Shit, wo ist sie bloss geblie, shit. Ne, so kann ich das nicht beginnen. Das geht doch nicht. Hier in den USA. Also. Wobei. Doch. Geht schon. Beeep. Wo ist sie bloss geblieben? Ist sie jetzt aber nicht. Mann. Unsicher schaue ich nach hinten. Und dann wieder dorthin, wo jetzt Leere herrscht. Also nicht leere Leere. Da liegt eine Daunenjacke. Ein Plastiksack. Ein Rucksack. Aber wo Daunenjacke, Plastik- und Rucksack sind, da sollte eigentlich auch ein dazugehöriger Mensch sein. Und dieser ist auch nach dem dritten Mal hinschauen nicht zu entdecken.
Jetzt wäre das nicht so wirklich tragisch, wenn ich mich in einem Cafe befinden würde. Oder einer Parkbank. Aber im Bus ist das halt schon unschön. Jetzt weniger für mich. Aber für die entsprechende Person. Der Halt war nur kurz. 7 Minuten. Aber das müsste nun doch wirklich der Hinterletzte mitgekriegt haben. Dass der Bus fährt. Und nicht vorher noch durchzählt, hupt und allen eine Warnsms verschickt. Atomsirenen aktiviert. Ich überlege mir, ob ich den Chauffeur informieren soll. Bringt auch nichts. Zurückfahren wird er nicht, dazu sind schon zu viele Kilometer vergangen. Und so mache ich, was in dieser Situation am einfachsten ist: ich phantasiere.
Wie diese junge Frau in Panik an der letzten Haltestelle steht und nicht mehr ein und aus weiss. Womöglich Portemonnaie und Telefon im Rucksack. Das hoffe ich jetzt mal nicht für sie. Andererseits: selber schuld. Eigenverantwortung. Ich versuche mich wieder anderem zu widmen. Aber es lässt mich nicht los. Gut. Man kann auf den nächsten Bus warten. Der kommt irgendwie abends durch. Aber ohne Telefon und Geld auch mühsam. Aber vielleicht hat sie das ja dabei. Vielleicht auch nicht. Ich überlege mir, was ich tun würde. Greyhound anrufen. Damit die dem Bus mitteilen, das Gepäck irgendwo zu deponieren. Und dann irgendwie dahin gelangen. Telefon kann man sich leihen. Musste ich mal in Georgien machen und ging problemlos. Ich ziehe es aber noch weiter, irgendwann ist man einfach gestrandet wie so viele hier. Nur, weil man den verdammten Bus hat ziehen lassen. Und dann folgt der Abstieg und beep.
Aber vielleicht liege ich ja auch falsch. Da war doch diese Latinofamilie. Vielleicht ist die Dame einfach zu ihren Leuten gesessen, nachdem jemand anders ausgestiegen ist und ein Platz frei geworden ist? Unwahrscheinlich. Aber katastrophisieren ist eben meist falsch. Gleich das Schlimmste annehmen. Sollte man nicht. Auch wenn es dann und wann natürlich trotzdem eintrifft. Aber dann und wann eben auch nicht.
Die Busfahrt an sich ist irgendwie noch spannend. Eine ganz andere Welt. Man merkt, dass hier diejenigen sind, die wenig Geld haben. Auch andere Umgangsformen sind spürbar. Herber. Der Chauffeur und Mädchen für alles macht die Regeln (die dann niemand einhält) gleich von Anfang an mit Autorität klar. Versucht den Tarif durchzugeben. Ist durchaus nett, sympathisch, aber mit ihm will man sich zugleich nicht anlegen. Eine Familie passt ihm nicht. Er herrscht sie an. Von ihnen versteht niemand ein Wort. Sprechen ausschliesslich Spanisch. Ich nehme an, dass es sich nicht um Touristen handelt, sondern wohl um Flüchtlinge aus Südamerika. Würde mich nicht erstaunen, wenn er das gleich kapiert hätte und deshalb so agiert. Irgendwie unangenehm, letztlich aber auch ohne Konsequenzen. Das erinnert mich an, ne. Zu ausschweifend. Und auch beep.
Neben mir sitzt eine Grossmutter, die Tochter und Enkel besucht hatte und jetzt nach Memphis zurückfährt. Sie hat ihre Stoffgiraffe dabei und zieht kurz nach Abfahrt eine Decke über ihren Kopf. Weg ist sie. Bei einer Pause, ja ich entsinne mich grad, bei DER Pause beobachte ich ein paar Jungs. Weiss, harte Züge. Tattoos. Kurze Haare. Verwegener Gesichtsausdruck. Schwierig zu sagen, mein erster Eindruck, die waren wohl alle schon mal im Knast. Einfach der erste Eindruck. Ohne nachgedacht zu haben. Und nicht deshalb, weil sie Bus fahren. Greyhound.
Einer dieser Jungs hat zuvor ein Girl angesprochen. Nach einer Weile fragt er wie sie heisse. Sie sagt Chelsea. Chel-ceee-a. Etwas umständlich ausgesprochen. Er lacht. Das könne er sich nicht merken. Aber aussergewöhnlicher Name. Sie sagt danke. Komplimente. Ähnlich typisch amerikanisch wie beep. „Is that a Brompton“? „I like your Brompton“! „What cool bike is that“? „Is that electric“? „I like the colour“. Ja, ich bin etwas enttäuscht, dass mein neues Velo soviel Aufmerksamkeit erhält und ich nicht. Aber Komplimente sind doch schön. Vor allem wenn sie einigermassen nachvollziehbar sind. Lässt einen einen kurzen Moment besser fühlen. Aber Komplimente sind tabu. Fast schon beep.
Denn Komplimente verstärken die Ungleichheiten. Die Schönen werden gekomplimentiert, die weniger Schönen weniger, die noch weniger Schönen gar nicht. Und das darf gemäss woker Ideologie nicht sein. Die „Marginalisierten“ müssen um jeden Preis gefördert werden und mit Komplimenten tut man genau das Gegenteil. Hebt die Erfolgreichen hervor. Also werden Komplimente gecancelled. Was ich sehr schade finde. Und ich bereue auch, dass ich das ernst genommen habe in meinem Leben und viel zu wenige Komplimente verteilt habe. Man kann sie ja auch ein wenig streuen. Und eigentlich, würde mich nicht wundern, wenn grad sehr schöne Menschen weniger Komplimente erhalten, weil sich dort keiner traut. Und mein Brompton. Ach, lassen wir das. Beep.
In Memphis überqueren wir den Mississippi. Wie cool ist das. Und wie lange her, dass ich in LaCrosse am Ufer stand. Einen Tag später auf dem Floss diesen mächtigen Strom runterfuhr. Mit Haushuhn und Hühnerhaus. Mit Ebikeantrieb auf dem Weg zu neuen Abenteuern. Und nun war ich also tatsächlich schon fast im Delta angekommen. Wie cool ist das. Ich werde zwar auch ein wenig sentimental, bedeutet das doch, dass es wieder zurückgeht. Und das bereue ich zutiefst. Aber zurück und zugleich vorwärts. Das ist doch schön. Ich mache die Handykamera bereit und mache eine Foto vom Fluss.
Eine sehr schlechte Foto. Aber ich bin ja immer noch etwas irritiert. Denn direkt vor diesem Fenster sollte eigentlich eine junge Frau sitzen, die jetzt wohl irgendwo total verloren am Strassenrand steht. Oder sitzt.
Wenige Augenblicke später erhebt sich eine Frau, die zwei Sitzreihen vor mir sitzt. Sie erinnert mich ein wenig an die Vermisste. Kann sie aber nicht sein. Auf dem Sitz liegt ja eine Daunenjacke und sie ist schon viel zu stark eingehüllt in Jacken und Pullover. Und in der Antarktis sind wir ja nicht. Gleichwohl. Sie erhebt sich. Bewegt sich nach hinten. Hat eine über dem Knie zerrissene Jeans. Was mich an irgend etwas erinnert. Und ja, sie setzt sich schräg vis-a-vis vor mich hin und ich denke nur noch beep. Alles gut. Beep beep beep.
Aber die Frage von Herrn Wixy bin ich immer noch unbeantwortet geblieben. Und deshalb. Also. Ich plane beep, wenn ich zurückkomme. Dann werde ich beep beep und beep, wobei ich mir auch vorstellen könnte zu beepen. Alles zu ändern und beep. Beep. Aber herzlichen Dank für Ihre Frage! Das möchte ich auf jeden Fall verkomplimentieren und möchte Ihnen ganz amerikanisch einen wunderbaren Abend, respektive bei Ihnen wohl schon bald Morgen wünschen. Hochachtungsvoll, Ihr Reyman.
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