Tuten
Ich liege schon wach. Es ist ungefähr sechs als es plötzlich pfeift. Einerseits Weckerlautstärke, andererseits ein Klang, der zu Amerika gehört. Egal, ob im Norden, Süden, Westen, Osten, im Zentrum oder auch ganz woanders, es gibt immer noch viele Zuglinien und wenige Bahnschranken. Und so wird getutet und getutet, sobald es einen Übergang gibt. Oder vielleicht auch einfach, weil es so schön tönt. Der Lokführer grad besonders gut oder besonders schlecht gelaunt ist. Egal, ob Amtrak (Personen) oder Güterzüge. Fun fact: die Eisenbahnlinien sollen den Frachtzugunternehmen gehören. Weshalb Frachtzüge Vorfahrt hätten. Das habe ich zumindest in Kalifornien so erlebt, 2019, als mein Zug viele, viele Stunden Verspätung hatte. Dieses Jahr bin ich doch schon ca. 5 mal Zug gefahren in den USA und es gab noch keine einzige relevante Verspätung, wobei bei so wenigen Zügen und so grossen Distanzen 10 Minuten Verspätung pünktlich sind. Anschlüsse gibt es eh keine…
Jackson
In Jackson. Ich komme mit einem Security-Mann ins Gespräch. Ja, die Innenstadt von Jackson ist nach 5 Uhr abends und am Wochenende verlassen. Lebt keiner hier. Alle in den Suburbs. Wo die höchste Mordrate pro Kopf der USA existiert. Rund 130 Morde auf keine 200’000 Einwohner. In der Schweiz gibt es vielleicht 50 Morde im Jahr. Im ganzen Land. Das gibt schon zu denken.
Für die Leere der Innenstadt und auch die miserable Infrastruktur (z.B. Strassen mit Schlaglöchern) hat er ein spannendes Argument. In Jackson gibt es fast nur Regierungsgebäude und Kirchen. Beide zahlen keine Steuern. Dazu im Gegensatz stehen die vielen Museen, zwei habe ich besucht, beide wirklich sehr professionell gestaltet, spannend, nichts auszusetzen. Ich vermute, diese sind von Washington aus finanziert.
I do it my way
Im Zug nach New Orleans. Er ist ein paar Minuten zu früh, abfahren tut er dann aber doch pünktlich. Ich staune, dass in der App eine Verfrühung von 1 Stunde und 13 Minuten für die Ankunft in New Orleans angezeigt wird. Sollten wir nicht noch irgendwo einen längeren Stopp machen, ergibt das Sinn, da sich der Zug dem Ziel in riesigen Rädern nähert.
Ich sitze im Loungewagen. Ein Typ kommt vorbei. Sie würden da drüben bei den Tischen Hymnen singen und beten. Ob ich mitmachen wolle. Ich verneine. Bereue es danach kurz, weil Abenteuer, aber ich sitze ja immer noch im gleichen Wagen. Und kenne keines der Lieder… Er kommt noch etwa dreimal vorbei, um meine Sitznachbarn, die so halb zugesagt haben zu ködern, sie bleiben dann sitzen, singen aber ein paar Sekunden mit.
Ein älteres Paar setzt sich in die Nähe von mir. Plötzlich läuft „Ain’t that just the way“ von Lutricia McNeal. Im linken Ohr die unfassbar falsch gesungenen Hymnen (weil wohl doch niemand die Lieder kennt) und im rechten Lutricia, es ist Zeit, mich zu meinem Sitz zurückzubegeben. Auf dem Rückweg sehe ich noch eine junge Frau in ein Musikbuch hineinschauen, dann komme ich am „Typen“ vorbei, der vor einem Tisch mit zwei Leuten steht. An den anderen Tischen sitzen vor allem Leute mit Laptops. So ganz erfolgreich scheint er doch nicht zu sein. Aber es ist klar, die Bedeutung von Religion ist hier gewaltig und so passt das Erlebte auch zu einem Sittenbild der USA.
Ankunft in New Orleans. Fast 1 Stunde Verfrühung, was mich vor neue Probleme stellt. Ich hatte es exakt geplant: 15:43 Ankunft in New Orleans, 15 Minuten Velofahrt zum Airbnb, das exakt um 4 (elektronisch) freigegeben wird. Jetzt muss ich eine Stunde überbrücken. Ich gehe in den Armstrongpark und fühle mich unwohl. Ein Park im Zentrum, aber alles ziemlich verfallen und vor allem: leer. Warum hat es hier keine Menschen? Dafür spielt Musik aus einem Lautsprecher. Wie überall hier. Sehr viel Musik.