen: Umweg über Cincinnati oder direkt nach Detroit und danach nach Chicago. Nach vielen Ränkespielen kam ich dann auf folgende Lösung: ich nehme den Zug von Detroit nach Chicago (ich wurde gewarnt, aber theoretisch ist Zug fahren in den USA möglich!), das entspricht nicht ganz dem Umweg, den ich gemacht habe. Und kompensiert vor allem die zusätzlichen Tage, denn ich möchte unbedingt Anfang September den Yellowstone Nationalpark erreichen.
Die letzten Tage waren velofahrtechnisch streng. Zwar wenig Höhen zu erklimmen, aber viele Kilometer. Und mein super Brooks Sattel kann noch nicht so ganz überzeugen, es ist schon auch eine Qual. Doch heute verblieben nur noch lächerliche 100 Kilometer, also ein richtiger Chilltag.
Ausschlafen kann ich dennoch nicht und fahre eher spät, aber doch um 8 Uhr los. Ich komme gut voran, verbringe aber auch hier und da ein wenig Zeit auf einer Sitzbank, eben: es ist Sonn- und Chilltag. Nach Mittag wird es allmählich richtig heiss (Sonntag…) und ich entscheide mich in einem Park noch ein wenig zu – chillen. Ich biege rechts ab und verwundere mich ob der langen Autoschlange. Rasch sehe ich am Horizont eine Brücke sich bewegen, die wollen also nicht alle in den Park.
Der Park stellt sich dann aber doch als Failure raus: es ist eine Marina und ich werde nicht reingelassen. Hat aber auch einen Vorteil. Ich komme mit dem „Wächter“ ins Gespräch und er erklärt mir, dass ich nur den falschen Eingang erwischt habe – und dass ich mir keine Sorgen zu machen brauche, wenn ich nach Detroit reinfahre. Immerhin hat die Stadt einen extrem schlechten, ja gefährlichen Ruf und ich war mir ein wenig unsicher, ob ich da einfach der App folgen kann oder dann mitten in Schiessereien und Gangstreits gerate. Ich bin beruhigt.
Einen guten Kilometer weiter biege ich wieder ab, um in den Park zu gelangen – und wieder hat es eine Autoschlange. Seltsam. 5$ kostet ein Parkplatz. Viele Autos. Sehr viele. Und dann Camper. Viele Camper. Die richtig Grossen. Lastwagen. Mit ausfahrbaren Seitenelementen. Werden die betätigt erreichen die Camper fast die Grösse der Arche. Was vielleicht auch die Lösung ist: eigentlich war die Arche viel grösser! Ausfahrbare Seitenwände! Und die grossen Dinosaurier lugten durch die Dachluken. Die Elefantenrüssel. Giraffenhälse.
Vor den Camions sitzen ganze Grossfamilien und grillen. Trinken Bier. Und Cola. So genau habe ich nicht hingeschaut. Manche wohl auch Mountain Dew. Unterhalten sich. Hören Musik. Lesen. Tun Dinge, die man tut, wenn man mit einem camionartigen Grosscamper mit der Grossfamilie neben anderen camionartigen Grosscampern steht, die Grossfamilien beherbergen. (Ja, Herr uls, wie auch immer, Gemeinplätze, ich weiss, aber war so).
Ich frage nach und erfahre, dass da grad ein Jazz Festival läuft. Einfach ohne Musik. Leider habe ich schon ein Sub gegessen (braucht bereits eine gewisse Überwindung), denn es hat natürlich auch würzig riechende Foodstände. Hotdogs. Burger. Was Amerikaner halt so essen. Auch mexikanisch. Hauptsache das Essen hat sich vor kurzem noch bewegt.
Ich fahre weiter und nach 5 Minuten überlege ich mir, dass ich doch eigentlich Zeit habe. Ich suche im Internet mit der Suchmaschine meiner Wahl nach zusätzlichen Informationen zur Veranstaltung und tatsächlich: in 10 Minuten soll der Spass beginnen. Wie es mir zuvor gesagt wurde und ich natürlich nicht geglaubt habe.
Ich kehre um und sogar ein paar Minuten zu früh beginnen Laura Rain and the Caesars zu rocken. Sorry. Jazzen. Die Bühne ist perfekt am See gelegen, davor kein Gedränge, sondern vorwiegend dunkelhäutige Menschen auf selbst mitgebrachten Campingsesseln. Fast wie bei den Amish, dort war die Attraktion ein Traktorenziehen, hier Musik. Aber überall sitzen sie in diesen übergrossen, bequemen Sesseln, trinken, essen und chillen.
Nach dem Konzert fahre ich in Richtung Detroit und schalte irgendwann die Kamera ein. Grosse Strasse, alle Geschäfte geschlossen, ausser ein paar Alkoholläden und ähnliches. In etwa so habe ich mir die Stadt vorgestellt, die vor Jahren bankrott gegangen ist und sich noch nicht davon erholt hat. Die Strasse ist in semigutem Zustand, ich fühle mich aber sicher.
Mit etwas Verspätung erreiche ich meine gemietete Wohnung und begegne per Zufall meinem Wohnnachbar. Der mir ein paar gute Tipps gibt und sich wohl etwas über meine Unbedarftheit wundert. Die Anfahrt von Süden, heikel. Er zeigt mir Gebiete, wo ich nicht hingehen werde, egal ob ich das möchte oder nicht, dort geht es nicht hin. Wirklich erstaunt bin ich nicht darüber.
Habe aber leider schon wieder vergessen, wo diese Gebiete liegen. Gut. Im Süden. Irgendwo da, wo ich bereits durchgefahren bin. So ungefähr. Ziemlich genau da. Dabei war im Süden ja Regen im Sonnenschein, waren Laura Rain und Golfplätze und Mittelklasse und Yachthäfen. Und Subway und Burger King und Marathon und alles ganz normal. Ganz im Süden. Und etwas weniger im Süden dann das Getto und da muss ich ja jetzt nicht mehr durch. Passt schon. Bis zum Bahnhof werde ich es schon noch schaffen. Der ist glaube ich im Westen.
Mein Nachbar erwähnt einen weiteren Nogo Ort, relativiert sich dann aber selber, Amazon baue da grad ein Terminal. Sag ich doch. Eh alles easy, was soll schon passieren. Und mein Bike ist ja eh schon defekt, sollen die es mir doch klauen. Können es dann nicht anstellen, selber schuld.
Leider soll es die nächsten zwei Tage aber regnen, so werde ich wohl keine zu grossen Sprünge machen. Andererseits: im Regen ist doch eh keiner draussen, da kann ich mir doch viel mehr erlauben? Ich sehe schon: ich werde zwei Möglichkeiten haben: Drinnen Laura Rain hören oder draussen im Rain Abenteuer erleben. Mal schauen.
Lieber Herr Rey
Selten so gelacht bei einem Beitrag. Aber chapeau zum Schluss, Herr uls, mein damaliger Deutschlehrer, wäre stolz auf Sie.
Ich weiss jetzt nicht, was Sie mit dem Gemeinplatzgebrabbel meinen; so gemein war das ja gar nicht.
Ich verbleibe mit den besten von Grüssen.
A
Wissen Sie was, mein lieber Herr mit den Gross- und Kleinbuchstaben? Ich nenne Sie jetzt einfach Herr Buchstabensuppe. Sie tönen zwar wie ein Akademiker, aber vielleicht haben sie ja kleine Kinder und die fänden das sicher lustig. Wie heisst denn dein Papi? Herr Buchstabensuppe. Und das meine ich gar nicht gemein!
In diesem Sinne hochachtungsvoll, Ihr Reyman.
P.S. Haben Sie den Gag mit dem Mountain Dew wahrgenommen? Würde mich erstaunen, wenn nicht, da Sie bislang immer sehr scharfsichtig waren beim Lesen!