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Tag 111 I don’t like the president

Zugegeben, das Spiel gestern war schon recht langweilig. Schon nach einer Stunde war mir klar, wie das Resultat sein würde. Hatte die ersten Resultate mit jenen von vor 4 Jahren verglichen. Sah schlecht aus. Da kam kaum Spannung auf. Nicht unerwartet, aber halt doch eine sehr, sehr heftige Niederlage. Sehr heftig. Und deshalb bin ich froh, dass heute wieder Basketball läuft. Das nimmt mich emotional weniger mit. Hatte in den USA sogar mal ein Probetraining in der Basketballmannschaft einer High School. Die Jungs waren sehr nett und haben extra falsch gezählt bei den Runden, die ich viel zu langsam drehte. Hat dennoch nicht gereicht.

Das Bild ist leider irreführend (Herr Abrakadabra: vor Ort sein führt oft zu solchen Fehleinschätzungen). Die zwei Jungs waren danach gleich wieder weg – und alle anderen wie jene im Hintergrund haben den Bildschirm grundsätzlich ignoriert. Das Bild ist von 21:17.

Nein, Angst ist es glaube ich nicht wie ich vor kurzem geschrieben habe. Dass der Wahlkampf in „real life“ so wenig zu spüren war. Vielleicht eher Überdruss. Auf jeden Fall bin ich der einzige, der das Spiel intensiver verfolgt. Gut. Es läuft auch Musik daneben. Live. Nicht besonders gute Bands, aber immerhin. In einer Ecke läuft ein Fernseher mit recht coolen Animationen in welchem County grad wer um wieviel vorne liegt und wie das im Vergleich zu früheren Jahren war. Aber eben. Die Spannung ist zu diesem Zeitpunkt eh schon raus. Immerhin ein Typ scheint das Spiel so genau zu verfolgen, dass er zu mir meint: „Doesn’t look good“. Und dann wieder Konzert oder Gespräch.

Das war in Los Angeles noch anders gewesen. Letzter Mittwoch oder Donnerstag. Dodgers. Da waren alle voll konzentriert dabei. Baseball. World Series. Finale. Tolle Stimmung. Und dann der Jubel, man liegt sich in den Armen, am Abend gibt es Siegesparaden, Gehupe, der Alkohol fliesst, die Hormone fluten. Aber klar. Da hatte ja auch die eigene Mannschaft gewonnen. Anders als gestern.

Und das, obwohl ich mich im tiefsten Texas befinde. Aber Austin ist so blau wie Kalifornien. Das Spezielle dabei ist, dass die Menschen sich nicht erst in dem Moment von den Bildschirmen abwenden, wo das Resultat klar ist, sondern schon vorher. Es interessiert sie nicht. Oder wie Lance and Lea in Mitchell, South Dakota sangen: „I don’t like the president, I don’t watch the news“. Washington ist weit weg und scheint nur wenig Einfluss auf das eigene Leben zu haben.

Und das erstaunt mich. Vor allem bei meinem ersten Stopp an diesem Abend. Ich fahre durch die Strassen von Austin und höre Livemusik aus einem Gartenlokal. Ziemlich schräg, aber auch ziemlich lustig. Gefällt mir irgendwie. Ich schliesse mein Velo ab und gehe hinein. Die ID muss ich zeigen, wird schliesslich Alkohol ausgeschenkt. Aber vielleicht hat es auch einen anderen Grund. Ist nicht ganz jugendfrei, wie ich bald merke. Und so jung wie ich aussehe. So verletzlich.

Leider ist das Konzert gleich zu Ende und nur langsam realisiere ich, wo ich hier gelandet bin. In einem queeren Klub, bei Democrasexy. Die Stimmung ist ausgelassen, obwohl es noch nicht mal acht Uhr ist und das Wahlresultat definitiv noch nicht bekannt. Es laufen auch Fernseher im Hintergrund, die niemanden kümmern. Das Programm ist sehr speziell. Musik, Comedy, Performances, wo eine winzige US-Flagge angezündet wird oder ein Penis aus Stoff Mayonnaise ejakuliert. Als der Name Elon Musk erwähnt wird, wird laut gebuht. Eine Astrologin erklärt irgend etwas, dann wieder Musik. In der Bar wird Karaoke gesungen, wobei man merkt, dass singen schwieriger ist als es scheint. Aber die Stimmung ist gut. Im Fernsehen laufen Ticker und auch wenn zu diesem Augenblick das Resultat noch relativ offen ist, niemand hätte wohl bemerkt, wenn plötzlich die Meldung erschienen wäre: Trump wurde soeben von Ausserirdischen entführt. Die Wahlen? So wichtig, dass der entsprechende Sender eingestellt wird. Ist ja election night. Aber nicht wichtig genug, dass man sich dadurch stören lässt. Und das bei der queeren Community. Washington scheint wirklich, wirklich weit weg zu sein.

„Trump im Siegesrausch: Die Amerikaner schenken ihm eine zweite Amtszeit – Sorgen über die Demokratie machen sie sich nicht“ titelt die NZZ. Und das ist definitiv mein Eindruck. In Georgien gingen die Menschen auf die Strasse, weil sie das Wahlergebnis anzweifelten. Hier gab es vor der Wahl, aber auch danach kaum Reaktionen. Und dabei ist die Lage schon ziemlich kritisch: sollten die Republikaner auch noch das Repräsentantenhaus gewinnen, könnten sie zumindest zwei Jahre lang durchregieren. Project 2025 umsetzen. Sehr, sehr vieles zerstören. Vielleicht sogar die Macht auf lange Zeit absichern. Und Demokraten sind die Republikaner schon seit Längerem nicht mehr wirklich. Ich bin erstaunt wie wenig ernst das die Demokraten zu nehmen scheinen.

Und in diesem Moment zerbricht die deutsche Regierung, stehen verschiedene Staaten in Europa nicht nur finanziell sehr schlecht da, kollabiert die europäische Autoindustrie, wird im Osten Krieg geführt. Kurzfristig mache ich mir um Europa eher mehr Sorgen, vielleicht ein Grund, warum dort die Wahlen fast mehr Wellen zu schlagen schienen als in den Staaten. Mittel- und langfristig sehe ich aber fast überall Verlierer. Gut. Ich sehe ja gerne das Positive. Und so langweilig das Spiel gestern war, so spannend könnte die nähere Zukunft werden. Noch guter: ich weiss nicht, ob das wirklich positiv ist. Ach ach ach.

Nachtrag: soeben höre ich nochmals das Lied „bet on us“ von Lance and Lea. Lea ist übrigens als Amish aufgewachsen. „I don’t trust the president“ heisst es. Nicht „I don’t like the president“. Falsche Erinnerung. Kann man jemanden mögen, dem man nicht traut? Ja. Leider. Und vielleicht passt das grad allzu gut. Guter.

„I don’t trust the president
I don’t watch the news
The whole world could go to hell
But I wouldn’t lose
Cause I’ve got a woman
Who’s queen of my heart
I feel like a king in her arms
And I don’t go to Vegas
I don’t gamble much
But I’d lay it all on the line for your love
And I don’t live my life on a thin line of luck
But if I was bettin‘ well I’d bet on us
Yeah I’d go all in
I’d roll the dice
I know I would win
For the rest of my life
There’s something so priceless
Between you and I
Something that money can’t buy
And I don’t play the races
Cause the odds don’t add up
But I’d lay it all on the line for your love
And I don’t live my life on a thin line of luck
But if I was bettin‘ well I’d bet on us
I don’t trust the president
I don’t watch the news
The whole world could go to hell
But I wouldn’t lose
Oh and I thank God for you everyday I wake up
And if I was bettin‘ well I’d bet on us
Yeah if I was bettin‘ well I’d bet on us“

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