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Tag 22 Finally the Pacific

Natürlich will ich ein grosses. Von weitem sieht man ihm die Knusprigkeit an, die richtige Bräune, die Perfektion. So muss Baguette. Es müssen sicher 20 davon sein, die 2 Meter von mir entfernt zum Abkühlen liegen. Aber ich kriege keins. Die seien alle reserviert. Kann ich zwar verstehen, ich wollte ja auch gleich 20 davon kaufen, aber jetzt haben wir ein Problem: du Würstchen, das mir kein Baguette verkaufen will und ich. Die Situation entspannt sich aber schneller als befürchtet: es hat noch kleinere Baguettes. Annähernd so perfekt. Und ich verstehe mich selbst nicht mehr als ich mich mit einem begnüge. Die ersten wahren, echten Baguettes in den Staaten. Genial.

Dazu gibt es einen Käsekuchen. Der sich später ebenfalls als grosse Klasse herausstellt. Ich verlasse die Bäckerei und sehe wie sich ein nicht ganz vertrauenswürdiger Mann in Richtung meines Velos bewegt. Naja, mal schauen. In dem Ort, wo ich mich befinde sieht man eigentlich zum ersten Mal auf meiner Reyse viele Obdachlose, Menschen, die das Schicksal hart getroffen hat. Mein Velo ist abgeschlossen, ich habe sogar eine Alarmanlage. Bin aber regelmässig zu faul, um eine Tasche abzunehmen, die so aussieht als ob sie Wertgegenstände enthalten könnte und die man leicht öffnen kann. Ausser der Powerbank, die ich leicht ersetzen könnte, hat es aber nichts von Wert drin. Gleichwohl bin ich gespannt, was passiert.

Nicht völlig unerwartet: Nichts. Der Mann geht schlicht an meinem Velo vorbei seines Weges. Vielleicht habe ich inzwischen etwas zu viel Zuversicht diesbezüglich, mir wurde ausser in Frankreich und der Schweiz noch nie etwas geklaut. In Frankreich fand ich einst mein Veloschloss „angesägt“ (naja, war wohl ein Bolzenschneider). Natürlich verdächtigte ich gleich die Roma, die nur wenige Kilometer von meinem Hotel entfernt lebten. Und das Velo war über Nacht draussen. Da war aber auch dieser Mann, der direkt vor meinem Velo gestanden hatte als ich kurz einkaufen war. Und sich entfernt hatte als ich rauskam. Die zweitere Lösung ist deutlich wahrscheinlicher.

Ich schliesse das Velo auf (das Schloss ist definitiv nicht leicht knackbar und an solchen Orten hätte der Alarm sicher eine abschreckende Wirkung) und beobachte eine ziemlich junge Frau. Zumindest nicht alt, ich erinnere mich nur, dass sie jünger war als ich erwartet hatte. Denn etwas irritiert mich. Sie schiebt einen geschmückten Einkaufswagen vor sich her. Ich schaue etwas genauer hin und sehe eine Wohnungseinrichtung. Einer zumindest nicht alten Frau. Nicht die Dinge, die man braucht, sondern die Dinge, die einem wertvoll sind. Emotional. Ich überlege kurz, ob ich verdeckt eine Foto machen soll (das geht immer schief), da schaut sie tatsächlich zurück in meine Richtung – und lächelt mich auf sympathische Art und Weise an. Sieht sie in mir einen „Verbündeten“, der ja irgendwie auch ohne Obdach ist? Ist sie einfach ein netter Mensch? Die Szene rührt mich.

Und erinnert mich an eine Szene vom Vortag. Ich fahre eine Strasse runter, da sehe ich eine stark übergewichtige Frau vor ihrem Haus mit einem Schild winken. Es wirkt auf mich so als ob sie selbstgemachte Limonade verkaufen will oder so, aber das Winken ist zu aufdringlich. Ich schaffe es die Schrift auf dem Schild zu erhaschen: „Help us with the cost of pj“ oder „Help us with the cost for our pj“. Gemäss Google meint das Private Jet. Ich frage am Abend meinen Kellner, er weiss auch nicht wofür „pj“ steht. Meine Fantasie geht dahin, dass sie die Miete oder sowas nicht mehr bezahlen kann und sich eine Lösung dadurch erhofft, dass sie vorbeifahrende Autofahrer anbettelt. Dass genügend Geld zu haben ein unfassbares Privileg ist, ist mir längst bewusst geworden seit ich durch arme Gegenden gereist und vor allem Menschen getroffen habe, denen der kleinste Schicksalsschlag das Genick brechen könnte. In den USA gibt es viele davon.

Dann aber auch wieder diese Rail Trails. Einfach perfekt. Gut unterhalten, durchdacht, perfekt asphaltiert. Heute fahre ich entlang der Kalmazoo & South Haven Railroad. Alle paar Kilometer hat es Schilder zur Geschichte der Bahn. Sitzgelegenheiten mit Dach oder Schirm. Ziehbrunnen für das Wasser für die Hunde. Toiletten. Velopumpen. Und ja, manchmal wie auf diesem Bild ist der Weg nicht asphaltiert. Und trotzdem bestens im Schuss.

Ich treffe auf einen Ranger und lobe die Wege vielleicht etwas zu stark. Er kommt darauf zu sprechen, dass auf den Trails ja electric bikes nicht gestattet seien. Aber er drücke jeweils ein Auge zu, solange sie sich an die Geschwindigkeitsbegrenzung hielten. Er habe auch schon eine Busse verteilt, aber da seien zum Beispiel diese zwei Trikes, die regelmässig da durchführen, die verhielten sich ja super.

Ich mache ein paar Bemerkungen, dass ich ja schon auch und so. Erst jetzt scheint er zu bemerken, dass ich ja auch ein Ebike fahre. Und ja, es steht überall: no motorized vehicles allowed. Nun ist es aber fast ihm ein wenig peinlich. Natürlich lässt er mich auf diesen Wegen fahren. Und die Sympathien habe ich jeweils sowieso, wenn ich von meinem Projekt erzähle… Ich habe aber auch in New York Ebiker gesehen, die schlimmer als Sau gefahren sind, die Unterschiede sind greifbar. Und die Ranger lassen definitiv Augenmass gelten. Solange es kein Benzinmotor ist und man anständig fährt gibt es keine Probleme. Dafür bin ich schon an zu vielen Polizisten, Rangern etc. vorbeigefahren…

Und ich fahre ja fast immer mit wenig Unterstützung, nur schon, um die Reichweite zu verlängern. Nutze nicht die ganze Kraft des Motors, komme etwas schneller voran als ohne Motor, mit etwas weniger Aufwand, aber ein Velo ohne Gepäck und mit besserer Übersetzung ist wohl leichter zu fahren…

Ich komme – auch mit wenig Unterstützung – gut voran und plötzlich liegt er vor mir. Der Pazifik. Ein bisschen erstaunt bin ich schon. Dass das so schnell ging. Ich hatte eigentlich noch mit ein paar Wochen, gar Monaten gerechnet. Aber das Bild ist klar. Grosse Wellen, Sandstrand, der Atlantik ist es jedenfalls nicht. Der Pazifik allerdings auch noch nicht, sondern der Lake Michigan. Ich habe die Michigan Peninsula durchquert und wäre der See nicht gross wie ein Ozean, müsste ich auf der gegenüberliegenden Seite mein nächstes Ziel sehen, das ich übermorgen zu erreichen gedenke: Chicago.

Zum Abendessen gibts übrigens – Baguette. Gut. Sehr gut. Aber im Vergleich, ach Gott, es war als ob ich mich im Paradies befunden hätte… Und am Abend war es wieder irdisch. Gut, aber irdisch.

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Ein Gedanke zu „Tag 22 Finally the Pacific“

  1. Lieber Herr Rey

    Nach ein paar Tagen Abstinenz melde ich mich wieder bei Ihnen. Wie ich sehe, frönen Sie auch drüben dem Weissbrot. Wieso auch nicht?

    Ich musste übrigens sehr fest lachen, als Sie neulich von Vögelvideos sprachen. Ich freue mich also, derlei und mehr hochgeladen zu wissen.

    Liebe Grüsse aus der heissen Eidgenossenschaft.

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