Jetzt ist es also geschehen. Natürlich hatte ich es schon in vielen Filmen gesehen und war deshalb nicht völlig unvorbereitet. Klar und deutlich höre ich die Worte. „Pull over and stop“. Mit diesen Worten beginnt nicht selten das Ende. Zumindest das Ende eines bis dahin schönen Tages. Pull over and stop bedeutet: Stress. Ich bereite mich innerlich vor, überlege, was nun zu tun ist. Hände auf Steuerrad oder grad eben nicht? Und was, wenn man gar kein Steuerrad hat? Dann langsam die Scheiben senken. Schwierig. Keine hektischen Bewegungen. Jetzt nur nicht versuchen den Bärspray hervorzunehmen. Der hilft zwar auch gegen wütende Bullen, aber jetzt nicht. Ich atme tief ein und aus und schaue in den lädierten Rückspiegel. Wo ich weder funkelnde Lichter noch einen wütenden Cop sehe. Kein Fahrzeug weit und breit. Dafür sehe ich direkt links von mir einen Busfahrer beinahe aus dem Seitenfenster fallen. So Bus zu fahren, das ist aber gehörig ungehörig. Der sollte sich was schämen. Statt auf die Strasse zu blicken, blickt er mit erhobener Faust aus dem Seitenfenster und. Ach so. Ruft mir „pull over and stop“ entgegen. Der scheint richtig wütend zu sein.
Ich nicke, sage OK und fahre weiter. Nochmals Glück gehabt. Die Episode hängt mir aber noch etwas nach. Natürlich hatte ich es gewusst. Reyman ist gut vorbereitet. Dass im Zion Nationalpark Velofahrer anzuhalten haben, wenn ein Bus vorbeifährt. Ich hatte mir das sogar schon bildlich vorgestellt. Im Teil des Zion Nationalparks, wo ich mich gerade befinde sind Autos verboten. Gut. Ausnahmen. Aber eigentlich verboten. Es fahren nur Shuttlebusse. Alle 5-15 Minuten zu den vielleicht 6 Stops mit Sehenswürdigkeiten. Und ich hatte gelesen, dass die Strasse durch eine enge Schlucht führe und Velofahrer deshalb verpflichtet seien anzuhalten, um Busse passieren zu lassen. Alles klar. Natürlich. Wenn die Stelle für eine Passage zu schmal ist, womöglich überhängend, dann fahre ich in die nächste Bucht und stoppe. Lasse den Bus passieren. Doch meine Fantasie war mal wieder überbordend.
Die Strasse ist – zweispurig. Mittelstreifen. Vergleiche Beitragsbild. Auf dieser Strasse fahre ich bergan. Mit Motor, also vielleicht 20 Km/h. Ich gestehe, nicht am rechten Rand, sondern etwa mittig auf der rechten Spur. Zwischen mir und Bus also weit mehr Platz als zwischen Bus und Auto, wenn er am Ende des Parks wieder auf normalen Strassen fährt. Aber offensichtlich war das zu viel. Es wird erwartet, dass ich rechts ranfahre, anhalte und den Bus auf der anderen Strassenseite vorbeifahren lasse. Und dasselbe natürlich für den Bus auf der gleichen Strassenseite, den ich aber ja nur sehe, weil ich als Weitfahrer mit einem Rückspiegel ausgerüstet bin. So ganz kapiere ich es noch nicht.

In der Folge beobachte ich das Verhalten meiner Mitvelofahrenden (von denen es viele gibt, viele aber auch mit Miet-E-Bikes). Die Einen stoppen wie auf diesem Bild. Ein Familienvater wiederum überholt fröhlich seine Frau mit Kind auf dem Gepäckträger genau in dem Moment, wo er einen Bus passiert. Und es geschieht nichts! Die Welt ist manchmal einfach unfassbar ungerecht.

Etwas später fahre ich an diesem Schild vorbei. Immerhin ist von stoppen nicht mehr die Rede. Und wie schon erwähnt, natürlich fahre ich auf die Seite, wenn ein Bus passiert – sofern die Strasse zu schmal ist. Ich den Bus beim passieren hindere. Aber doch nicht, wenn wir auf einer Strasse fahren, wo alle 15 Minuten genau zwei Busse passieren, einer von oben, einer von unten. Muss ich etwa fortan auf den Highways auch immer anhalten, wenn ein Auto passieren will? Also alle 2.78 Sekunden?

Immerhin gibt es auch das Gegenstück. Auf Strassen, die offiziell als Veloroute ausgeschildert sind, stehen oft solche Schilder. Motorists give 3 ft. Und ich kann dem geneigten Leser versichern, hinter jedem dieser Schilder warten Polizisten, um all jenen „pull over and stop“ zuzurufen, die sich nicht an diese Regel halten.
Gut. Ich bin ein wenig eingenommen. Vielleicht bin ich ja wirklich zu offensiv gefahren. Bin näher als 3 Fuss an den Bus herangekommen. Nein. Bin ich definitiv nicht. Aber ich gestehe: ich habe nicht wirklich vollkonzentriert aufgepasst. Bin Gedanken nachgehangen. Und hätte in diesem Moment ja den Bus rammen können. Man stelle sich das vor. Gut, nur seitwärts, weil ich ja sauber auf meiner Seite fuhr und einen Riesenschlenker hätte machen müssen. Aber immerhin. Und dann passiert es.
Ich sehe im Rückspiegel einen weiteren Bus sich nähern. Soll ich oder soll ich nicht? Ich entscheide mich für ich soll. Bin ja Gast in einem fremden Land. Und ich fahre grad über eine Brücke und es hat eine asphaltierte Stelle auf der ich gut anhalten kann. Ich tue es. Und schon rauscht ein Bus heran. Von der Gegenseite. Panik steigt in mir auf. Genau da, wo ich stehe kreuzen sich zwei Busse. Was bin ich froh, dass ich angehalten habe. Schon sehe ich die Nachrichten auf Fox News vor meinem geistigen Auge: „Ein Ausländer mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus verursacht Bus-Crash. So unfassbar es ist, er hat im Zion-Nationalpark entgegen der klar deklarierten Regel nicht angehalten und so den tragischen Crash verursacht, der zu 29 Toten und 38 Verletzten geführt hat.“ Als Vergeltung wird der Paradeplatz bombardiert, was zum definitiven Zahlungsausfall der UBS und damit zu einer weltweiten Rezession führt, die im Dritten Weltkrieg endet. Zum Glück habe ich angehalten.
