Im verspäteten Bus setze ich mich einfach mal irgendwo hin. Werde dann vertrieben. Und nochmals. Schliesslich sitze ich neben einer jungen Dame, die Videos zu schauen versucht. Das Handy stellt sie jeweils auf den Handgriff auf der Lehne vor ihr. Und es fällt immer mal wieder runter. Sie erinnert mich äusserlich an eine ehemalige Schülerin. Aber wirklich wahr nehme ich sie nicht. Nächster Halt. Die zwei Plätze vor mir werden frei – und einer davon ist mein eigentlich gebuchter Sitz. Da muss ich dann nicht mehr weg. Ich setze mich ein letztes Mal um.
Es steigt ein junger Herr ein. Setzt sich neben meine vormalige Sitznachbarin. Fragt sie, wo sie hinfahre. Und dann die nächste Frage. Und noch eine. Nicht aufdringlich. Interessiert. Vielleicht ein wenig zu geübt. Nicht sein erstes Mal. Aber gut. Nein. Verdammt. Ein Profi. Die Arme. Sie hat keine Chance. Oder die Glückliche?
Sie ist – hübsch, ja. Natürlich. Glaube ich. Aber sie hat auch ein unsicheres Lachen. Charmant. Sympathisch. Eine Mischung aus Selbstsicherheit und Unsicherheit. Es wirkt souverän, überlegen, soll wohl Sicherheit signalisieren. Tut es aber nur auf den ersten Eindruck. Aber das kümmert keinen, der es hört. Es interessiert nur noch, wem dieses Lachen gehört. Schönheit zählt. Leider muss ich in dem Moment eingestehen, dass ich keine Ahnung mehr habe wie sie ausgeschaut hat. Erst beim Aussteigen genehmige ich mir noch einen Blick. Jung. Hübsch. Natürlich. Und doch bin ich ein wenig enttäuscht. Das Äussere kommt nicht an ihr Lachen heran. Ich bin böse. Kein Äusseres käme an dieses Lachen heran.
Schnell ist man beim Sport, Washington State fällt immer wieder, halt dies und das. Ich bin fasziniert. Meine grosse Schwäche. Ins Gespräch, nur schon in Kontakt kommen. Wobei ich mir in dem Moment auch überlege: will ich das wirklich? Ich bin gespalten. Ein Teil in mir bereut es, diese Schwäche zu haben, ein Teil in mir findet, es ist keine Schwäche. Sondern es ist ich. Und in diesem Moment an seiner Stelle zu sein würde mich gnadenlos überfordern.
Sie ist 26, er 30. Sie ist aus Venezuela (wo die schönsten Frauen herkommen wie ich in den 90er Jahren gelernt habe) und tut was mit Architektur. Will an die Art Basel in Miami (dazu mehr demnächst). Hat nicht so viele Freunde. Keinen Freund. Aber einen Ex. Irgendwas Schwieriges. Hat beim Campen Angst vor Birds. Es dauert eine Weile bis es klar wird: Bears. Aussprache. Spanisch und so.
Es ist absolut faszinierend mit einem Ohr mitzuhören. Sein Handy ist grad bei der Polizei. Weshalb er ein Zweites hier hat. Und sein Instagram Account noch leer ist. (Macht das Sinn)? Er ist Irgend Handwerker, Arbeiter, was Handfestes. Hat im Wald gelebt. Thema Camping. Die Unterhaltung dauert bis Miami. Angeregt, faszinierend. Er bringt sie zum Reden. Sagt selber nicht viel. Geht auf sie ein. Trägt sie auf Händen. Metaphorisch.
Viel kriege ich nicht mit, gar so voyeuristisch bin ich dann doch nicht drauf. Immerhin kriege ich noch mit wie er vorschlägt, etwas essen zu gehen. Also ihr. Nicht mir. Es hat seltsamerweise trotz über 6 Stunden Fahrt keinen Halt gegeben – sonst gibt es jeweils mindestens einen 15 minütigen Halt in der Nähe eines Arbys oder so.
Ich steige aus. In Miami. Sehe wie sie ganz, ganz schnell ihr Gepäck holt und wieder zu ihm eilt. Dass er ja nicht abhaut. Meine junge Dame. Das tut er ganz sicher nicht. Der hat zu viel investiert und sucht noch einen Ort, wo er die heutige Nacht verbringen kann. Wald gibt es in Miami schliesslich nicht. Ausser…
Er hat selbstverständlich nur ein Handgepäckstück dabei. Nichts im Bauch des Buses. Wohl sein ganzer Besitz. Ich ziehe meinen nicht vorhandenen Hut. Und gestehe mir immerhin ein: ich habe ja auch Stärken, einfach andere. Und werde morgen wohl mein Gepäck nochmals verkleinern. Vielleicht hilft es ja.
Wobei. Vielleicht liegt es gar nicht am Gepäck. Sondern am Risoletto, das er ihr gegeben haben könnte. Ich glaube das wars. Ich glaube, das wars. Ich glaube, ach, ja, ach. Ich gönne es den beiden.
Lieber M
Es ist entzückend, was Sie beschreiben. Ich hätte ja gerne gewusst, wieso Sie vertrieben wurden, obwohl es angeblich Ihr reservierter Platz war. Wer hat Sie denn vertrieben? Einer dieser Fratzen, die im Bus Venezueleanerinnen (!) aufreissen?
Wieso diese Unsicherheit? Ich könnte verstehehen, wenn es sich um Tugenden handeln würde, aber dieses flirtige Machogehabe (Sport, Polizei, Camping…) – kommen Sie, das können Sie besser. Sie sind also ein respektvoller, anständiger und gebildeter Herr im besten Alter (best ager). Und wollen die Fähigkeiten des jungen Mannes inkorporieren? Wollen so sein wie er? Kommen Sie! Ich schlage vor, wir kommen wir zurück zu uns, konzentrieren uns auf Dinge, die uns wohlfühlen lassen. Ein Buch lesen in der Sonne. Geschichten über Aliens schreiben. Reysen. Mittagessen mit Herrn Snippydippy. Sowas!
Und damit gute Nacht! oder Morgen!
Herzlich, Ihr Dr. Sommer
Also mit einem Risoletto ists nicht gemacht. Pfetelli 🙂