Detroit ist gescheitert. Einst die berühmte „Motown“ (Motor Town, weil hier jahrzehntelang das Herz der grossen amerikanischen Autohersteller geschlagen hatte) ging es 2013 bankrott. Die amerikanische Autoindustrie hat zwar überlebt, musste sich aber neu organisieren und viele Fabriken wurden geschlossen, Jobs gingen verloren, die Stadt verschuldete sich, es ging nur noch abwärts.
Downtown Detroit ist relativ klein. Und schon wenige Kilometer ausserhalb des Zentrums gibt es viele Einfamilienhäuser im Grünen. Nicht untypisch für die USA. Die Tragik hier: ganze Stadtviertel wurden verlassen, sich selbst überlassen, die Stadt zählte einst fast 2 Millionen Menschen, 2013 waren es noch weniger als 700’000. Vor allem Weisse verliessen die Stadt, so dass es eine Art Schwarzengetto wurde. Und das sieht man.
Respektive eben gerade nicht. Ich fahre zuerst die Michigan Avenue entlang. Viele Kilometer. Von beinahe Downtown bis nach Dearborn, einem Nachbarort. Was mir nicht nur hier auffällt: Innenstadt und Corktown, das In-Viertel, wo sich meine Unterkunft befindet, wirken wie normale Städte. Downtown etwas leer, ist ja Sommer, keine wirklich schöne Stadt, aber ganz in Ordnung. Mit diesen seltsamen Gefährten, wo man Bier trinken und durch die Stadt gefahren werden kann. Mit einer Flusspromenade, einigen Parks, einigen touristischen Hotspots. In Corktown hat es nette Quartierstrassen und die erwähnte Michigan Avenue beherbergt gute Restaurants, Kneipen, Biergärten, Geschäfte, ist ziemlich hip. Das „Supergeil“ verbindet Kreuzberg mit Georgien, im Ottava Via kann man hervorragend italienisch, im Alpino Fondue, Raclette oder Spätzle mit Rahmsauce essen.
Wenn man die Strasse aber in Richtung Aussenbezirke verlässt fällt irgendwann auf, dass es zwar weiterhin viele Geschäfte gibt, nur fast alle geschlossen. Wie mir schon bei der „Einfahrt“ in die Stadt aufgefallen war. Alles zu. Und was noch nicht geschlossen ist, wirkt eher zwielichtig.
Dies ändert sich ungefähr an der Stadtgrenze. Dearborn wirkt wieder wie eine ziemlich normale amerikanische Stadt. Es wirkt also so als ob es drei Bereiche gäbe: die Innenstadt, heruntergewirtschaftete Aussenbezirke und um diese Aussenbezirke herum dann wieder funktionierende weitere Orte. Mit Golfplätzen, Yachthäfen, vielen Geschäften und Essbuden.
Erklären lässt sich das wohl dadurch, dass die Innenstadt alleine wegen ihrer Grösse und Zentrumsfunktion wieder einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt. Getragen von den Leuten, die sich in Corktown ansiedeln, einem sich gentrifizierenden zentrumsnahen Viertel. Darum herum befinden sich dann die einst verlassenen und nicht wieder neu „entdeckten“ Gebiete. Die entweder entvölkert oder äusserst arm sind. Und ausserhalb dieser Viertel dann wieder das „normale“ Amerika, vermutlich auch viele Gebiete, die vom Auszug der Weissen aus der Innenstadt profitiert haben.
Am Nachmittag fahre ich noch etwas in die Quartiere und das Bild ist schwer zu beschreiben. Fotos habe ich nur wenige gemacht, es ist schon ein wenig „spooky“. Ganze Viertel von Einfamilienhäusern, die allmählich zerfallen. Und doch weiss man nie, ob da nicht doch noch jemand wohnt. Es soll nicht ganz ungefährlich sein, viele Drogenabhängige beherbergen, weshalb ich eher zügig durchfahre. Es ist sehr schwer für mich, die Situation richtig einzuschätzen. Etwas unsicher fühle ich mich nur einmal als ich in eine etwas belebtere Strasse einbiege. In der Nähe fahren aber Busse durch, wirklich wild wird es schon nicht gewesen sein.
Und dann gibt es wieder erste Velospuren, ich bin in Downtown gelandet. Die Abgrenzung zu den „spooky“ Vierteln ist allerdings fliessend. Und ich nehme an weiter stadtauswärts (die Stadt hat eine grosse Ausdehnung) wirkt das Ganze dann noch viel seltsamer. Man könnte wohl stundenlang durch die Stadt fahren, mal steht ein altersschwaches Auto vor dem Haus (bewohnt?) mal nicht, aber ob es unbewohnt erkennt man nicht so leicht. Bewohnt sehen die wenigsten Häuser aus, aber das mag eine Täuschung sein.
Obdachlose sieht man weiterhin kaum. Was sich wohl leicht durch die vielen leeren Häuser erklären lässt. Das sicherlich vorhandene Elend ist nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Und so freut es mich, dass ich am Rand von Downtown auf das „Heidelberg Project“ stosse. Ein Künstler, der aus gesammelten Materialien absurde Skulpturen bildet. Er ist sogar vor Ort, ist aber sehr wortkarg und will sich nicht auf ein Gespräch einlassen.
Er will mit seiner Kunst Quartiere wiederbeleben. Und da fällt mir eine ebenso skurrile Gegebenheit vom Vortag ein. Ich sehe einen Velofahrer, der eine Art Digeridoo (oder einfach ein Gehstock) auf dem Kopf balanciert, am Lenker hängt ein Velohelm. Das Ganze wirkt äusserst skurril. Nur wenige Momente später sehe ich einen Typen, der irgendwie wie ein Druide wirkt, sehr deplatziert, sehr schräg. Vielleicht ist das das Schöne an Städten wie Detroit. Dass hier Neues entsteht, dass jeder sein kann, wer er will, dass es eben doch irgendwie immer wieder weitergeht.