Jetzt hat es mich erwischt. Ich hoffe, ich kann diese Zeilen noch irgendwie in die Weiten des Internets schicken, mache mir aber nicht allzu grosse Hoffnungen. Ich weiss nicht mal mehr, wo ich mich genau befinde, in welchem Ort oder Nichtort, ich sitze auf jeden Fall in einem alten, verlassenen Motelzimmer – oder ist es doch eher ein Gefängnis? und versuche die Ereignisse der letzten Stunden in meinem alkoholverirrten Gehirn klarzubekommen. Der Generator wurde längst abgestellt und so weiss ich auch nicht, wie lange ich noch Strom und damit Zeit haben werde.
Geisterorte oder Fastgeisterorte haben mich schon immer fasziniert. Orte, die einst von Menschen mit viel Liebe gestaltet und später unter meist drastischen Voraussetzungen ihrem Sosein überlassen wurden. Irgendwo im tiefsten Wyoming stosse ich auf einen solchen Nichtort, der allerdings gar nicht mal so übel aussieht. Ich stosse dort auf dieses alte Gefängnis und kann es natürlich nicht lassen durch das geöffnete Fenster einzusteigen. Vorher vergewissere ich mich, dass mich niemand sieht, aber weit und breit nur verlassene Gebäude und keine Menschen.
Viel Raum ist nicht im Inneren, es hat zwei Räume, einen für die Wächter und einen für den Gefangenen. Getrennt durch Gitter und eine Glasscheibe. Es ist nicht ganz einfach mich so hinzustellen, dass ich durch das Fenster sehen kann, doch was ich da sehe, haut mich aus den Socken. Zwei menschliche Skelette.
Wie lange die wohl schon hier drinnen sind? Vergessen und verlassen? Verdurstet? Oder woran verstorben? Es muss ein hässliches Schicksal gewesen sein. Lange nachdenken kann ich nicht, da ich spüre, dass sich irgendetwas verändert hat. Irgendetwas ist komisch. Schnell ziehe ich mich zurück, steige durch das offene Fenster zurück in die Freiheit und höre Schritte. Möglichst unschuldig stelle ich mich hin, einen ahnungslosen Touristen mimend, der ich ja auch bin.
Howdy, how are you? Ertönt es da auch schon. Ich stottere etwas vor mich hin und blicke auf zwei Cowboys mit grossen Hüten und scheinenden Colts in den Halftern, die breitbeinig vor mir stehen. Shit. Doch wie üblich in diesen Breitengraden sind die Menschen durchaus freundlich, wenn auch eher auf eine herbe Art und Weise. Und so laden mich Jay und Joe in den nahegelegenen Saloon ein.
Es ist eine Mischung aus Tankstelle, Saloon und wie ich später erfahre auch Motel. Hat seine besten Tage definitiv hinter sich. Wir gehen in die Gaststube, wo mich ein halbes Dutzend Cowboys anstarren. Worte brauchen sie nicht, hier wird nicht geredet. Nur gestöhnt. Etwas erstaunt nehme ich wahr, dass im Fernseher nicht Fox News oder Sport läuft, sondern, gut, sportlich ist es auch, was die da tun. Aber doch ein ungewohnter Anblick in einem Saloon mitten im Wilden Westen. Die Zeiten ändern sich wohl auch hier. Aber lange Zeit um zu gucken oder nachzudenken habe ich nicht.
Denn der Eine nickt mir zu, nickt der Bardame zu und schon habe ich den ersten Whiskey in der Hand. Misstrauisch beäugen sie mich und scheinen nicht so recht zu wissen, was sie tun sollen. Geredet wird eh nicht. Nach dem zehnten Whiskey beginne ich die Welt allmählich entspannter zu sehen, was wohl ein Fehler war. Denn als ich mich beginne wohl zu fühlen, beginnt derjenige, der den ersten Whiskey bestellt hatte mich mit unangenehmen Fragen zu bombardieren. Allmählich merke ich, dass ich das, was ich im Gefängnis gesehen habe vielleicht besser nicht hätte gesehen haben sollen. Sie wissen aber auch nicht, ob ich wirklich was gesehen habe und scheinen überfordert mit der Situation.
Ich stelle mich so naiv wie es mir in meinem betrunkenen Zustand möglich ist und scheine insofern Erfolg zu haben als sie mich nicht zum Galgen führen, der neben dem Saloon steht, sondern zum Motel, das auch sehr abgerockt aussieht.
Und da sitze ich nun, nage an meinen Nägeln herum und warte darauf, dass entweder der Akku des Laptops leer ist oder ich doch noch ein Signal kriege und diesen Hilferuf in die Welt hinaus senden kann. Aber ich befürchte, hier bringen mich nicht mal mehr meine ausserirdischen Freunde wieder raus. Die Tür ist fest verschlossen, ein Fenster hat es nicht und Skrupel haben die Typen ja ebenfalls keine. Die haben schon andere elendiglich verrecken lassen!
Disclaimer: In dieser Geschichte werden Bilder aus drei Orten vermischt. Ursprünglich war mein Plan aber in der Tat im Motel in Hiland, Wyoming zu übernachten. Im Netz fand ich kaum Informationen dazu und ich war mir nicht sicher, ob es noch geöffnet hatte. Die Rezensionen, die ich zu diesem Ort gefunden habe, versprachen aber auf jeden Fall etwas: Abenteuer! Und haben die obige Geschichte inspiriert.
„Jan 7, 2016
First to Review. Great place to stop for a burger! Nice people, burger was excellent!“
„Mar 17, 2021
Stopped to stretch our legs, grabbed a beer, chatted with the bar. Friendly spot, would stop again.“
„Oct 19, 2021
Most ran down , crack ran place . New owner is so high she literally came out and was screaming at us . She had no clue to who she was or what was happening. Needles on the ground right by the gas pumps – mind you they charge 4 something for gas . Bunch of unwashed and unwatched children. Place smelled like crsuty cheese with side of body order . Spice is there cup of water.“
„Jul 22, 2023
DO NOT STOP!!!!!! Keep driving. This place has haunted me for years! I know for 100% that I would have become a missing person if it wasn’t for my brother staying in the car. I had to use the bathroom so my older female cousin and I went in late at night. We had to go through the bar to get to the restroom, when we did two greasy men were sitting at the bar watching hardcore porn looked at us. We went to the bathroom locked the door felt immediately uncomfortable soon we heard two sets of foot steps come to the lady’s door and just stood outside the door for what felt like forever finally left. We walked out back through the bar the two guys followed us. As we were paying for our items the two guys went to the front locked us in turned off the open as they were closing the blinds the guy looked out saw my brother still in the car looked at us unlocked the door and smiled then said just kidding you guys can go. Panicked we ran and left super fast. It was just like texas chainsaw DO NOT STOP keep driving. Please. The police should check into this place big time“
„Jul 11, 2024
Terrible place, they will charge you double for gas if they have to turn on this pump, so little traffic they don’t always have it on apparently. They lied and said the next station was 90 miles away, it was not at all. Fill up in Casper and you’ll make it to Cody.“
11. Juli 2024. Vor einem Monat. Irgendwas stimmt hier nicht, denn der Ort scheint seit Längerem verlassen. Wenn die Rezensionen stimmen mit einer äusserst tragischen Geschichte, die wohl typisch ist für diese Gegend. Ich musste dann auf jeden Fall noch viele Kilometer weiter fahren in den nächsten Ort. Der zwar viel grösser, aber leider auch in sehr schlechtem Zustand ist.
Ich sitze auf jeden Fall in einem alten, abgerockten Motelzimmer. Im Ort, der Hiland am nächsten liegt. Auch hier ist der Zustand des Motels besorgniserregend. Es ist ein Hotel der Kette „Love Hotels“, Räucherstäbchen im Office, aber ansonsten in miserablem Zustand. Wie der ganze Ort. Es ist bislang wohl der ärmste, vor allem verwahrloseste Ort auf meiner Reise. (immerhin über 500 Einwohner). Die Town Hall wird gerade versteigert!
Es hat eine grosse Tankstelle mit sehr gutem Shop, danach kommen 150 Kilometer nichts. Auf dem Weg von / zum nächsten Ort gab es mal zwei Bars/Saloons, der eine in Hiland, der andere weiter im Osten. Und einen Shop. Heute nichts mehr. Ab und zu ein paar Häuser, sonst 150 Kilometer Leere.