Atlanta ist eigentlich eine schnell wachsende Stadt. Ich erwartete daher etwas wie Austin. Vielleicht lag es an Thanksgiving, dass es definitiv Herbst und kalt geworden ist, aber ich habe kein Stadtviertel gefunden, das lebt. Schlimmer als Dallas oder Jackson. Kaum Geschäfte, kaum Leben, obwohl es eigentlich viele Autos hat. Irgendwie seltsam. Wobei. Doch. Vor der World of Coca Cola gibt es eine Warteschlange, die geschätzt aus einem Viertel der Weltbevölkerung besteht. Leider eine Bestätigung meiner These: mehr hat Atlanta nicht zu bieten. Natürlich bis auf den Biergarten. Echt deutsch. Oder auch nicht. Keine Ahnung. War nicht drin.
Gut, das Civil Rights Museum gibt es noch. Gleich neben Coca Cola. Gut gemacht. Vor allem eine Installation berührt mich. Man legt die Hände auf einen Tisch, legt einen Kopfhörer an (im Idealfall in umgekehrter Reihenfolge) und schliesst die Augen. 90 Sekunden lang wird man dann in ein „Sit In“ katapultiert. Wo Schwarze in den 60er Jahren sich in für Weisse reservierte Restaurants setzten. Das tönt auf den ersten Blick eigentlich gar nicht so schlimm. Ja, Schwarze durften da nicht rein, haben es dann aber doch gemacht und wurden halt nicht bedient oder so. Doch in diesen 90 Sekunden wird man beschimpft, mit Worten unter Druck gesetzt, man hört die Gewalt, die damals auch zu spüren gewesen ist. Sehr eindrücklich. Zehnmal, nein hundertmal effektiver als all die Texte und Filme, die sonst noch zu lesen und sehen sind.
Morgen geht es weiter nach Florida. Gainesville. Hat wohl nicht allzu viel zu bieten, aber irgend etwas in mir will da hin. Zwei Nächte, danach ist der Plan nach St Petersburg zu fahren, wo es ein gutes Dali Museum gibt und ich in die Gegend gelange, wo Hurricane Milton gewütet hat. Auch möglich, dass ich diesen Plan wieder ändere, Ziel ist jedenfalls weiterhin Miami und entweder als Zwischenstopp oder Tagesausflug West Palm Beach. Mar-a-Lago. Von Kamala zu Donald. Von Beverly Hills nach West Palm Beach. Von superreich zu superreich. Und dazwischen bin ich definitiv auch grosser Armut begegnet. In Realität, aber auch in Form von Videos. Gestern habe ich Beiträge zu Oakland, Kalifornien gesehen, krasser als alles, was ich bislang schon gehört und gesehen hatte. Obdachlosigkeit und massivste Kriminalität. In der Nachbarschaft von Berkeley und dem Silicon Valley. Und San Francisco.
Und damit nähert sich meine USA-Abenteurerey allmählich ihrem Ende. Und geht es vermutlich noch nach Südamerika, es verbleiben weiterhin zwei Monate. Die geplante Route habe ich inzwischen gekürzt, im Moment sieht der Plan so aus, dass ich nach Chile fliege, dem Land mit den radikalliberalen Experimenten in den 70er und 80er Jahren, um von dort nach Argentinien zu fahren, einem Land das unter zu wenig Liberalismus zu leiden hatte. Und im Moment durch ein radikalliberales Experiment mit unklarem Ausgang durchgeschüttelt wird.
Naheliegend wäre es dann noch via Uruguay nach Brasilien zu reysen, von wo es gute Flüge nach Europa gibt. Insgesamt lächerliche rund 5000 Kilometer, halb so viel wie ich mit dem Ebike gemacht habe. Südafrika lasse ich wohl sein, ich hätte die Idee sehr cool gefunden, den Atlantik auf kurzem Weg zu überqueren, aber das wäre wohl das einzige Land, wo ich ev. den Gelbfieberimpfungsnachweis haben müsste, um einzureisen und irgendwie ist dann irgendwann auch genug. Vielleicht. Weil meine Pläne sich im Moment vor allem durch etwas auszeichnen: dass sie wenig Plan beinhalten und deshalb schnell geändert sind. Und deshalb.
Also morgen fahre ich nach Washington DC. Weil. Nein. Natürlich nicht. Gebucht ist gebucht. Ganz so leicht ändere ich meine Pläne nicht. In der Regel. Und deshalb Gainesville. Weil auf der Website der Stadt ein Faultier gezeigt wird. Und ich eigentlich sehr sehr gerne noch nach Costa Rica und Panama gefahren wäre. Aber liegt flugtechnisch nicht gut auf dem Weg nach Chile und wird dann wohl zu viel. Faultiere gibt es zwar nicht nur in Costa Rica, aber in die Regionen Südamerikas mit Faultieren werde ich wohl nicht gelangen. Und deshalb: eben. Gainesville.
«Von superreich zu superreich. Und dazwischen bin ich definitiv auch grosser Armut begegnet.» (reysen.ch): Wieder ein verstörender Bericht über «Obdachlosigkeit und massivste Kriminalität» inklusive Video.
«Dene wos guet geit, giengs besser
Giengs dene besser wos weniger guet geit»
Ja, Du schreibst, dass dies aus europäischer Sicht schon zutrifft. Da bin ich froh.
Andererseits gebe ich Dir recht.
Manis zweiter Vers ist nicht haltbar. Vielleicht hat ihn da die Poesie überkommen.
Das eigentliche Thema, das mich beschäftigt, und das mich zu dem Post (Tag 126) veranlasste, ist folgende Frage:
Wie ist es möglich, dass es bei so viel Reichtum allerorten (und hier meine ich explizit nicht das Unternehmenskapital) auch so viel Armut gibt, so viele Menschen sehr prekär leben müssen. Man könnte die Frage ergänzen: Wie ist es möglich, dass bei einer Staatsquote von 40-50 % immer noch so viele Menschen prekär leben?
Unfassbar und eigentlich ein Skandal.
Zwei Gedanken:
– Wären wir nicht in einer Mittelstandsfamilie in der Schweiz aufgewachsen, sondern in einer prekären Situation, z.B. Kalifornien oder anderorten. Wie würde ich mich als Vater von 2 Söhnen fühlen? Jeden Tag für meine Familie ums überleben kämpfen zu müssen, Angst haben, dass die Söhne in die Kriminalität oder Drogenmilieu rutschen (oder vielleicht wäre ich es ja auch schon), keine Perspektive zu haben, Krankheiten, die nicht richtig behandelt werden können, Gewalterfahrungen überall, stark verkürzte Lebenserwartung…
Daneben sehen wir die Villen, die SUVs, den teuren Schmuck, die Gucci Handtäschchen, die aufgespritzten Lippen…
Was würden wir da denken und fühlen?
– Du hast in Deinem Post schon von Ausserirdischen geschrieben, ich nehme diesen Faden gerne auf: Stell Dir vor, ein netter Ausserirdischer kommt auf die Erde, sieht diese Obdachlosen, teilweise kranken Menschen neben der Luxuswelt mit SUV, Villen, Goldschmuck etc.
Wie könnten wir dem Ausserirdischen erklären, warum das so ist?