Glück und Pech sind stark interpretationsabhängig. Ja, ich hatte auch Pech auf dieser Tour. Die Platten. Die Speichen. Der Waldbrand, der einen riesigen Umweg erzwang. Ich habe in Hotels oder Motels übernachtet, wo andere wohl Schreikrämpfe gekriegt hätten. Aber ehrlich: so viel „Pech“ fällt mir gar nicht ein und das hat vermutlich auch mit der Einstellung zu tun. Dass ich stärker auf das Glück zu fokussieren und das Pech zu relativieren versuche. Und so beginnt der hier zu berichtende Doppeltag eigentlich mit Pech.
Um etwas Kilometer (und damit Akku) zu sparen, aber auch, um frühzeitig unterwegs zu sein plane ich ein Uber zu buchen. Das soll mich 20 Kilometer und 200 Höhenmeter weit zur Abzweigung zum Canyonlands Nationalpark bringen. Macht immerhin 40 Kilometer hin und zurück, die eigentlich völlig „sinnlos“ sind, einen Teil davon habe ich schon gestern zweimal hinter mich gebracht auf dem Weg in den Arches Nationalpark.
Ich buche das Uber extra schon am Abend vorher und die Reservierung wurde explizit bestätigt. Trauen tue ich dem nach den letzten schlechten Erfahrungen definitiv nicht. Ich schlafe schlecht, habe sogar Albträume mit Übergepäck auf Uber-Fahrten, die waren aber definitiv unnötig. Erst 15 Minuten vor dem Termin (!) sucht Uber nach einem Fahrer. Bei Abfahrtstermin dann die Meldung „Es sind keine Fahrer verfügbar.“ Ich befürchte: in Moab gibt es keine Uber-Fahrer. Wirklich miserabler, miserabler Kundendienst. Uber in der Stadt? Cool. Uber auf dem Land? Eine Verarschung. Weil sie nicht mit offenen Karten spielen und nicht sagen: nicht verfügbar. Sondern: Reservierung bestätigt, was die Assoziation auslöst, dass das dann auch klappt.
Egal, dann fahre ich halt selber los und die 20 Kilometer sind rasch abgespult. Danach geht es 700 Meter bergauf. Wie immer schönes Wetter, die Strasse mit angenehmer „Shoulder“, also genug Platz für mich. Die einzige Sorge: heute sollte der zweite Campingtag werden. Der Campingplatz „Island in the Sky“ kann aber nicht reserviert werden. First come, first served. Und ich fahre ja wirklich schnell, aber… Beim Nationalparkeingang werde ich mit einem Style-Punkt belohnt, im Besucherzentrum dann aber die Ernüchterung. Vor 45 Minuten gab es noch 4 freie Plätze und man muss wirklich vor Ort den Platz reservieren, sprich seine Sachen deponieren. Ihrer Stimme nach ist zu hören: kaum Chance. Und ich brauche noch fast eine Stunde bis dahin.
Beim Campingplatz angekommen fahre ich kurz durch und natürlich alles voll. Ich gehe zur ersten „Sehenswürdigkeit“, Green Valley Overview, cool, auf Bildern kommts nicht rüber. Aber so ganz geniessen kann ich es nicht, gleich geht es wieder 70 Kilometer zurück, immerhin viel bergab.
Da mein bro so vom Campingplatz geschwärmt hat (aufgrund von Google…) fahre ich nochmals durch und filme mit der Insta 360. Der Film wird kurz. Zeltplatz 3 ist leer. Ich fasse es nicht. Stelle mein Velo hin. Gehe zu den Nachbarn. Die meinen: wenn frei ist frei. Und ist frei. Nicht mal Brotkrümel liegen rum. Und, ich muss es gestehen: es ist einer der schönsten Plätze. Auf der „offenen“ Seite, ich kann mein Zelt fast schon abgelegen aufstellen und es hat sogar einen wirklich attraktiven, vor allem schattenspendenden Unterstand (gut, den haben alle Plätze).
Die Erklärung übrigens ist einfach: offizielle Abreisezeit ist 10 Uhr, aber nicht alle halten sich daran. Die angesprochenen Nachbarn fahren eine halbe Stunde später auch weg… Glück. Bedingt oft, dass man nicht gleich beim ersten Mal aufgibt. Also doch nicht nur Glück.
Der Nachthimmel ist wunderbar, allerdings nicht spektakulärer als auf Kreta. Eigentlich müsste man die Milchstrasse super sehen, da es weit und breit keine störenden Lichtquellen gibt. Schön. Aber nicht der Wahnsinn. Gleichwohl wird es eine wirklich angenehme Zeltnacht, so ist Zelten toll. Eine Grille zirpt (zumindest ist es jeweils ruhig, wenn sie kurz stoppt…), ich liege relativ bequem, die Stimmung ist richtig positiv. Nach ein paar Stunden Schlaf lege ich das Überzelt halb über das Innenzelt, da es doch kühler wird. Irgend um 5 oder so habe ich kalt am Rücken, bin aber zu faul um das Daunengilet anzuziehen. Etwas später greife ich dann aus dem Schlafsack raus, 2 Sekunden später hilft es meinen Rücken zu wärmen. Anziehen ist gar nicht nötig.
Weil es doch recht kühl ist (18 Grad gemäss meinem Thermometer, das wohl meine Reyse nicht weiter begleiten wird) mag ich nicht so richtig aufstehen. Bis die Sonne kommt. Etwas nach Sieben mache ich mich dann aber auf und es ist draussen überraschenderweise schon recht warm. Ich fahre zum Mesa Arch, von dem bro ebenfalls geschwärmt hat. Lustig. Er nutzt Google, ich nicht. Ich gehe gleich direkt hin ohne genau zu wissen, was mich erwartet. Auf dem Weg (es sind nur ein paar Minuten) begegnen mir viele Autos. Der Park öffnet aber doch erst um 8? Und Campingplätze hat es genau einen? Beim Trailhead angekommen stehen vielleicht zwei Dutzend Autos da. Ich gehe die paar hundert Meter zu Fuss zum Mesa Arch und mir kommt eine Völkerwanderung entgegen. Ein Mann spricht mich im Vorbeigehen an: „you are smart“. Ich entgegne: „I am too late“. Offensichtlich habe ich den Sonnenaufgang verpasst. Aber: Glück.
Als ich den Ort erreiche hat es noch ein knappes Dutzend Leute. Inklusive Fotograf mit Analogkamera aus dem 19. Jahrhundert (vgl. Beitragsbild). 10 davon sind keine 5 Minuten später auch noch weg und ich habe zwar den Sonnenaufgang verpasst, dafür aber jetzt den Mesa Arch praktisch für mich allein. Schon im Arches Nationalpark gelang es mir, viele Bilder ohne Menschen aufzunehmen. Das ist nicht einfach. Braucht Geduld, ungewohnte Perspektiven – und Glück. Ich glaube, ich hätte mich bei Sonnenaufgang geärgert. Fotos mit Touristen im Bild zählen irgendwie nicht. Und natürlich kommt dann vielleicht eine Dreiviertelstunde später eine Gruppe Asiaten. Und bis die ihre Selfies in allen möglichen Konstellationen gemacht haben… Und natürlich immer mit einer entschuldigenden „geht nur ganz kurz“ Geste…
Danach gehts mit relativ wenig Motivation und Akku zurück in die Zivilisation. Ich war am Vortag noch zu allen Hauptattraktionen gefahren und gemäss Kalkulation müsste der Akku gut reichen. Bevor es aber viele Kilometer bergab geht, geht es auf und ab und ich staune mal wieder wie man das ohne Motor machen kann. Ich fahre oft mit minimaler Unterstützung – und meist reicht es mir schnell. Zu anstrengend. Mit 2 Kilometer Restreichweite erreiche ich das Hotel, wobei ein Akku noch etwa 5 Kilometer Reichweite hat. Ist natürlich relativ, mit wenig Unterstützung hätte es schon noch 10 oder 15 Kilometer gereicht. War aber doch das erste Mal, dass ich die Akkus komplett ausgesaugt habe. Glück? Ne, schon auch viel Kalkulation…
Insgesamt waren es deutlich über 180 Kilometer und 1660 Höhenmeter (rauf – und natürlich auch wieder runter, da ich ja am gleichen Ort gestartet und geendet bin). Bro macht 3000 Höhenmeter pro Tag ohne Motor und inklusive krank. Ach, ich liebe es, Warmduscher zu sein. Und eine solche habe ich mir nach diesem Abenteuer ausführlich gegönnt!
Nachtrag: Tobias Chi? Der Autor von Drittens, dem Buch, das alleine durch das Lesen heftigste orgasmusähnliche Gefühle auslöst? Ich fühle mich geschmeichelt! Auch wenn das Buch bis heute als verschollen gilt!
Frage zurück ins 301.1: Wie läuft es denn mit Michelles neuestem Buch?
Ich fühle mich geehrt:
Als ich Utah vor ein paar Tagen „google-gearthd“ habe, ja da wurde ich richtig gierig. All die phantastischen Steingebilde, das Licht, das Pompöse, die urgewaltige Kraft, das Mysteriöse, die Formen – grandios. Danke also, dass Du exklusiv für mich (und Deine treue Leserschaft) da gewesen bist, extra den Camping „island in the sky“ aufgesucht und diese tollen Bilder geschossen hast.
Ja und es freut mich natürlich, dass Du die Zeltnacht auch wirklich geniessen konntest.