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Tag 142 Kontraste

Manchmal bin ich mir nicht sicher, ob bro das ernst meint. Will den Reichen wegnehmen, dabei haben die doch alle ohne Ausnahme so hart gearbeitet. Und leben jetzt von den Früchten ihrer Plackerei. Vor allem aber ist das nicht zu Ende gedacht.

Man nehme zum Beispiel dieses Schiff, das vor Miami Beach liegt. Also das Grosse. Wobei, gilt natürlich auch für das Kleine. Und stelle sich vor: 50 Prozent Reichtums- oder Erbschaftssteuer. Und dann kommt der Staat mit der Kettensäge. Zwei Teile und was passiert dann? Eben. Sinkt. Und dann haben alle verloren. Deshalb sage ich ja: doofe Idee.

Gut 43 Grand Grand ist schon nicht wenig. Für so ein Häuslein. Aber auch hier bedenke man: das wurde gebaut. Maurer. Elektriker. Architekt. Und dann eine Horde von Putzfrauen. Gärtner. Chauffeur. Und jetzt Hälfte weg und Arbeitslosigkeit hat sich in Miami Beach verdoppelt. Deshalb eben. Lassen wir das.

Es ist Art Basel Miami Beach. Ein goldener Rolls Royce fährt an mir vorbei. Am Strassenrand stehen 4 Mercedes EQS. Verkaufen sich schlecht, mit 100’000+ aber auch einfach zu günstig. Da lohnt der Weg zum Autogeschäft schon gar nicht.

Ich setze mich hin. In der Messehalle. Neben mir eine durchaus attraktive mittelalte Frau. Im Gespräch. Es geht um Louis Vuitton. Gucci. Amazing dress. Peter and I were in Europe for our anniversary. Shoes. Dress looks like 4000, but. Cheap. Mann. Luschen. Ich würde 8000 zahlen. Einfach weils geil ist. Aber sich darüber freuen, dass etwas günstiger war? Das ist ja sowas von. Eben.

Aber ich hätte solche Proleten sowieso nicht reingelassen. Zugangskontrolle. 100000 Abbuchen vom Konto als Sicherheit, wird eine Woche später wieder zurückgebucht. Nur so kann man die Spreu vom Weizen trennen. Und wer keine 100 Grand übrig hat, der hat hier eh nichts verloren. Dann gehts wieder aufwärts. Sind wir wieder unter uns. Und können uns über das echte Leben unterhalten.

Mein Magen gibt mir ein Zeichen, dass er es begrüssen würde nach dem doch recht mageren Kaviarfrühstück mit Champagner ein Häppchen zugeführt zu erhalten. Ich gehe zur Loungebar. Zögere kurz, welche Luxemburgerli ich wählen soll. Die werden jeden Halbtag direkt aus Zürich angeflogen. Mit Linienflügen natürlich. Klimawandel und so. Ich würde ja Privatjets schicken, aber so ist halt der Zeitgeist. Alle sparsam. Gegen die Reichen. Dabei. Also ehrlich. Ich entscheide mich für ein Potpourri aus frohen Farben. Zerfliessen auf der Zunge. Und weil wir in den USA sind gebe ich auch gerne ein Trinkgeld. Ein Wochenlohn für sie, ein Sekundenlohn für mich.

Eine junge Frau, 24 Jahre alt, reist von Solai nach Nairobi. Es ist ihre erste Reise in einem Bus, ihre erste Reise aus ihrem Dorf hinaus. Es regnet und ist kühl, doch das macht ihr nichts aus, das nimmt sie nicht einmal wahr. Denn sie ist unsicher. Was wird auf sie zukommen? Wird es die Verheissung bringen, ist das ihre grosse Chance? Oder wird sie untergehen. Alleine fern von allem, was ihr bislang nahe war? Die Landschaft zieht an ihr vorbei, Spuren von grün und braun, Tropfen klopfen auf das Dach, sie fröstelt trotz ihrer inneren Leere.

Eine junge Mutter, 32 Jahre alt, hatte eine Bekannte von der 24 Jährigen angerufen. Um eine Nanny gebeten. Nannies vom Dorf sind günstiger als solche, die sich schon in der Stadt befinden. Sich schon bewährt haben. Doch der Weg ins Dorf ist weit, das Geld knapp. Und so muss ein Telefonat reichen. Als sie davon hörte war für sie sofort klar, dass sie zusagen würde. Nanny in der Stadt. Das war ihre Chance. Doch ihre Eltern mussten noch zustimmen. Was ohne Hindernisse klappte, denn ein Maul weniger. Immerhin ist sie noch unverheiratet. Mit 24. Weil sie ein Geheimnis in sich trägt.

Die letzte Nanny hatte sie nach wenigen Wochen zurückschicken müssen. Das Risiko war einfach zu gross gewesen. Und die Nanny zu naiv. Kaum in der Grossstadt traf sie auf einen jungen Mann, er wollte sie heiraten. Sie ihn auch. Kennengelernt hatten sie sich an ihrem einzigen freien Nachmittag. Sie war in die nahe gelegene Mall gegangen und hatte vor dem Cafe gestanden. Gezögert, ob sie sich diese Süssigkeit leisten sollte mit ihrem Wochenlohn. Mehr wäre nicht dringelegen. Aber immerhin hat sie diese Chance. Sie ist in der Stadt. Kost und Logie. Schlafen tut sie auf dem Sofa. Bequemer als die Matte im Dorf. Und hier hat sie sogar eine Dusche. Das war schon seltsam. Als sie in dieser Wohnung ankam. Und ihr gesagt wurde, sie solle doch schnell duschen gehen. Da stand sie im Badezimmer und wusste nicht was tun. Jetzt aber hatte sie geduscht. Steht vor dem Cafe. Und plötzlich erscheint dieser junge Mann und lädt sie ein. Verspricht ihr, sie zu heiraten. Er sieht gut aus. Ist galant. Und vor allem: er nimmt sie wahr.

Und wenige Wochen später sitzt sie im Bus. Tränen unterdrückend. Ohne weitere Zukunft. Zurückgeschickt. Ins Dorf. Grosse Schande über ihr. Eigentlich wollte sie bleiben. Sie war gut behandelt worden. Mit Mutter und Kind hatte sie sich gut verstanden. OK. Manchmal gab es nichts zu essen, weil das Geld nicht reichte, aber das war im Dorf ja auch nicht anders gewesen. Und dann, sie wollte es abtreiben. Obwohl das illegal ist. Und wurde zurück ins Dorf geschickt. Die Verantwortung sollten sie und ihre Eltern tragen. Nicht, dass sie heimlich abtreibt, es zu Komplikationen kommt und sie gefragt wird, wo sie denn wohne. Bei X. In der Stadt. Immerhin wurde ihr das Ticket bezahlt. Aber mehr ist ihr nicht geblieben. Ausser dem Kind in ihrem Bauch. Und einer geraubten Zukunft.

Davon weiss die 24 Jährige Frau nichts, die im Bus nach Nairobi sitzt. Auch nichts davon, dass ihre künftige Chefin eigentlich pleite ist. Und befürchtet, dass sie einfach das gesandte Geld behält und sich nicht in den Bus setzt. Im Dorf bleibt. Doch natürlich wagt sie die Reise. Im Dorf hat sie nichts mehr zu melden, in der Stadt nichts zu verlieren.

Alle verstehen sich gut. Mutter, Nanny und Kind. Aber schon nach einer Woche merkt die Mutter, dass etwas nicht stimmt. Eines Tages kommt sie frühzeitig von der Arbeit nach Hause. Sieht die Nanny wie sie vor dem Fernseher sitzt und Kohle isst. Zähne schwarz. Hände schwarz. Das helfe gegen ihren Eisenmangel. Die Mutter ist skeptisch. Seltsam. Will mit ihr zum Arzt. Der Nanny Augen weiten sich. Angst. Nein. Nicht zum Arzt. Nur nicht zum Arzt.

Am nächsten Morgen wird sie ihr Geheimnis beichten. Sie wurde mit 10 vergewaltigt, mit HIV angesteckt, nahm Medikamente, wurde stigmatisiert, an den Rand gedrängt. Seit 3 Jahren aber nimmt sie keine Medikamente mehr. Isst Kohle stattdessen. Und ist damit besonders ansteckend. Eine Gefahr für Mutter. Vor allem aber für das Kind.

Das Geheimnis hielt nicht mal eine Woche. Am nächsten Morgen sitzt sie im Bus zurück ins Dorf. Tränen im Gesicht. Sie hat keine Vergangenheit. Sie hat keine Zukunft. Sie hat überhaupt rein gar nichts. Ist am Leben. Aber ist das ein Leben?

Pffffffff. Scheisse. Ja. Klar. Wenigstens gehts schnell. Ich bremse, halte an. Zum Glück ist es das Vorderrad. Das ist schnell ausgebaut. Der Reifen sitzt nicht fest, die Glasscherbe schnell gefunden, der Schlauch noch schneller gewechselt. Den Kompressor habe ich leider längst weggeworfen, weshalb ich jetzt pumpe. 10. 100. 150 Stösse. Scheisse. Rad wieder einbauen und ab. Zur kubanischen Bäckerei. Wo ich mich gerade direkt vor einer Gruppe von Touristen reinquetsche. Ich zögere keine Sekunde. Crema Catalan. Mein Dessert für heute. Gabs schon gestern. Ein Gedicht. Und günstig. Die kann sich sogar ein Prolet leisten. Halber Mindestlohn, das wird doch wohl noch drin liegen. Zumindest jeden zweiten Tag.

Glasscherben am Strassenrand – keine Ausnahme. Besonders schön sind die Glasscherbenteppiche, nachdem ein Autofenster eingeschlagen worden ist

Zwei Löcher habe ich in meiner Socke. Zwei. Und dabei ist es mein Lieblingssockenpaar. Und habe ich nur zwei Sockenpaare mit mir. Gut. Jetzt drei. Eines, das ich nicht mag, eines mit zwei Löchern in der einen Socke und ein neues Paar aus Bambus. Und warum habe ich zwei Löcher? Weil in dieser Scheisswohnung zwischen Schlafzimmer und Küche irgendetwas Spitzes aus dem Teppich gelugt hat. Immerhin. Blut hat keines gespritzt. Dafür konnte ich letzte Nacht kaum schlafen. Kein Verkehrslärm. Kaum Flugzeuge. Aber der Kühlschrank. Laut wie ein Pressluftbohrer im Leerlauf. Oropax drin, aber genau die Frequenz funktioniert nicht. Und das nach dem epischen Kampf. Probleme habe ich! Echt. Gut. Für heute Abend habe ich eine Lösung gefunden. Ich habe den Schalter auf maximale Kühlung gestellt. Und werde den Scheisskühlschrank vor dem Schlafen gehen abschalten. Ohne zu zögern. Gut. Schon uncool, wenn ich morgen zum Frühstück warme Cola Zero trinken muss. Aber manchmal bedeutet Leben einfach: leiden.

Disclaimer: nicht alles in diesem Post entspricht der Wahrheit.

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1 Gedanke zu „Tag 142 Kontraste“

  1. Um der von Dir – mit meiner Wenigkeit ergänzten – Diskussion zu Armut, Staatsverständnis und Verteilungsgerechtigkeit noch etwas hinzuzfügen, sei hier – ganz unironisch – ein wirklich spannendes Buch zum Thema empfohlen:
    Julia Friedrichs: „Crazy Rich, die geheime Welt der Supperreichen.“
    Obwohl der Titel wie eine Verschwörungserzählung tönt, lohnt es sich sehr.
    Und wegen Deinem Eingangsjoke (Jacht), der wird schon auf Seite 12 besprochen – spoilere ich natürlich nicht. Ist aber überraschend bis schockierend.

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