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Tag 137 Illegal Aliens

Obwohl ich schon mehr als 30 Minuten vor Abfahrtszeit beim Busbahnhof bin, fährt der Bus bereits ein. Es ist ein Wiedersehen. Ein anderer Bus, aber die gleiche Busfahrerin (Bild, Zwinkerzwinker). Die sich zwei Tage zuvor absolut daneben benommen hat. Heute ist der Bus aber fast leer und sie sehr ruhig, ihr Blick wirkt eher traurig. Bevor wir einsteigen können versucht sie einer Frau zu helfen, die irgendwie ein falsches Ticket hat und völlig überfordert ist. Die Fahrerin wirkt wie ausgewechselt, ist hilfsbereit, gibt nicht mal die Regeln durch bevor wir abfahren. Und ich denke zurück an den zurückgewiesenen Mann. Wir leben schon verdammt nochmals im Paradies in der Schweiz. Alles abgesichert, alles gut. Und sind doch erstaunlich unzufrieden.

Emotionen. Haben wir alle. Wenn ich einen schlechten Tag habe, geschieht nicht viel. Unterricht ist Unterricht und wenn es nur einzelne schlechte Tage sind, ist das halt so. Für die Schüler vielleicht etwas unangenehm, aber nicht weiter tragisch. Wenn sie als Busfahrerin einen schlechten Tag hat, die Nacht (oder bei Nachtschicht am Tag) nicht schlafen konnte, was weiss denn ich, dann muss sie trotzdem fahren. Und wenn ein Unfall passiert sind die Konsequenzen unter Umständen gravierend. Ihr Lohn? Ein Witz. Und kein grösstenteils (vom Staat) bezahltes Sabbatical mit 50. Sondern die fristlose Kündigung mit 52, weil sich Kunden über sie beschwert haben. Sie einen Unfall gebaut hat. Oder halt sonst was Unvorhersehbares geschieht. Ein Schritt von der Obdachlosigkeit entfernt. Womöglich.

Bro hat wieder einen Kommentar geschrieben. Es geht unter anderem um Ausserirdische. Aliens. Und auch wenn es gar nicht zu seinem Kommentar passt, möchte ich heute auf dieses Thema eingehen. Illegal Aliens. Das ist die Bezeichnung für die illegalen Flüchtlinge. Ich habe lange gedacht, es gehe um Ausserirdische und es machte alles keinen Sinn. Inzwischen ist es mir klar. Und habe mir heute Morgen dazu einige Gedanken gemacht.

Mir war an diesem Morgen aufgefallen, dass es unter den Obdachlosen kaum „illegal aliens“ hat. Kaum Latinos. Was spannend ist. Denn, wer illegal in die USA reist, hat ja mal nichts. Bis vielleicht auf einen Rucksack – wie viele Obdachlose. Habe ich genügend von gesehen. Und das hat vermutlich damit zu tun, dass die Illegalen – illegal sind. Obdachlose, die in den Zentren herumlungern aber in der Regel nicht. Und sie betteln auch kaum. Bettler habe ich sehr selten erlebt, in Chicago zwei Latino-Familien (wohl illegale Flüchtlinge). Klar, dass mal jemand um Geld fragt. Eine Frau sagt ehrlich: für Zigaretten. Ich belohne die Ehrlichkeit. Aber diese Menschen sind in den Städten, weil sie hier ihre Essensbons einlösen können.

Die US Sozialhilfe basiert zu einem wesentlichen Teil auf „Food Stamps“. Die Idee dahinter: der Staat zahlt das absolut Notwendigste und diese Hilfe soll eben nicht für Zigaretten, Alkohol, Drogen oder sonst was verwendet werden. Sondern für Food. Das Fentanyl, die Drogen müssen dann anderweitig besorgt werden – durch Diebstahl, Prostitution, aber selten durch „ehrliche“ Arbeit. Und das wiederum ist durchaus spannend.

Skid Row in LA. Eindrückliches Video, das einen schon etwas näher bringt an das Elend der Obdachlosigkeit und vom Drogenmissbrauch.
Eine gute Ergänzung zum oberen Video.

In den USA mit der schon oft erwähnten calvinistischen Einstellung soll jemand, der es irgendwie kann, selber für seinen Lebensunterhalt sorgen. Wer dies könnte, aber nicht tut gilt als Schmarotzer. Selbst wenn er Obdachloser ist. Natürlich ist eine solche Einstellung zu einfach, aber sie ist wichtig fürs Verständnis: nicht selbstverschuldeten Armen hilft man durchaus. Eher durch Kirchen als durch den Staat, dem man grundsätzlich misstraut. Durch Spenden bei Mc Donalds und vielen Läden, wo man vor dem Zahlvorgang zehn Klicks machen muss. Nein. Kein Tip. Nein. Keine Spende. Nein. Keine Rabattmarken. Nein. Keine Quittung. Ich will nur bezahlen. Und raus hier.

Gegenüber als selbstverschuldet Arme Beurteilten ist man aber eher gnadenlos. Du kannst arbeiten? Dann tue es! Kein Selbstmitleid. Was vielleicht die soziale Distanz gegenüber der Obdachlosigkeit erklärt. Statt zu arbeiten hocken die hier rum, nehmen Drogen, leben von „unserem“ Geld (Food Stamps), machen die Nachbarschaft unsicher, bringen Kriminalität und müllen die Strassen zu. Mitleid? Kannste vergessen! Gut. Der Dame im Rollstuhl bringt man Mittagessen. Aber der Rest? Könnte arbeiten, statt herumzutrödeln. Dass viele davon psychische Probleme haben? Ach Gott, mir geht es auch nicht immer gut, aber ich kämpfe! Habe drei Kinder grossgezogen, einen gewalttätigen, alkoholsüchtigen Mann, aber ich kämpfe! Wilder Westen. Wer nicht kämpft geht unter. Und wer nicht kämpfen mag? Selber schuld!

Und dazu im Kontrast stehen die illegal Aliens. Die kriegen (ich hoffe ich irre mich nicht) keine Food Stamps. Sind ja illegal da. Und sind stattdessen eine Stütze der US Wirtschaft. Weil sie nicht auf den Mindestlohn, auf Sozialabgaben, auf faire Arbeitsbedingungen pochen können. Und dennoch arbeiten, knüppeln, kämpfen. Und oft im Verborgenen leben müssen, weil sie nicht entdeckt werden wollen oder dürfen. Sonst droht die Abschiebung. Sie leben nicht als Obdachlose, sondern haben meist ein Obdach – in der Hundehütte, zu Zehnt in einer kleinen Wohnung, bei den Pferden, die sie pflegen. Und sie haben eine Arbeit. 12 Stunden am Tag, 6 Tage die Woche. Wenn sie Glück haben.

In den USA gilt als US Bürger, wer in den USA geboren wurde. Das heisst Kinder von „illegal aliens“, die in den Staaten geboren wurden, sind US Bürger. Kinder, die mit ihnen die Grenze überquert haben nicht. Und genau diese sind nun von Trumps Abschiebefantasien besonders gefährdet. Sagen wir mit 5 Jahren zusammen mit den Eltern illegal in die USA eingereist, heute 50, vielleicht sogar ein kleines Unternehmen aufgebaut, aber halt eben illegal. Haben keine andere Heimat, möglicherweise den Bezug zur früheren Heimat völlig verloren, aber sind eben illegal. Und könnten nun abgeschoben werden. Mit der Wahl Trumps schlafen viele Millionen schlecht. Und das zu Recht.

Es gab und gibt Bestrebungen, diesen Status zu ändern. Ich hoffe, ich erinnere mich richtig an einen Artikel, den ich vor kurzem gelesen habe. Die Demokraten, vermutlich Biden haben „illegal aliens“ Erleichterungen versprochen, wenn sie sich registrieren lassen. Quasi einen halblegalen Status geschaffen. Was für diese Leute nun ein besonderes Problem darstellt: sie sind registriert und können so umso einfacher aufgefunden werden. Und abgeschoben.

Doch Trump sind auch die Hände gebunden. Wenn er all seine Pläne durchsetzt, wird die Wirtschaft crashen. Es ist jetzt schon absehbar, dass es ihm bei den Zöllen nicht um die Zölle geht, sondern um Deals. Er droht mit hohen Zöllen, die Staaten kommen ihm entgegen – und er auch. Ist eine Methode, kann funktionieren, ist mit Risiken behaftet. Genauso wie der Versuch, das Militär aufzubieten, um „illegal aliens“ abzuschieben. Es könnte auf jeden Fall sehr unschön werden. Aber auch unerwartete und unerfreuliche Konsequenzen haben für jene, die genau dies fordern.

Mich betrifft das wohl nicht direkt. Denn schon übermorgen fährt mein Bus nach Miami und sieht es danach aus, dass ich dieses Land in 7-10 Tage in Richtung Sommer verlassen werde. Zwar ist es hier tagsüber immer noch angenehm warm, aber in der Nacht kühlt es ab. Zeit, um wie die Zugvögel weiterzuziehen. In Richtung Heimat derjenigen, um die es heute wesentlich gegangen ist. Wobei: die stammen mehr aus Venezuela als aus Chile, was vielleicht auch mit dem politischen Hintergrund zu tun hat. Aber ach, Politik. Verdirbt die Stimmung. Eigentlich schade.

Nachtrag: bro, ich bin deinem Kommentar noch nicht gerecht geworden, aber alles hat seine Zeit…

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