Ist es das jetzt? Das herbeiersehnte, das herbeigeschriebene, das herbeierhoffte, das ultimative, das also, das Abenteuer? So ganz ohne Fantasie, sondern vollkommen in der Reyalität? Immerhin fängt es gut an. Denn es ist nicht eine, es sind zwei Speichen. Zwei verdammte Speichen sind es. Die den Geist aufgegeben haben. Ich hatte noch nie Ersatzspeichen dabei. Ich habe noch nie Ersatzspeichen benötigt. Ich habe kurz vor Abfahrt Arthur von Propel Bikes noch gemailt, Ersatzspeichen wären noch geil. Und Arthur hat 4 Ersatzspeichen organisiert. Ich umarme dich dafür. Denn, wo kriegt man schon Speichen, die einen Erwachsenen mit sehr, sehr viel Gepäck tragen – auf einem Kindervelo? Eben.
Wie lange ich mit defekten Speichen gereyst bin, weiss ich nicht. Ich befürchte lange. Schon lange hat etwas gestreift, ab und zu. Kein lautes Geräusch, mehr so ein „ich bin so leise, es kann nichts Schlimmes sein“ Geräusch. Und dann schaue ich genauer hin, fortan gibts jeden Morgen Velocheck. Hats noch Luft in den Rädern? Sind noch alle Reifen dran? Eiert das Rad? Oder halt Gabi. Ich mach einfach jeden Morgen Gabi.
Wobei, das ist ja Zukunftsmusik. Denn die Geschichte hat ja noch kaum begonnen und ist auch noch nicht zu Ende. Vielleicht war es eine Dummheit nach dem Entdecken des Speichenbruchs zurück zum Hotel zu fahren. Hotel übrigens, nix Old Faith Inn, mein lieber Herr Grussy, aber das sieht noch nice aus. Bin erst in Süddakota, zum Yellowstone sinds noch ein paar hundert Kilometer, erst das Hotel ist gebucht dort, Old Faith Inn ist ausgebuchtet. Habe ich gesuchmaschint.
Aber was hätte ich sonst tun sollen? Wenn nicht zurück zu meiner Absteige? Und vielleicht war es danach ein Fehler, nochmals 3 Kilometer zum Parkeingang zu fahren. Dort sollte es gemäss meiner Kartenapp eine Fahrradreparaturstation haben. Bringt eh nix, aber war grad so auf Modus spielt eh keine Rolle mehr und tönt immerhin gut. Waren dann ein paar Werkzeuge. Nicht mehr als ich eh dabei habe. Aber, dort treffe ich ein Geschöpf des Himmels, dort treffe ich Sky. Glaube ich. Also nicht, dass ich sie dort treffe, glaube ich, sondern, dass sie so heisst. Sky. Sky ist Ranger. So richtig mit Colt und Uniform. Sie macht den Fehler, mich zu fragen wie es mir gehe als ich mich ihr und einem Polizeiauto annähere. Ich sage. Well. Good, but. Keine Ahnung mehr. Auf jeden Fall ist bald klar: ich habe ein Problem. Dass ich dazu eher lache, so Abenteuer-Problem, irritiert sie wohl ein wenig. Weird. Ich.
Nein, Velobude gibt es keine hier, nein Taxis gibt es keine hier, nein, nein, nein. Aber Sky ist cool. Sie meint, ich solle mal warten da beim Eingang zum Visitor Center. Sie habe noch was zu tun und komme danach zurück. Ich warte. Und warte. Und warte. Und warte. Und schneller als erwartet ist sie wieder hier und freut sich, dass ich noch hier bin. Dabei will ja ich etwas von ihr. Also nein. Also doch. Ach Gott.
Sie meint, ein Ranger-Kollege könne mich ev. nach Rapid City, der 130 Kilometer entfernten Stadt bringen, aber erst so um 9. Oder 10. Tönt so nach. Nein, aber ich traue es mir nicht zu sagen. Sie selbst kann mich auch nicht nach Rapid bringen, da das Velo nicht ins Auto passt.
Soll ich es ihr sagen? Erst schweige ich. Pst. Das Velo kann man falten. Das passt in einen Smart. Aber ich spüre, dass es ihr schwerfällt. Möglicherweise traut sie mir nicht, jedenfalls meint sie dann, dass sie verpflichtet sei, meine Drivers License zu prüfen, bevor ich in ein Ranger Auto stiege. Die Option gibt es also.
Aber ich bin natürlich cool. Und naiv. Habe in Uber gesehen, dass die Fahrt nur 100 Dollar kostet. Und habe ja die Nacht schon im Nicht-Old-Faith-Inn gebucht. Wozu also hetzen. Gleichwohl gibt sie mir ihre Karte, notiert noch die Telefonnummer, was mich fast schon rührt. Meine Versicherung. Sollte ich wirklich feststecken, ich würde mich bei ihr melden, vielen Dank dafür. Das war mental sehr angenehm. Bevor wir uns verabschieden, warnt sie mich noch vor dem Sturm. Der dann auch kommt, in anderen Gegenden mit grossen Hagelkörnern, auf der Wetterapp zu sehen, ohne App extrem überraschend. Und der die tollen Bilder von gestern ermöglicht hat.
Ich fahre zurück zum Hotel, mein Gedanken flackern, aber ich bin recht ruhig. Morgen. Reicht schon noch. Jetzt ist Sturm. Jetzt ist Hunger. Habe noch kaum was gegessen, die kulinarischen Möglichkeiten sind äusserst beschränkt im Ort. So gehe ich nach Sturm und Fotosession in das einzige fussläufige Restaurant, es gibt Pizza. Besser als erwartet. Das Resti, die Bar, der Spielsalon wird geführt von spanischsprachigen Menschen, die mit Besuchern an der Bar Spanischunterricht durchführen. Irgendwie witzig.
Ein Typ kommt rein, setzt sich an eine Glücksspielmaschine. Ich sehe einen „Slogan“ durchziehen: „This is not a winning numbers hotline. Do you have gambling problem? Call…“ Speziell. Ich schaue auf die Wetterapp, der nächste Sturm scheint schon im Gang zu sein. Schnell mache ich mich auf den Weg nachhause und erreiche das Hotel zum Glück noch trocken. Ich schreibe noch den Eintrag von gestern und gehe dann mit einem etwas mulmigen Gefühl schlafen. Und schlafe: ordentlich.
Um halb 6 bin ich definitiv wach, um 6 bin ich auf, um 1 nach 6 ubere ich. Geld verlässt meine Kreditkarte, Uber macht mir Hoffnung, es dauert. Und dauert. „Only a few seconds“. Und dann natürlich: no driver found. Geld wird immerhin schnell zurückerstattet. Ich probiere Uber XL. Nix. Ich probiere Lyft. Da muss man fast eine Stunde warten, bis man Bescheid kriegt, sonst kostets rund 500 Dollar. Resultat: nix. Dabei war meine Idee gewesen in der Zeit zu packen, wo der Wagen hierher fährt.
So packe ich dennoch und bekomme fast Stielaugen. Meine grosse Tasche war immer voll. Jetzt packe ich (wie zuhause schon) noch zwei Akkus zusätzlich rein. Und meine praktische Utensilientasche. Und weils grad so schön ist noch ne Flasche Wasser. Und dann Tasche zu. Und es geht. Faszinierend. Etwas komprimieren und schon, also die Tunnelbohrmaschine hätte da auch noch Platz gefunden. Aber die habe ich natürlich am Rad montiert gelassen. Schon besser von wegen Platz.
Das Bike kommt in eine spezielle Tasche und so habe ich insgesamt 4 Taschen: Bike, grosse Tasche (70 Liter), die Umhängetasche und ein kleiner Rucksack mit Helm und ein paar Esswaren. Schon recht cool. Dabei habe ich eh viel zu viel Platz und vieles mehrfach. Drei Akkus. Drei Multitools. Drei Ersatzschläuche. Zwei gepolsterte Unterhosen (jene aus Merinowolle droht sich aufzulösen, deshalb ein Ersatz). Zwei Sättel (ja, den Brooks-Sattel habe ich noch nicht weggeworfen). Zwei Kameras, drei Objektive, eine Drohne mit Fernbedienung, eine Insta 360 X4, Iphone, Ipad Mini, Macbook, Marshall-Boxe. Etwa 4 Schlösser. 4 Ersatzspeichen. Und noch vieles, vieles mehr. 4 Flaschen Wasser. Oder so. 428 Cornchips. Oder so. 15340 halbe Erdnüsse. Oder so. Etc.
Und all das und noch viel, viel, viel mehr liegt oder sitzt oder steht nun in meinem Zimmer und ich hab kein Uber. Kein Lyft. Und keinen Plan. Mein Motel hat zugleich einen Campingplatz. Es hat Dutzende Wohnmobile etc., aber die fahren kaum direkt nach Rapid. Haben wohl kaum Platz. Also schon. Aber: „sorry, kein Platz.“. Immerhin habe ich extra ein Minibike und extremst extrem wenig Gepäck. Das würde ich in einem Smart unterbringen. Mit Dachträger. Also den Smart auf dem Dachträger. Oder so.
Wie auch immer, ich gehe zur Strasse und erhebe den Daumen. Im Iran meines Wissens eine äusserst obszöne Geste. Vielleicht fahren deshalb die extrem raren Autos vorbei. Der Vierte aber hält. Ein Ranger. Muss nur wenige hundert Meter weit. Denkt nach. Und denkt nach. Und denkt nach. Schwierig. Was mich dann doch ein wenig beunruhigt, denn das geschah schon gestern, als ich die Leute vom Motel/Campingplatz fragte. Viel Denken, wenig Resultat. Dabei geht es doch nur darum, dass ich in die nächstgelegene Stadt will und bereit bin, viel Geld dafür zu zahlen. Schwierig.
So schlecht scheint es den Menschen hier nicht zu gehen. Überall sonst in der Welt wäre innert Minuten ein Cousin gefunden, der ein Auto hat, einen unfassbar hohen Preis für die Fahrt in die Stadt verlangt (oder noch üblicher: gar nichts) und zehn Minuten später ist man unterwegs. Oder 10 Stunden später, weil der Cousin vorher noch die Ziegen zum Schlachthof bringen und die gefragte Person einem die neusten Rambo-Filme zeigen muss. Irgendwie so erlebt vor 30 Jahren.
Jetzt stehe ich also am Strassenrand und der Ranger denkt. Immerhin. Und denkt. Noch immerhiner. Und ich brauche kaum zu erwähnen, dass eben. Und am Schluss hat das Denken ein Ende und er eine Antwort: er habe da gestern Abend während des Gewitters, also da habe es mehrfach geblitzt. Immer wieder. Heftigst. Und Hagel. Und dunkle Wolken und danach Regenbogen und all das Zeug. Aber er habe gemeint, er hätte da Ausserirdische landen sehen. Irdische könnten mich unmöglich nach Rapid bringen. Zu weit weg. Wer geht da schon hin? Was soll man da schon tun? Aber Ausserirdische, die seien ja ein wenig wie ich: Fremd. Wir würden uns sicherlich gut verstehen und, also einen besseren Tip habe er nicht.
Ich bin etwas ernüchtert. Habe etwas genug von ihnen. Also meinen ausserfriesischen Freunde. Die verarschen mich eh die ganze Zeit. Haben wohl auch die Speichen dematerialisiert. Aber was bleibt mir anderes übrig? Und so mache ich mich auf den Weg. Richtung Ende des Regenbogens von gestern. Und das Wahnsinnige daran ist: ich hatte schon geglaubt einen Tag zu verlieren. Oder zwei. Oder drei. Und dann das: ich habe einen Tag gewonnen! Doch wie das gegangen ist, meine lieben Irdischen, das erzähle ich euch morgen. So zumindest der Plan. Denn jetzt: chrutschipuh. Oder so.
„ich bin so leise, es kann nichts Schlimmes sein“ Geräusch. – musste grinsen, schöne Beschreibung – so John Irving mässig.
Und übrigens apropos Aliens: Wenn Du möchtest kann ich Dir gerne meine Erich von Däniken Sammlung einscannen und rüberbeamen, so dass Du fachlich gerüstet bist.