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Tag 104 Von Kamala zu Donald

Von Skid Row nach Santa Monica ist es nur gut eine Stunde. Mit der Metro. Von Skid Row nach Hollywood oder Beverly Hills wohl sogar noch weniger. Und doch sind unterschiedlichere Welten kaum denkbar. Und irgendwo dazwischen wohnt Kamala. Auf einem Hügel, hinter einer hohen Hecke in einer noblen Gegend. Eine Grundschule in der Nähe, ansonsten ein reines Schlafquartier mit vielen Nobelautos. Die Porschedichte in Nord Los Angeles könnte an jene im Zürcher Seefeld nahe kommen. Nahe. Und nahe ist es auch von Kamala zur heiligen Monica, einem der Nobelorte am Meer bei Los Angeles. Besonders bekannt: der Pier (vgl. Beitragsbild).

Doch Santa Monica glänzt auch nicht mehr wie zu seinen besten Zeiten. Die Einkaufsmeile gehört zwar zu den teuersten Pflastern der Welt, es gibt aber viele leere Geschäfte. Dies hat zum einen mit der erhöhten Kriminalität und auch Obdachlosigkeit zu tun, vor allem aber mit einem ökonomischen Problem: die Mieten werden trotz Leerstand nicht gesenkt, da sonst die Grundstücke an Wert verlieren. Je mehr Leerstände es aber hat, desto weniger attraktiv ist die Gegend. Leerstände gibt es vor allem am Nordende der Promenade, aber auch zwischen Apple Store und Tesla Showroom, also an bester Lage.

Wie gefährlich die Lage in Los Angeles wirklich ist, ist für mich kaum abzuschätzen. Ich fühle mich sicher und anders als in Chicago wurde ich bislang nicht davor gewarnt, gewisse Gebiete aufzusuchen. Die es selbstverständlich gibt. Vor allem Gang-Violence. Ich bin aber sowieso in einem erstaunlich günstigen Hotel „abgestiegen“, das unfassbar zentral gelegen ist. Was mit dem Brompton nicht mehr so wichtig ist, da ich damit schnell herumkomme. Anders als vor 5 Jahren, wo ich genau die Gegend erkundet habe, wo ich jetzt „wohne“, aber halt nicht viel mehr. Zu Fuss kommt man nirgends hin. Bereits vor 5 Jahren ging ich aber durch Skid Row. In meiner Erinnerung ohne Absicht, sondern einfach, weil ich da grad durchgekommen bin. Und in Skid Row sieht es so aus.

Zumindest 2019 war das allerdings im Vergleich zu San Francisco Kindergeburtstag. In San Francisco säumten Drogenabhängige und Obdachlose die Strassen – meist ohne Zelt und in Downtown. Auch Skid Row liegt nur wenige Minuten von Downtown entfernt, ist aber ein eigenes Quartier. Was es nicht unbedingt besser macht.

Der Kontrast zwischen Santa Monica und Skid Row ist pervers. Letztlich natürlich nur schon der Kontrast zwischen der pulsierenden Downtown-Area mit preisgekrönten Bauten und dem wenige Kilometer davon entfernten Slum. Und irgendwo dazwischen sitze ich gerade. In der Angel City Brewery, einer hippen Brauerei, wo grad Baseball läuft. Die Dodgers spielen im Moment jeden Tag, ist ein Riesending hier. Zuvor habe ich die bislang vielleicht beste Pasta in den USA gegessen. Cooler Laden. Trinkgeld habe ich trotzdem keines gegeben. Das Tippen ist wirklich nur noch irr. Gut. In Italien gibts das Coperto, in der Schweiz das in jedem Fall kostenpflichtige Getränk. Dieses Mal wurde auf den fairen Preis aber eine „Gratuitiy“ aufgeschlagen, was mit Trinkgeld übersetzt wird. Und darunter die übliche Bitte um Trinkgeld. Also zweimal Trinkgeld, was insgesamt wohl über 40 Prozent Trinkgeld ergibt (das zweite Trinkgeld soll ja auf den Betrag mit Trinkgeld gezahlt werden…). Auch hier, die Grundidee dahinter kann ich nachvollziehen, aber natürlich artet es aus: versteckte Preiserhöhung, weil dann doch die meisten Trinkgeld bezahlen. Zusätzlich zum Trinkgeld.

Und ja, für viele ist ein bisschen Trinkgeld auch kein Thema. Ich lese gerade ein Buch von einem spannenden Mann, der viel Erfolg gehabt hat im Leben. Viele Frauen (oft im Einvernehmen auch gleichzeitig), aber auch sehr viel Geld. Er sieht nicht besonders gut aus, muss aber faszinierende Umgangsformen haben und Menschen für sich einnehmen können. Im Buch betont er etwas stark wie er wieder einen S Klasse Fahrservice statt den Zug genommen hat, First Class statt Business, freut sich über guten Service im einen, stört sich über weniger guten Service im anderen Hotel, die beide mehrere 10000 Dollar verlangt haben für einen Zweiwochenurlaub. So Grössenordnung. Es gibt garantiert viele Menschen in dieser Gegend, für die das ganz normal tönt. Dann viele, die sich ein wirklich gutes Auto, nein zwei oder drei leisten können, ein nettes Haus, aber es ist dann eben doch immer wieder knapp, weil leisten können tut man es sich eigentlich nicht. Und dann: Skid Row.

Es sind nicht nur die Zelte. Es ist die Hoffnungslosigkeit. Erstaunlich viele Menschen mit elektrischen oder manuellen Rollstühlen. Natürlich auch Drogenabhängige und sogenannte „Dropouts“, aber eben auch Menschen, die die Kosten für ihre Wohnung nicht mehr bezahlen konnten. Arztrechnungen. Kredite nicht mehr bedienten, Job verloren, Scheidung, Schicksalsschläge. Und irgendwann landen sie hier.

Landen hier, weil hier bessere Bedingungen herrschen. Das ist etwas, was sehr oft falsch verstanden wird. Auch in Slums der Dritten Welt. Menschen ziehen dahin, weil sie sich an einem solchen Ort mehr Möglichkeiten erhoffen. Weil es auf dem Land noch schlimmer ist. Das Elend wird sichtbar, aber die Ursache des Elends liegt nicht hier. Tragisch ist allerdings, dass für viele Menschen jede Hoffnung enttäuscht wird und es danach keine Alternative mehr gibt. Kein zurück. Und damit der Absturz nicht aufgefangen wird, sondern weitergeht. Auch in Skid Row gibt es eine minimale Infrastruktur für Obdachlose. Gestern bin ich einige Kilometer von Skid Row entfernt an einer Essensausgabe vorbeigefahren. Dutzende Menschen standen an oder kauten genüsslich. Viele Geschäfte nehmen „EBTs“ an. Ein „electronic benefit transfer“ oder vereinfacht: Food Stamps. Sozialhilfe à la USA. Zudem bieten meist private Organisationen Duschen und eine einfache Infrastruktur an, geben Hilfsgüter aus etc. Viele wichtige und sinnvolle Massnahmen, die aber eine Sogwirkung entfachen für Obdachlose und Bedürftige aus anderen Teilen des Landes. Zumal die klimatischen Bedingungen in Los Angeles recht angenehm sind. Ein Grund, warum es viele Obdachlose in Honolulu auf Hawaii gibt. Wobei man da erst mal hinkommen muss.

In einige Wochen werde ich nach Plan in Miami eintreffen. Mar al Lago. Bei Trump. Wobei es mir weniger um Kamala vs Donald, Harris vs Trump geht als nochmals ganz andere Aspekte zu sehen. Bislang war ich vor allem in ländlichen Gebieten unterwegs und in von Weissen dominierten Gegenden. Das hat sich hier in Kalifornien wieder etwas geändert. Nun geht es durch den Süden mit vielen Latinos und Schwarzen. Geht es durch Texas mit seinen Grossstädten, zurück über den Mississippi nach Florida. Gespannt bin ich auf den Vergleich zwischen Kalifornien und Florida. Zwischen blauem Sunshine State und rotem Sunshine State. Und natürlich auch auf alles, was mich dazwischen erwartet.

Inzwischen ist es fast unerträglich laut geworden. Die Dodgers scheinen gut zu spielen., der Jubel ist dramatisch. Vielleicht ist es also Zeit für mich, mich auch mal dem vielleicht wichtigsten Aspekt des amerikanischen Lebens zu widmen. Dem Beiwohnen von sportlicher Aktivität anderer. Ich schaue auf den Spielstand. 7:6. Ich hatte auf 9:0 getippt…

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