Mein lieber Herr Geheimrat.
Zum Glück besitze ich zur Zeit kein Deodorant, sodass mir zumindest ein Fehler erspart bleiben wird. Ihn mit dem Bärenspray zu verwechseln. Wie Sie schreiben. Und es freut mich ausserordentlich, zu hören, dass Ihre Tochter wohlauf ist. So wie ich Sie einschätze, hat sie einen starken Willen geerbt und ist es nicht immer einfach, ihre Wünsche zu ignorieren, sprich: es gibt viel zu tun. Dafür habe ich natürlich das vollste Verständnis.
Sie freuen sich darüber, dass ich Fehler mache. Nun, das ist natürlich eine ziemlich rotzige Ansage und ich weiss nicht mal, ob sie recht haben. Natürlich, als Germanist können Sie meine Zeichensetzung kritisieren. Da gibt es zu viele Fehler. Sollte einem Reyman nicht passieren. Da macht der Reyman viele Fehler. Aber sobald man etwas, also im realen Leben ist das schwieriger.
So habe ich grad ganz viele Fehler gemacht. Könnten mich weit mehr als einen Tausender kosten, aber waren es wirklich Fehler? So einfach ist die Sache dann doch wieder nicht.
Begonnen hat es damit, dass ich den Weg zum Yellowstone Park recherchiert habe. Nordroute über Cody war mein Plan. Aber zu wenige Hotels, schwierige Routenplanung, ich habe mich dagegen entschieden. Ich habe dann Alternativen überlegt und mich für eine Südroute entschieden. Über Dubois. Auch hier schwierige Routenplanung, aber machbar. Und gemäss Komoot geht hier eine offizielle Veloroute durch, die ich einfach etwas abkürze. Und die in Realität nicht existiert. Was ich aber erst weiss, seit ich sie selbst befahren habe.
Mein Guter, habe ich hier schon einen Fehler gemacht? Sie sehen, es ist schwierig. Denn erst gestern als ich noch ein wenig durch Shoshoni gefahren bin ist mir aufgefallen, dass es eine Strasse von Shoshoni nach Cody gibt. Von Südroute nach Nordroute. Hab das aber gleich wieder vergessen. Am Abend schreibe ich einen fantastischen Post und in dem zitiere ich eine Rezension, wo jemand schreibt, dass er von Hiland nach Cody hätte fahren wollen. Ich will schon ne doofe Bemerkung machen, die Rezension ist Fake, da realisiere ich: OK, es geht auch nach Cody. Hatte ich gar nicht dran gedacht. Von Shoshoni aus. Und in Shoshoni bin ich ja gerade.
Aber so richtig ist das noch nicht in mein Hirn eingedrungen. So fahre ich los in Richtung Dubois (Südroute) und nach vielleicht 50 Kilometern rattert es in meinen nördlichsten Eingeweiden. Vor allem, weil es heute doch relativ stark bergauf geht und überhaupt. Cody. Wäre das nicht auch möglich gewesen? Ich schaue in der App nach und in der Tat, sollte es ein Hotel haben auf dem Weg, dann möglich. Und es hat. Ich hätte also via Südroute die Nordroute möglich machen können. Den ursprünglichen Plan Wahrheit werden lassen, wenn ich etwas weniger Fehler gemacht hätte.
Das ärgert mich ein wenig. Vor allem, weil ich so viele, viele Höhenmeter mehr machen muss. Und noch vor allemer, weil die Route eleganter gewesen wäre:
Also: kürzer, weniger Höhenmeter, eleganter. Ich hätte weniger Zeit benötigt. Wäre von Osten in den Yellowstone-Park reingestochen, dann nach Süden abgebogen direkt in Richtung Salt Lake City, wo ich meinem Velo einen nächsten Service und mir etwas Ruhezeit gönnen möchte. Es ärgert mich. Nicht fest, aber so ein wenig. Doch, mein Herr, wo geschah hier der Fehler?
Vielleicht hatte ich vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr gesehen. War ich so auf die Südroute fokussiert (mit zwei Optionen, wobei beide an mein Limit zu gehen drohten), dass ich die Süd-Nordroute übersehen habe? Ich hätte dies, ich hätte das, ich habe nicht. War das ein Fehler?
Nun, das ist leider noch nicht die ganze Geschichte. Anstatt umzudrehen, fahre ich weiter. Und es kommt eine elektronische Warntafel: wer diese Strasse befährt, soll diese Website konsultieren. Mache ich. Sehe nichts Problematisches. Und es fahren viele, viele Autos, vor allem RVs die Strasse hoch. Recreational Vehicles. Meist überdimensionierte Wohnwagen und so Zeugs. War das nun der Fehler? Dass ich die Tafel zwar nicht ignoriert, aber nicht sofort umgekehrt bin? Nicht intensiver recherchiert habe?
Denn das ist noch nicht die ganze Geschichte, mein Guter. Ich fahre weiter und weiter und ja, es fällt mir auf. Immer weniger Fahrzeuge. Immer weniger RVs. Sind die schon durch? Kurz vor meinem Ziel fällt mir dann ein violetter ehemaliger Schulbus auf. Den hatte ich rauffahren sehen. Jetzt fährt er runter. Nicht gut. Der hat wohl einen Fehler gemacht.
Wirklich erschöpft beim Hotel angekommen (war einer der bislang strengsten Tage) höre ich nur etwas von „blocked“. Ich hake nach und ja, die Strasse ist gesperrt. Waldbrände. Ich stecke fest. Aber wo habe ich den Fehler gemacht? Das ganze Desaster wäre mit einer besseren Planung vermeidbar gewesen. Oder eben doch nicht? Als ich die App angeschaut habe war die Strasse noch offen, habe ich einfach Pech gehabt? Oder zu wenig recherchiert?
Aber, mein Herr, das ist doch gar nicht die Geschichte, um die es geht! Wäre ich direkt nach Cody gefahren, hätte ich alles richtig gemacht, keinen einzigen Fehler, dann gäbe es jetzt nicht das Abenteuer „wie komm ich da wieder raus“? Das wäre verdammt langweilig gewesen. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Gehört es nicht zum Leben, dass man eben nicht alles bis ins Detail planen kann und dadurch in doofe Situationen gerät? Sind es nicht gerade diese Situationen, die das Leben prägen? Die das Aventiure ausmachen? Oder, ach, Sie wissen, was ich meine. Sind es nicht gerade die Fehler, die das Leben würzen?
Gut. Es gibt auch Menschen, die mit Plänen erfolgreich sind. So habe ich mal von jemandem gelesen, der mit einem Risoletto in der Hand seine Traumfrau angesprochen hat. Guter Plan. Inzwischen verheiratet mit Kind und allem drum und dran. Keinen Fehler gemacht. Aber oftmals ist es doch gerade umgekehrt. Man hat kein Risoletto dabei, also Fehler gemacht und dann trotzdem Bingo. Weil so Spruch: du, wollte dir eigentlich ein Risoletto schenken, aber hab grad keins dabei, wollen wir vielleicht gemeinsam eins kaufen gehen? auch nicht schlecht ist. Wobei dahinter natürlich schon wieder ein Plan steckt. Aber kein Fehler. Oder erst recht der grosse Fehler des Lebens. Das weiss man ja erst im Nachhinein. Wie meist bei Fehlern, bei denen es nicht um reine Kommasetzung geht.
Und so ist es doch auch hier. Im Moment gibt es mehrere Optionen:
- Morgen um 7 gibt es Entwarnung, Highway wieder offen, ich keuche nach oben und habe Glück und überquere den Pass.
- Es gibt zwar Entwarnung, aber bis ich es on top schaffe ist wieder zu.
- Es gibt keine Entwarnung. Gemäss einer Einheimischen bleibt der Highway für Tage zu, wenn das Feuer den Highway überquert. Dann bleiben drei Möglichkeiten:
- Ich pfeife auf die gebuchten Hotels, auf die Zehntausenden, die ich bereits für die Zimmer bezahlt habe und bleibe einfach hier, esse miserable Ribs an wunderbaren Orten und dringe tiefer in die Seele der USA ein. Bis dereinst der Highway wieder geöffnet ist. Oder bleibe dann erst recht noch ein wenig länger.
- Ich kehre um, pulverisiere meine bisherigen Rekorde, verliere nur Tausende, bin aber rechtzeitig im Yellowstone. Machbar, aber tough.
- Ich kehre um, pulverisiere meine bisherigen Rekorde aber nicht, weil mein Hintern so höllisch schmerzt, verliere die Zehntausende ohne je im Yellowstone angekommen zu sein, sondern versuche in einem Motel in Hiland zu übernachten, wo ich gekidnapped werde und den Rest meiner Tage in ebendiesem Motel verbringen werde.
- Etc. Weil man ja immer das Gefühl hat: es gibt nur drei Optionen und dann wird Option 9 Realität. Aber, wo war dann der Fehler? Wenn die Zukunft eh nicht planbar ist? Und die Gegenwart sich sträubt, sich an Fehlern oder Nicht-Fehlern zu orientieren? Sondern diese Wertung erst aus Sicht der Zukunft möglich und damit eigentlich unehrenhaft ist?
Sie sehen, das Leben ist kompliziert. Ich glaube, der grösste Fehler meines Lebens war es, nie einer Frau ein Risoletto angeboten zu haben. Dagegen sind diese „Probleme“ doch einfach ein Klacks!
Ach, hätte ich doch den Weg über Cody genommen. Und ein Risoletto dabeigehabt. Mein Leben wäre nun ein anderes. Wobei. Ein Risoletto nach 45 Tagen Sonnenschein. Ich glaube, ich muss mir etwas anderes einfallen lassen. Egal, ob in Cody, in Dubois oder in Ouagadougou.
Lieber Reyman
Ich hätte beim letzten Kommentar nicht von Fehler gesprochen, wenn Sie nicht selbst dieses bedeutende Wort verwendet hätten („fataler Fehler“).
Ich nehme mir also ein Blatt Papier, schreibe ein Wort drauf und falte es zu einem Flieger. Dann warte ich auf den richtigen Wind und lass ihn steigen. Höher und hörer. Schon habe ich ihn aus den Augen verloren.
Blicken Sie die nächsten Tage, dort wo Sie sich gerade befinden, in Cody oder Wuschiwuschi, in den Himmel; da kommt vielleicht ein Papierflieger geflogen, auf dem „rotzig“ steht.
Grüsse
S-Man
PS: Natürlich bin ich der gleichen Meinung wie Sie. Aber was haben wir ausser der Sprache für die gelegentliche Reibung?
PPS: Wenn Sie sowieso Geld ausgeben für Hotels, die Sie nie besuchen, ich kennte da eins in Zürich, eher am Rande der Stadt…guudpreys!
Werter Herr, welch schöne Metapher mit dem Papierflieger. Ich deute sie derart, dass Sie das von mir verwendete Wort als Fehler erachten, wofür ich mich gerne entschuldige. Schön, sind wir uns auch hier einig, solche Kraftausdrücke haben wir doch nicht nötig!