Es fühlt sich an als ob ich gerade aus einem Alptraum aufgewacht wäre. Nach Monaten in einem Friedhof wieder zurück im normalen Leben angekommen wäre. Mich aus dem Reich der Toten befreit hätte. Nein. Alles gut. Aber Santiago de Chile flasht mich grad. Und es ist schwer zu beschreiben. Natürlich ist die Armut – abgesehen von den Obdachlosen, von denen es hier weniger gibt – grösser als in den USA. Viele Strassenhändler, die einen Hauch von Nichts anbieten und davon wohl überleben müssen.
Noch in Pennsylvania habe ich einen fiktiven Post geschrieben mit dem Thema, es gebe keine Menschen in den USA. Zombie-Land. Das passt. Hier quillt alles über. Es hat unfassbar viele kleine Geschäfte. Überall Menschen. Die flanieren, reden, einfach dasitzen, leben, sind. Die Strasse ist ein Aufenthaltsraum. Dazu im Gegensatz stehen Städte wie Dallas oder Atlanta, wo die Innenstadt leer ist. Man lebt in den Suburbs. Geht wohl kaum aus. Weshalb alles leer wirkt. Bis auf die Autos, die sich auf den Highways stauen. Aber keine Fussgänger. Und keine Geschäfte, die auf Laufkundschaft ausgerichtet sind. Tot. Friedhof.
Es lebt. Auch in den Parks. Hat es viele von. Alle mit vielen Sitzbänken, einladend und auch gut besucht. Viele Liebespaare. Ein Penner stellt sich vor eines, sieht aus als ob er „spannen“ will. Er sagt etwas und es scheint nicht um Geld gegangen zu sein, sondern dem Gesichtsausdruck der Angesprochenen nach eher um ein Kompliment. Verliebte Blicke, Berührungen, Küsse in der Öffentlichkeit, alles ganz normal. Zwei Frauen halten Händchen und es fällt nicht weiter auf. Alles ganz entspannt. Gut. Bei einem Pärchen lasse ich dann doch etwas Diskretion walten. Er liegt auf dem Rücken, sie sitzt auf ihm drauf. Die Bewegungen widersprechen dabei dem aus der Ferne Sichtbaren: sie scheinen beide angekleidet zu sein.
Ein Mann geht laut singend an mir vorbei, immer wieder spielt Live Musik. Die Menschen sind zuvorkommend, neugierig, freundlich. Das von mir gebuchte Hotel scheint von jungen Menschen geführt zu werden. Bei Ankunft sitzen sie vielleicht zu Sechst an einem Tisch und frühstücken. Wirkt sympathisch, attraktiv. Gute Stimmung. Am Mittag werden im dazugehörigen Cafe draussen Tische zusammengerückt. Eine Gruppe von vielleicht 12 Personen speist. Und nicht nur hier. Überall hat es Strassenrestaurants, Stände, mal simpel und einfach, in bestimmten Quartieren aber auch Lokale, die ich eher in Prenzlauer Berg verortet hätte. Ganze Strassenzüge.
Ja, es gefällt mir hier. Nein. Falsch. Ich bin begeistert. Gefallen ist zu schwach. Wo ich in den USA mehrfach auch geschrieben habe, dass es mir schwer fällt Städte zu spüren, ich keinen Bezug herstellen konnte, bin ich schon nach einer Stunde verliebt in Santiago. Und das liegt definitiv nicht einfach am hochsommerlichem Wetter. 35 Grad. Sonne, Sonne, Sonne, trocken. Angenehme 35 Grad. Dazu lange Tage. Und doch gehts wohl bald weiter, denn langsam rennt mir die Zeit davon. Noch lächerliche 58 Tage verbleiben mir. Nicht mal zwei Monate. Das ist ja, OK. Doppel so viel wie die meisten Menschen pro Jahr Ferien haben. Oder so. Ich glaube ein guter Moment, um zu schweigen…