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Tag 135 On the road again

Atlanta bleibt ein grosses Fragezeichen. Ist auch eine Hauptstadt wie Jackson, vielleicht liegt es ja wirklich daran wie mir ein Mann in Jackson erklärt hat: viele Beamte im Zentrum, die nach 17 Uhr / am Wochenende die Innenstadt verlassen. Es ist einfach leer, so blöd es tönt, es hat nicht mal Obdachlose. Die gibt es dann dafür in der Nähe der Greyhound Station.

Auf dem Weg dahin habe ich die gloriose Idee, mir noch ein Sandwich zu kaufen im Subway. Sind immerhin über 6 Stunden Busfahrt, Abfahrt um 11. Ich bin früh dran, kurz vor 10 versuche ich den linken Türflügel zu öffnen. Verschlossen. Ich versuche den rechten Türflügel zu öffnen. Verschlossen. Dabei steht gross angeschrieben, dass geöffnet ab 9. Doch bevor ich mir dazu Gedanken machen kann, ruft eine Stimme äusserst aggressiv: „what“? Als ob ich minutenlang an den Türen gerüttelt hätte und gross stehen würde: offen ab 11. Die Stimme ergänzt „not open“. Mich überrascht die Aggressivität und wie immer in solchen Situationen beginne ich zu fantasieren. Ja, mein letzter Haar- / Bartschnitt war in Long Beach. Long Time ago. Und schiebe ich vor mir her. Sehe ich schon aus wie ein Penner, weshalb sie so reagiert? Möglich. Vielleicht ist sie auch einfach schlecht drauf. Ich schaue nach anderen Subways – alle „vorübergehend geschlossen“. Eine andere Kette, Jimmy Johns, die ich eigentlich besser mag, öffnet erst wieder am Montag. Wie Jackson. Downtown ist tot.

Dann gehts halt ohne Sandwich los. In der Greyhound Station versuche ich mein Velo inklusive Gepäck in der Ikeatasche zu verstauen und scheitere. Später wird mir klar warum: bei meinem „Test“ habe ich die einzelnen Taschen in die Ikeatasche gestopft, hier hatte ich die einzelnen Taschen in grössere Taschen gesteckt gehabt, um es einfacher zu gestalten. Wie auch immer, ich entscheide mich schnell ein Zusatzticket zu kaufen für ein zweites Gepäckstück.

Wenig später fährt der Bus in die Haltestelle ein, ich stelle mich an, mein Ticket wird von der äusserst resolut wirkenden Dame nicht akzeptiert. Der Scanner sagt: ungültig. Ich solle zum Kundenservice gehen. Dort wird mir geraten, ihr zu sagen, sie solle nach meinem Namen suchen in ihren Unterlagen. So wie die Dame ausschaut wird sie das nicht tun. Zum Glück habe ich die rettende Idee: das Zusatzgepäckstück. Ich habe das alte Ticket gezeigt und nicht dasjenige mit zwei Gepäckstücken. Nun funktionierts.

Um 10:58 Uhr (ich glaube sogar schon vorher, aber da schaue ich auf die Uhr) will ein Mann noch zusteigen. Die Fahrerin weigert sich. Too late. Schickt ihn zum Kundenservice. Sie erklärt in aller Ruhe die Regeln. Der Mann bleibt draussen. Kurz nach 11 öffnet sie die Tür dann doch – aber lässt ihn nicht rein. Die App sei schon geschlossen. Spricht aber mit ihm. Ich glaube mich zu erinnern, dass er einige Brocken Englisch gesprochen hatte, jetzt kann er nur noch Spanisch. Ich weiss nicht, ob er dann aus Versehen strauchelt oder sich auf den Boden wirft, auf jeden Fall liegt er plötzlich auf dem Boden und schreit laut „no no no“. Mir bricht es das Herz, ihr scheint es zu gefallen. Und natürlich fantasiere ich wieder. Ein illegal Alien, der gerade genügend Geld zusammengekratzt hat, um die Fahrt zu finanzieren. Aber warum hat sie ihn nicht reingelassen? Schlechte Erfahrungen mit Leuten wie ihm? Hätte sie anders reagiert, hätte er nicht Spanisch gesprochen? Oder wollte sie einfach Macht ausüben?

Es hat unglaublich viele Autos auf der Interstate, wir fahren vielleicht mit 30, beinahe im Stau. Auf der Gegenfahrbahn fahren wir zudem an einem Unfall vorbei mit umgekipptem Auto. Polizei und Krankenwagen sind nur noch wenige hundert Meter entfernt. Nach gut zwei Stunden gibt es einen Mittagshalt. 15 Minuten. Um 13:45 gehe es weiter. Ich beeile mich, den Bus zu verlassen, gehe zum „Arbys“. Die Sandwiches sehen schrecklich aus, ich bestellte Chicken. Das sieht OK aus. Vielleicht hat sie mich falsch verstanden, auf jeden Fall kriege ich eines jener schlimm Aussehenden, was ich erst draussen realisiere. Eine Art Kebap (nicht frisch von der Stange…) in einem unglaublich schlappen Brötchen. Und nichts dazu. Optisch ein Graus, geschmacklich kaum besser.

Ich staune, dass die Fahrerin immerhin hupt, bevor sie um 13:45 Uhr zurücksetzt. Leute im Bus rufen dann, die Familie mit Kleinkind fehle. Sie hält tatsächlich an. Auch eine andere Person huscht noch rein. Plötzlich sehe ich die Fahrerin mit einem schwarzen Kleinkind im Arm, die Mutter geht noch ihren Mann holen. Sie kann also doch auch anders. Mit wenigen Minuten Verspätung gehts weiter.

Vielleicht eine weitere Stunde später fährt sie auf den Seitenstreifen, hält an. Wer etwas gesprayt hätte (vape?). Sie hat etwas gerochen. Sollte das nochmals vorkommen, werde sie die Klimaanlage auf 65 Grad stellen (18 Grad Celsius). Mir fällt es nicht auf, aber kurz darauf stoppt sie noch einmal. Niemand „stellt“ sich. Die Klimaanlage läuft danach auf Volltouren, ich fasse es nicht. Immerhin: viel unter 20 geht es kaum und ich habe Winterkleidung dabei. Alle nehmen es gelassen.

In Gainesville haben wir die Verspätung beinahe aufgeholt. Ich steige aus, fahre zum Motel, geniesse es, nur noch einen kleinen (im Moment noch überfüllten) Rucksack dabei zu haben. Das Motel ist mal wieder eine von Indern geführte Absteige, günstig, spartanisch. Bei der Reception steht, dass man Velos nicht ins Zimmer nehmen darf. 50 Dollars Busse. Das wurde mir vor wenigen Tagen schon mal verboten. Ich habe dem Receptionisten dann erklärt, dass ich ein Faltvelo hätte, ich es falten und in einer Tasche verstauen würde. Er hat es wohl nicht verstanden. Schaut mich am nächsten Morgen extrem krass böse an. Ich habe bis heute ein schlechtes Gewissen. Also frage ich hier gleich. Ne, kein Problem. Ich nehme an, es geht um Schlammspuren nach schlechtem Wetter. Dass Leute die Kette putzen mit den Handtüchern (ja, habe ich auch schon gelesen). Solche Dinge. Die Reifen meines Velos berühren nicht mal den Boden. Und ich bin ganz, ganz vorsichtig.

Es fühlt sich erstaunlicherweise ganz gut an, wieder mal in einem Absteige-Motel zu sein. On the road again. Ich vermisse das Ebike Fahren. Brompton ist schon auch OK, für kurze Strecken, aber irgendetwas fehlt. Ich erinner mich gerne an meine grosse Tour. Ohne technische Probleme wäre ich jetzt wohl noch am Weiterfahren. Ähnlich wie jetzt zwischendurch mit Zug, ev. Bus, aber auch längere Strecken Überland mit dem Velo. Ich brauche die Bewegung. Im doppelten Sinne. Strampeln, aber auch einfach weiterziehen, von Ort zu Ort, Geschichten erleben wie heute. Nicht nur schöne. Aber erleben, um zu leben.

Gainesville ist eine Universitätsstadt. Anders als Atlanta hat es viele Kneipen, Restaurants, Bars etc. etc. Das Zentrum ist nur klein, aber hübsch. Eine wohlhabende Stadt. Natürlich mit Obdachlosigkeit. Es ist unfassbar. Mich erstaunt auch, wie wenig das im Wahlkampf thematisiert wurde. Es wird einfach hingenommen. Und die Zustände sind wirklich mehr als krass.

Ich gehe Abendessen. Alpencafe oder sowas. Die haben Swiss Food. Croutes aux fromages. Nie gehört. Ah. Käseschnitten. Ich nehme dann eine Croque Madame, die überraschend gut schmeckt. Auch wenn in meinen Augen das Ei eine andere Form hätte haben sollen. Dazu ein Deutsches Bier. Jetzt sitze ich in einer Kneipe, es läuft Football. Habe ich gar keine Ahnung von. Florida Gators führen 13:0. Passt zum Gejubel. Wobei, ein Spiel, das so einseitig läuft tönt dann eigentlich doch eher langweilig. Gut. Ausser, die eigene Mannschaft gewinnt. Ah. Und ist College Football. College City. Alles klar.

Gerade läuft eine Werbung im TV. Irgendein Anwalt, der sich bei Verkehrsunfällen empfiehlt. Ganz normal hier. Und wenn man dann doch verliert, dann droht wohl schnell mal die Obdachlosigkeit. Ich finde die USA wirklich ein unfassbar faszinierendes und vielfältiges Land. Aber es bleibt mir irgendwie fremd.

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