Es gibt zwei Formen von Problemen. Solche, die von innen kommen (selbst Gemachte) und solche, die von aussen kommen. Probleme von aussen sind der Normalfall. Eine junge Frau in Afrika verdient mit ihrem Geschäft zu wenig und kann die Miete nicht rechtzeitig bezahlen. Am Stichtag schliesst der Vermieter das Geschäft zu. Schlüssel. Bis die Miete bezahlt ist. Ohne Geschäft aber kein Einkommen… Ein Problem, das von aussen kommt und kaum zu lösen ist. Realität für viele Menschen auf der Welt. Bei Armut gehts nicht nur darum, sich Dinge nicht leisten zu können, sondern auch darum, dass einem permanent Probleme begegnen, die ein Reicher nicht kennt. Armut ist eine Riesenbitch. Können wir wohlstandsverwöhnten Schweizer uns kaum vorstellen. Nein. Gibt keine Sozialhilfe. Keine Fristerstreckung. Keine Beratung, keine Psychologen, nur eine minimale Krankenkasse, die letztlich eh nichts bezahlt. Dafür permanente Konfrontation mit existenziellen Problemen. Keine stressinduzierten Diagnosen, sondern stressinduzierte Realität, weil es schlicht keine Alternative gibt als zu funktionieren. Permanent droht der Abstieg. Die Obdachlosigkeit. Ohne Food Stamps. Noch das geringste Problem ist es zu hungern. Um die Miete dann doch noch bezahlen zu können. Und das jeden Monat. Immer mit der Guillotine über sich. Und dann beginnt der nächste Monat.
Dazu im Gegensatz habe ich hier kaum Probleme. Respektive lassen sich die meisten mit Geld lösen. Geld zu haben macht das Leben unfassbar viel einfacher. Und Statistiken sagen auch, dass anders als es gerne kolportiert wird, reiche Leute im Durchschnitt glücklicher sind als arme. Allerdings gilt das nur bis zu einem gewissen Punkt, nämlich den Moment, wo im Prinzip alle Bedürfnisse erfüllt sind. Ein zweiter Porsche und noch ein Rolls Royce dazu macht kaum glücklicher. Probleme wie die oben Genannten nicht zu haben aber schon.
Probleme von innen sind im Prinzip selbst gemachte Probleme. Dass „kleine“ Probleme viel zu viel Raum erhalten, weil man in Bereitschaft für ein Problem ist. Wenn wir keine Probleme haben, suchen wir uns mitunter welche. So kann man sich über Belanglosigkeiten aufregen, kann es gefühlt wirklich als ernsthaftes Problem erscheinen, wenn der Coiffeur die Haare einen Zentimeter zu kurz geschnitten hat. Der Nachbar den Rasen schon um 12:58 zu mähen beginnt. Der Pool im Hotel zwei Grad zu kühl gewesen ist. Wir alle kennen solche Probleme, die streng genommen keine sind. Und uns doch massiv beschäftigen können und damit – zu wahren Problemen werden. Selbst gemacht.
Heute morgen überlege ich mir lange, ob ich reklamieren soll. Angeblich war die gebuchte Unterkunft durch einen Schaden nicht bewohnbar, weshalb mir eine Alternative angeboten wurde. Allerdings, ohne mich zu informieren. Und als ich nachhake wird mir ein „Upgrade“ versprochen. Ich komme zum Haus – und ich ahne bereits, dass das nichts wird. Das Treppenhaus. Heruntergekommen. Der Eingang der Wohnung – Küche und Wohnbereich ist OK. Nicht mehr. Der wirkliche Lichtblick ist der winzige Tisch mit zwei Stühlen, zwei Gedecken und ein paar Plastikblumen. Hier hat sich jemand Mühe gegeben. Aber direkt neben dem Kühlschrank? In der Küche fehlt so vieles, hat sich niemand Mühe gegeben. Und dann öffne ich die Tür zum Schlafzimmer.
Es ist nicht nur der Fleck. Der ganze Teppich ist speckig, unangenehm. Die ganze Wohnung hat absolut keinen Charakter – im Gegensatz zu vielen, die ich bis jetzt bewohnt habe. Vergleiche Beitragsbild. Was in Ordnung ginge, wenn sie vielleicht 80 Dollar gekostet hätte. Und der Verkehrslärm nicht so laut wäre. Und das Haus nicht direkt unter den abfliegenden Flugzeugen des nahen Flughafens stehen würde. 80 Dollars Maximum. 100. Man kann nicht immer gewinnen. Ich zahle aber deutlich über 150. Art Basel Miami. Alles voll. Gute Lage. Und die Bilder wie auch die Kommentare geben ein viel (!) besseres Bild als das hier. Ich habe nichts Grossartiges erwartet. Aber deutlich mehr. Und völlig klar: wäre das obige Bild bei Booking eingestellt gewesen, ich hätte die Wohnung definitiv nicht gebucht. Keine Chance. Völlig offensichtlich. Wohl nicht mal für 80. Eine Alternative hatte ich verworfen. Für 120. Ein Wohnwagen. Definitiv besser als das hier. Verarschung.
Diese Wohnung soll grösser sein als die Gebuchte. Und vielleicht ist die Gebuchte ja auch viel schlechter als erwartet, es gab viele 5 Stern Bewertungen, aber auch viele 1 Stern. Fast alle ca. ein Jahr alt, weshalb ich davon ausging, dass sich die Situation gebessert hatte. Mal ging es um Kakerlaken (mir egal), mal um nicht zurück gezahltes Depot (nervig, aber ich habe das eh nie überprüft) und oft um Nichtigkeiten. Zu wenig WC Papier für einen längeren Aufenthalt. Ja, kann man nachkaufen oder bestimmt per Mail nachbestellen. Handtücher falsch gefaltet. Das Licht zu grell, das Bett zu weich, beim Nächsten zu hart, solche Dinge halt. Selbst gemachte Probleme. Weshalb ich hoffnungsfroh war. Ich habe in zu vielen Absteigen übernachtet. Und mir die selbst gemachten Probleme von Hotelgästen in den Kommentaren angetan. Bin da ziemlich resilient. 100 Dollars. Und durch.
Nun. Ist das ein Problem? Wenn ich 5 Nächte in einer überteuerten Wohnung übernachten müsste, den Lärm mit meinen unfassbar genialen Oropax rausfiltere, was ich eh fast immer tue, weil die Kühlschränke oder der Verkehr so laut sind? Eigentlich nicht. Wirklich nicht. Nicht eigentlich nicht. Sondern einfach nicht. Nein. Keine Frage. Nicht. Nein.
Und doch bin ich in einem Dilemma. Nicht reklamieren wird dazu führen, dass ich mich jeden Abend aufrege, den Aufenthalt nicht wirklich geniessen kann. Selbst gemachtes Problem. Wenn ich aber reklamiere, dann wird es vermutlich schwierig. Ich reklamiere. Und es wird schwierig.
Ich hab keine Ahnung, was mit dem gebuchten Apartment los ist. Offensichtlich ist es entweder weiter nicht bewohnbar oder sie haben es anderweitig vermietet. Die Dame, mit der ich chatte gibt sich ersichtlich Mühe. Will den Teppich reinigen lassen. Noch am Abend. Nett. Aber zu spät. Ein Zimmer mit einem solchen Teppich für über 150 Dollars vermieten wollen, das geht einfach nicht. Der muss vorher gereinigt sein. Zu spät.
Ich hätte zumindest eine Preisreduktion erwartet. Aber darum geht es mir ja eh nicht. Ich will hier raus. Das ist nicht, was ich gebucht habe. Sie hat aber womöglich kein Apartment, weil es irgendein Problem gibt. Und ich will hier raus. Einfach raus. Warum? Weil das Preis Leistungsverhältnis miserabel ist. Mich der Lärm nervt. Vor allem aber: ich fühle mich verarscht. Ich habe das Bestellte nicht erhalten. Es geht auch um Stolz. Um mein Gerechtigkeitsempfinden. Aber ist es ein Problem? Höchstens selbst gemacht. Arme Leute zahlen für eine solche Wohnung 1500 Dollars Miete pro Monat, bei einem Lohn von 2500. Haben einen strengen Job, werden durch die Flugzeuge aus dem dringend benötigten Schlaf geschreckt. Oder auch nicht. Weil sie resilienter sind. Keine Oropax haben – und auch nicht benötigen. Weil sie echte Probleme haben. Ist es nicht eine Anmassung so etwas als Problem zu bezeichnen? Definitiv!
Möglicherweise sieht dies für die wirklich sympathische und engagierte Dame anders aus. Für morgen hat sie mir den Wechsel versprochen. Ich glaube noch nicht so wirklich dran. Und ja, sie hat die Sache ungeschickt gemanagt, mich nicht informiert, dann von Upgrade gesprochen, aber seien wir ehrlich: vielleicht hätte ich in ihrer Situation genau gleich gehandelt. Doofe Situation. Und sie muss jetzt womöglich eine Wohnung organisieren, die sie nicht hat. Vielleicht auch nicht. Ist gestresst. Negative Emotionen. Problem von aussen. Aber definitiv auch nicht existenziell. Bloss halt vermutlich für n Appel und n Ei. Viel Ärger für wenig Lohn. Und ich mache ihr den Stress, weil ich mir zu gut bin mal etwas zuviel zu bezahlen. Was mich eigentlich nicht wirklich was kostet. Unschön.
Alltagssituationen. Konflikte. Mühsam. Nicht wirklich relevant. Und doch nervig, belastend. Aber auch den Geist beschäftigend. Wenn man Probleme sucht, dann findet man sie. Oder sie einen. Funktionsweise der selbst gemachten Probleme. Und es ist oftmals angenehmer, ein solches Nichtproblem zu einem Problem zu machen als dass man beispielsweise sich gegen sich selber wendet. Sich selbst zum Problem macht. Weil man keine wirklichen Probleme, keine Probleme von aussen hat. Manche Menschen kennen das. Manche nicht. Unabhängig davon, ob reich oder arm. Ist wohl eine Frage des Charakters. Der Konstitution. Vererbt. Geprägt. Wie auch immer.
Vielleicht sind wir ja alle Prinz Joggelis. Auf der Suche nach Problemen in unseren letztlich so durchoptimierten Leben. Und vielleicht tue ich meinen Lesern auch unrecht. Die sich in dem Moment gerade überlegen: ist das, was mich jetzt gerade beschäftigt wirklich ein Problem – oder ist es womöglich selbst gemacht? Und sich dann sagen müssen: definitiv: echtes Problem. Auch in der wohlstandsverwöhnten Schweiz. Definitiv.
Nachtrag: ich kontrolliere, ob vielleicht der Preis des Apartments wegen der Art Basel überhöht ist. Habe ich auch schon erlebt. Würde ich es heute für Januar buchen würde es – 332 Franken kosten. Pro Nacht. Bei 5 Nächten gibts Rabatt. Immer noch über 1000 Franken. Ich hoffe nur schon deshalb, dass es morgen klappt. Und ich mir ein Urteil bilden kann, ob die ursprünglich gebuchte Wohnung auch nur annähernd so viel wert ist…