Heute, also morgen, also, ach diese Zeitverschiebung. Fängt die Schule an. Schon fünf Wochen. Danke Hans, dass du mich daran erinnert hast, das hätte ich komplett verschwitzt. Dass es dich aber nicht kümmert, das glaube ich dir nicht. Immerhin hast du es erwähnt. Und Danke Herr Mr. S., ja, gestern war Tag 30 und vielleicht ist es an der Zeit ein erstes Zwischenfazit zu ziehen. Unvollständig, bruchstückhaft, vielleicht nicht mal das, aber doch.
Es geht mir gut. Ich bin angekommen. Es wirkt wie das Normalste der Welt, dass es fast jeden Tag einfach weitergeht. Morgens muss ich mich manchmal etwas anstupsen, aber sobald ich auf dem Velo bin stelle ich das Ganze nicht in Frage. Sondern fahre und fahre und fluche manchmal und freue mich manchmal und manchmal fluche ich nicht und freue mich nicht, sondern bin einfach ein Velofahrender. Schaue nach links, schaue nach rechts, schaue nach vorn, schaue auf meinen Tacho, schaue auf mein Handy, entdecke irgendwas – oder auch nicht. Und doch läuft immer etwas, ist immer etwas los.
Mein werter Mr. S. Hier geht die Bildkommentarfunktion leider nicht. Weshalb ich die Bilder (sie zeigen den Mississippi) unkommentiert lasse.
Was mich an diesem Lebensstil anspricht ist wohl die Abwechslung. Jeden Tag was Neues. Und zugleich Kontinuität. Was mir auf früheren Reisen oft gefehlt hat ist eine Beschäftigung. So erinnere ich mich, wie ich mich auf einen Stein am Meerufer in Kavieng (Papua Neuguinea) setze und lese. Was soll ich denn sonst tun? Hier gibt es nichts zu tun! Ich mache dann einen längeren Spaziergang, bin mir nicht sicher, ob das wirklich safe ist, manche Leute winken, ich winke zurück, aber dann gibt es nicht mehr wirklich viel zu sehen. Irgendwann setze ich mich in ein von einem Chinesen geführtes Restaurant und lese. Was soll ich denn sonst tun? Exotische Orte können langweilig sein. Zumal ich ungern auf Leute zugehe, viele dieser Gespräche mässig spannend finde – und die Sprachbarriere oftmals wirklich spannende Gespräche schwierig macht.
In Kavieng habe ich dann ein Velo gemietet. Was soll ich denn sonst tun? Mountainbike. Und bin 40 Kilometer dem Boluminski Highway entlang geradelt. Alles flach. Perfekter Asphalt, noch von den Deutschen konstruiert. Und nach diesen 40 Kilometern kann ich nicht mehr. Also eigentlich nach 35. 30. Jeder weitere Meter schmerzt in den Beinen. Und im Kopf. Endlich komme ich in der Unterkunft an und werde wie ein König behandelt, es ist das Paradies, ich gehe noch etwas am Strand spazieren, keine Leute, idyllisch, unfassbar schön, der Traum jedes Reisenden. Aber ich bin kaputt.
Am nächsten Tag gehts zurück. Es regnet auch noch. Ich kann nicht mehr. Schiebe das Rad beinahe. Alles flach. An diesem Abend liege ich flach, lege eine 100 Dollar Note auf meinen Nachttisch für den Fall, dass das Fieber stärker wird und hoffentlich jemand Hilfe holt. Am nächsten Tag bin ich zum Glück wieder einigermassen fit.
Heute mache ich eine kurze Pause, um etwas zu Essen. Ein prototypischer Farmer, vielleicht 30 Jahre alt hält mit seinem Ford Taurus, Baujahr alt neben mir an und fragt, ob alles in Ordnung sei. Ja, ist es. Alles bestens. Noch ein paar Meilen bis Rochester seien es. Er staunt etwas. Some many miles! Und in dem Moment wird mir bewusst wie sehr sich die Distanzen für mich verändert haben. Mental. Es sind noch rund 50 Kilometer bis Rochester, für mich ist das nicht mehr weit, aber es ist doch die Distanz Zürich Aarau. Schon nicht nichts. Würde mir ein Velofahrer in Zürich sagen, er müsse ja nur noch nach Aarau, fände ich diese Aussage schon auch eher seltsam. Aber ich fahre ja jeden Tag bis nach Bern. Fast 3 mal so weit. Das relativiert das Ganze.
Der Unterschied zum Boluminski Highway ist nicht einfach eine bessere Kondition. Es ist schon auch die elektrische Unterstützung. Die ist nicht massiv, ich fahre meist in Stufe 2 von 4 (Tour), wenn möglich in Stufe 1 (Eco), wenn es bergauf geht in Stufe 3 (Sport). Und nur ganz selten in Stufe 4 (Turbo) Um Akku zu sparen. Aber auch aus Ehrgeiz. Und wenn ich dann nach 130 Kilometern sehe, dass ich noch reichlich Akku habe, gönne ich mir gerne etwas mehr Unterstützung auf den letzten Kilometern.
Auch wenn die elektrische Unterstützung hilft, so schleppe ich doch ein Velo und Gepäck mit zusammen deutlich über 50 Kilogramm mit mir. Wenn ein Rennvelofahrer sich ein neues Velo kauft, das 1.2 Kilo leichter ist als das Alte (10, statt 11.2 Kilogramm…) und glaubt einen Unterschied zu spüren, dann müsste er mal mit meinem Velo fahren. Und ich bezweifle, dass es mit Stufe 2 Unterstützung so viel leichter zu fahren ist als ein 12 Kilo Rennvelo… Es ist schon auch anstrengend, aber vor allem macht es Spass. Und kann ich nach Belieben auch mal etwas mehr Unterstützung wählen. Wie das ohne geht? Ich verstehe es nicht und habe allergrössten Respekt vor Menschen, die dasselbe Pensum wie ich oder sogar noch mehr ohne elektrische Unterstützung machen. Zum Beispiel mein Bruder.
Spass macht auch, dass in den USA bis 32 Km/h unterstützt werden darf, in Europa nur bis 25 Km/h. Gut. Bosch hat noch eine Sicherheitsmarge von 2 Km/h eingebaut, aber ich bin im Schnitt 3-4 Kilometer schneller pro Stunde unterwegs als in Europa. Das ist spürbar. Ich habe mehr Zeit am Abend. Kann später losfahren. Und wiederum: es macht halt einfach auch mehr Spass mit 30 statt mit 23 über eine Ebene zu heizen.
Hm. War das ein Kurzfazit? Nicht wirklich. Und vielleicht doch ein bisschen. Heimweh habe ich jedenfalls nicht und Hans, ich weiss nicht, wie es dir geht, aber ich bin im Moment ganz zufrieden damit, meinen morgigen Tag nach meinen Vorstellungen gestalten zu können. Und den übermorgigen. Und den überübermorgigen. Und den – eben. Ich bin gespannt wie lange das so bleiben wird. Mir bleiben – shit, nur noch 214-31=? Tage. Nein. Jetzt noch keine Schule.
Ach und hier noch ein Bild meines gestrigen – falschen – Abendessens. Für Hans. Aber eigentlich geht es hier ja nicht um Essen, sondern um die Essenz der Existenz. Den Sinn des Seins. Oder doch des Daseins? Die Existenz des Essenziellen? Oh Mann. Dann doch lieber ums Essen.
Danke für die Blumen.
25Km/h in Europa ist lahm, ja. Aber wurde Dir in der schönen Heimat nicht auch schon (und wiederholt!) ein 45Km/h empfohlen?
Eben.
Und von wegen allergrösstem Respekt:
Täglich so lange, unterschiedliche und oft geistreiche Texte rauszuhauen – Respect. Andere schreiben ihre Fahrtwindgedanken© auch auf, allerdings in 6 Monaten weniger als Du in 30 Tagen. 😉
Gute Reise weiterhin.
Essen, Existenz und Essenz
Sarte hat ja mal die These aufgestellt, die Existenz gehe der Essenz voraus. Doch er hat nicht bedacht, dass das Sein ohnen das Essen das Nichts wäre, das Seiende erst im Essen zu seiner Seinebstimmung gelangt.
Tag für Tag einfach gestalten können: Das ist halt auch ein schöner Traum, eine schöne Illusion. Glück hat, wer diese Illusion ab und zu leben kann, so wie du derzeit (und auch ich).
Die Strasse sei dir ein endloses Abenteur.
Hans