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Die Überquerung des Mississippi

Der Mississippi ist ein mächtiger Fluss. Man erinnert sich. Diese Schaufeldampfer. Und ein Fluss wie ein See. Wo man ans andere Ufer rüber rufen kann und es kommt kein Echo zurück. So breit ist der Fluss. Da sind schon Krokodile verhungert beim Versuch ihn zu überqueren. Es ist der Fluss, der die Freiheit bringt, wenn man ihn denn befahren oder bezwingen kann. Und jetzt liegt er vor mir. Eigentlich ganz ruhig. Und gar nicht so mächtig wie erwartet. Hier ist er ja noch jung. An der Schwelle zum Erwachsenwerden. Wo sie noch brav sind. An Autoritäten glauben. Kurz vor der Pubertät. So dieses Alter. Wo man schon merkt, dass das Leben mehr zu bieten hat, aber noch nicht weiss, was. Und das ist mein Glück. Denn noch, noch lässt er sich überqueren. So glaube ich.

Bloss wie? Natürlich denke ich an Huckleberry Finn und an Jim. Wie sie mit einem Floss den Fluss hinunterfahren. Doch ich habe nicht ihr Glück. So sehr ich auch suche, ich finde kein passendes Floss. Nicht mal ein unpassendes. Es ist zum verrückt werden. Das einzige, was ich finde ist dieses Häuschen.

Wirkt nicht gerade vertrauenserweckend, aber immerhin scheint es zu schwimmen. Ist aber leider mit dem Festland fest verbunden. In meiner Verzweiflung gehe ich hinein und durchsuche jeden Winkel und in der Tat: ich werde fündig. Eine veraltete, aber noch knapp funktionsfähige Donnerbüchse. Mit Schrot. Ich nehme sie zur Hand, verstaue mein Velo auf dem Boot in Spe und ballere auf die Brücke, die das Haus mit dem festen Boden verbindet. Mir droht schon die Munition auszugehen, da gibt es plötzlich nach und in der Tat schwimme ich auf dem Mississippi.

Das Gefühl ist erhaben. Es geht weiter. Ich beginne mich einzurichten. Nehme eine Pfanne hervor, mache den Gaskocher an und brate mir ein Ei, das das Haushuhn soeben gelegt hat. Ich setze mich an den kleinen Tisch und merke erst, dass es ein Problem gibt. Ich habe keine Paddel. Wie will ich das Hausboot so über den Fluss steuern?

Panik steigt in mir auf. War die ganze Mühe etwa vergebens? Was, wenn ich den Fluss gar nicht überquere, sondern wieder am gleichen Ufer lande? Und dann den ganzen Weg wieder zurückfahre? Wieder in New York ende? Auch egal. Entfährt es mir. Ich bin doch nicht hier, um Wasser vom Atlantik zum Pazifik zu bringen. Das haben schon viele vor mir getan. Doch wer ist schon mit einem selbst geschossenen Hausboot den Mississippi runtergefahren, mit einem Haushuhn und einem Kindervelo als Gesellen? Eben. Das ist Abenteuer. Sollen die mir doch alle den Buckel runterrutschen.

Allmählich kriege ich Hunger. Ich gehe nach draussen und sehe wie ein mageres Krokodil sich in den Planken festgebissen hat. Ich nehme mein Schweizer Taschenmesser und, keine Bange, die Details erspare ich Ihnen. Schmeckt ein bisschen nach Huhn. Und ist ne Heidenarbeit, das wenige Fleisch vom Knochen zu lösen. Aber es gibt mir Kraft genug, mein Velo umzubauen. Nicht einfach. Vor allem das Hinterrad in eine Schaufel zu verwandeln. Also so Mississippischiffschaufel. Aber es gelingt mir, da ich bis tief in die Nacht hinein arbeite. Helfen tun mir dabei Tausende von Lichtkäfern. Glühwürmchen. Am nächsten Morgen werfe ich den Motor an. Zum Glück hatte ich die Akkus noch voll aufgeladen gehabt. Ich steige aufs Bike und beginne langsam zu treten – und es funktioniert.

In der kurzen Nacht hatte ich mir noch überlegt, wie ich herausfinde in welche Richtung ich fahren muss. Und plötzlich war es mir klar: der Fluss fliesst nach Süden, also ist das Ziel rechts. Und so fixiere ich das Velo in einem entsprechenden Winkel. Trample wie ein Wilder. Und ja, das Ufer rückt langsam näher. Erst erkenne ich nur eine Nuance Unterschied zwischen grün des Ufers und blau des Flusses. Dann wird es immer klarer, die Sonne geht auf.

Allmählich beginnt es mir Spass zu machen. Durch die Kraft des Flusses lädt sich der Akku inzwischen auf und ich merke, dass ich noch tage-, vielleicht wochen- oder jahrelang so weiterfahren könnte. Diese Idee gefällt mir so gut, dass ich die Richtung wieder ändere und wieder Richtung Flussmitte fahre. Habt also noch etwas Geduld, aber dereinst werde ich im Meer landen und auch dieses durchquert haben. Und entweder in Japan oder Spanien landen. Oder auch woanders. Was zählt das schon. Was zählt, ist das Abenteuer.

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2 Gedanken zu „Die Überquerung des Mississippi“

  1. Lieber Herr R

    Wie Sie mich ja kennen, erlaube ich mir eine kurze Bemerkung zum Gelesenen.

    Heute feiert die Tochter ihren Dritten. Wenn auch das Grund zum Feiern bietet, ist es doch der schwärmerische und dramatische Text, den hier meinen Augen die Ehre der Lektüre zuteil wird.
    Erlauben Sie weiter die Auslegung der beiden Begriffe.
    Der erste gebührt der innigen Sprache, mit der unser Erzähler seine Vorgänge, Gedanken und Wünsche wiedergibt. Innig, ja geradezu sprachlich-sprudelnd. Ich bin geneigt, Sie als sprachlichen SodaStream zu bezeichnen.
    Der zweite Begriff geht vom eben genannten aus und ergänzt die Qualität der Geschilderten um eine dramatische Dynamik, welche ich so bei Ihnen noch nie lesen konnte. Wahrlich sind Sie angekommen, wie es andernorts geheissen hat. Der letzte Satz nunmehr hat mich überwältigt. Ich komme nicht los, Sie fortan Chefsprudler zu nennen.
    Nachdem die Resort fee nicht den gewohnten Erfolg vorweisen konnte, und die Bildunterschriften ja auch locus horribilis geworden sind, wollen wir nun mit dieser Metapher weitermachen.

    Seien Sie lieb gegrüsst, meine Tochter gibt mir dies auf Ihre unmissverständliche Art zu verstehen.

    S.

  2. Ihre Tochter wurde heute drei? Was für ein schöner Zufall! Ich habe gestern ja extra für die Tochter eines Freundes einen Happy Birthday Post angefertigt – und Nova wurde ebenfalls drei. Aber ich hatte es doch schon geahnt, dass Sie verheiratet sind und, dass Sie auch noch eine Tochter haben, das hat mich jetzt nicht wirklich überrascht. Es würde mich auch nicht erstaunen, sollten Sie noch mehr Kinder haben. Jetzt oder in Zukunft. Aber, was soll all dieser Small-Talk, ich bin einfach hin und weg und sehr geschmeichelt von Ihrem Lob. Ja, dieser Text hat schon einige Zeit in meinen Eingeweiden geschlummert und durfte nun das Licht der Öffentlichkeit erblicken. Ich möchte allerdings darauf hinweisen, dass es in diesem Blog schon noch weitere Texte gibt von grösserer Sprachgewalt als diese reinen Reyseberichte. Aber die muss man erst mal finden!
    An den Bildunterschriften arbeite ich übrigens noch und der Resort fee wird wohl spätestens in Las Vegas wieder Thema sein. Zurzeit teste ich allerdings eher Motels aus – dazu gab es ja neulich einen Bericht in der NZZ. Lesen Sie diese? Bei Ihrem Intellekt würde mich das nicht erstaunen und sonst kann ich es nur empfehlen. „Bett mit Parkplatz – was Motels über das amerikanische Lebensgefühl erzählen“.
    So, und damit ist für heute ausgesprudelt, Herr Buchstabensuppe. Mit dem Namen Soda Stream bin ich allerdings aus politischen Gründen nicht ganz glücklich. Aber das sind Sie ja vermutlich auch nicht mit dem Namen Herr Buchstabensuppe. Touché würde ich deshalb sagen.
    Hochachtungsvoll, Ihr Reyman (aka Chefsprudler)

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