Ein gewisser Herr Saludos attestiert mir in einem Blogeintrag mehr Gelassenheit. Entspanntheit. Es freut mich, dass das so rüberkommt. Denn es ist in der Tat ein selbst gestecktes Ziel, langsamer zu reysen. Die Entspanntheit zu suchen. Gelingt nicht immer, aber offensichtlich bereits sichtbar. Das geht dann ungefähr so: ich kann mich nicht entscheiden und entscheide mich halt noch einen Tag am gleichen Ort anzuhängen. Dann merke ich, dass mir jetzt ein Tag fehlt, weil zum Beispiel das Hotel in der Colonia Dignidad über Neujahr schliesst. Wäre ich ein Tag früher dran gewesen, hätte ich es noch reinzwängen können. Ich nerv mich. Es hätte auch noch mit einer Übernachtung geklappt, statt geplanter zwei, aber das war mir dann zu stressig, zumal der Weg dahin aufwändig ist. Ich nerv mich. Chance verpasst. Und jetzt muss ich darauf verzichten – oder benötige viel mehr Zeit. Ich habe nicht das Optimum herausgeholt. Das wäre besser, eleganter, schneller gegangen.
Und heute morgen in Santiago dann: ich wäre gerne noch ein paar Tage geblieben. So Gefühl und Gedanken. Wozu auch die Hetze. Zum Glück habe ich da nichts reingezwängt. Schon eher ungewohnt, wobei mir die Stadt wirklich sehr gut gefällt. Ich hatte aber gestern den starken inneren Wunsch, weiterzufahren und so tue ich das. Auch gut.
Am Bahnhof angekommen ist meine Entspanntheit dann mal kurz weg – alle Läden geschlossen. 1. Januar. Ich wusste, dass vieles geschlossen sein wird. Aber am Bahnhof? Gut, es hat zwei geöffnete Restaurants, die Italianos anbieten. Auf Tschinggen habe ich aber grad gar keinen Bock. Nein. Natürlich nicht. Ich habe die letzten Tage einmal Raclette und sonst immer die italienische Tricolore zu Mittag gegessen. Lasagne (rot), Pestopenne und Pannafettucine. Immer am gleichen Ort, immer unfassbar fein. Nein. Kulinarisch gibt es für mich nichts besseres als Italiener. Und auch sonst mag ich sie natürlich. Ich vermisse den Tschingg. Meinen Lieblingsitaliener in Zürich. Italianos in Chile sind aber Hot Dogs mit Tomate, Avocado und viel Mayo (rot grün weiss…). Mayo. Geht gar nicht. Viel Mayo. OMG. Auch der eine Automat ist defekt, immerhin kann ich an einem anderen Automaten noch ein komisches Getränk und eine Packung Chips ziehen.
Dann die nächste unentspannte Situation. Als ich zum Zug gehen will steht da ne Frau, die mich sehr skeptisch anschaut. Ich hatte vergessen das Brompton einzupacken. Mache ich noch schnell, doch die Antwort kommt schnell: Velos sind nicht erlaubt. Ja. Aber ist ein Brompton. Nein. Nicht erlaubt. Pequeno. Velos nicht erlaubt. Ist mir noch nie passiert. Mein Spanisch ist besser als ihr Englisch, also keine Chance. Ich versuche den Gedanken zu formulieren, dass hätte ich das Velo ausserhalb ihrer Sicht eingepackt, sie ja gar nicht wüsste, dass es ein Velo ist. Sie will jemanden anrufen, um zu wissen, ob das erlaubt sei. Vielleicht wirkt dann aber mein Argument oder was auch immer. Zuerst glaube ich, es geht um Bakshish. Kostet 7000. Knapp 7 Franken. Bei 21 Franken Zugticket. Aber ist mir natürlich egal. Und schnell realisiere ich, das zahlen alle mit grossem Gepäck. Dieses wird eingecheckt. Also alles gut.
Das Einsteigprozdere ist dann wieder mal faszinierend. Offiziell sollte man 45 Minuten (!) vor Abfahrt schon vor Ort sein, was viele Leute tatsächlich sind. Der Zug fährt aber erst rund 10 Minuten vor Abfahrt ein. Leute mit Übergepäck müssen an den Schlangen derjenigen vorbei, die vor den drei Türen der drei Waggons warten, um einzusteigen, um das Übergepäck im vordersten Wagen abzugeben. Danach wieder zurück zu Wagen 3. Ja, ich habe erste Klasse gebucht. Kostete 1.50 Franken mehr. An der Tür wird meine Sitznummer „abgehakt“. Es gibt dann auch einen Bistrowagen mit schlechten Sandwiches und Getränken, verhungern und verdursten muss ich vorerst noch nicht. Vorerst, weil ich noch nicht sicher bin, ob das mit dem Hotel heute Abend klappt. 1. Januar. Und unsicher bin, ob es ein Restaurant oder geöffneten Laden im kleinen Ort hat, den ich ansteure. Auch am 25. war vieles geschlossen. In Valparaiso allerdings vor allem die grossen Läden, viele kleine Stände hatten geöffnet. Aber so leer wie heute Santiago war, ich bin gespannt.
Und natürlich hat Herr Saludos recht: einfach entspannt bleiben. Eine Lösung ergibt sich auf jeden Fall. Und wenn es bei Sommertemperaturen auf einer Bank übernachten und eine Nacht Fett abbauen heisst.
Der Zug ist elektrifiziert, fährt schnell und der Service ist gut. Kurz vor der Zieldestination kommt eine hübsche Frau, um einem auf das Aussteigen aufmerksam zu machen (ganz ohne Spezialzettel wie bei Amtrak in den USA). Ich hoffe einfach, dass mein Brompton dann auch entladen wird. Aber ja, der Gedanke geht auch schon wieder zu weit. Es wird. Und wenn nicht? Dann gibt es ein neues Kapitel im Buch des Abenteuers! Relaxation.
Nachtrag: Mit dem Zug hat alles geklappt, einen offenen Laden habe ich gefunden und gleich etwas Brot gekauft, vor dem Hotel dann: niemand. Ist auch eher ein Gästehaus. Aber immerhin eine Telefonnummer. Ich rufe an, die Frau spricht nur Spanisch, aber 5 Minuten später kommt ein Security und öffnet mir das Gittertor. Nun sitze ich im Zimmer, glaube auf eine Dame warten zu müssen, um zu bezahlen und so, bin mir aber nicht sicher. Irgendwo läuft ein Radio, eine Tür geht, es ist aber nur der Wind. Ist leicht gespenstisch. Der erste Versuch das Gittertor mit dem Schlüssel zu öffnen scheitert. Ich bin eingeschlossen. Gut, das Zimmer ist OK, der Garten hübsch, alles kein Problem. Bis auf das Abendessen. Fettreserven habe ich ja genug angegessen. Ich gehe nochmals zum Tor. Beim zweiten Versuch klappts. Dann geh ich wohl demnächst mal auf die Suche nach etwas Essbarem. Alles gut.
Nachnachtrag: Der Ort ist wie ausgestorben. Gut. Ein paar Menschen hat es. Und unfassbar viele Geschäfte – aber bis auf fünf, die ich gezählt habe alles zu. Spannend. Ein Stück Pizza (sorry Italianos, etwas, das wie Pizza wirkt) kann ich ergattern, kein Restaurant hat geöffnet. Ein chinesisches Kleidergeschäft, eine Glacebude und drei Minimarkets. Ach und eine Verkaufsstelle für Alkohol. Macht sechs.
Nachtrag zum Nachnachtrag: Erst gibt es einen Alarm. Der nicht hören mag. Halt irgendne Bank, die ausgeraubt wurde oder so. Harmlos. Fünf Minuten später dann der Atomalarm. Richtig laut. Auf- und abschwellend. So Mittwochnachmittag in Zürich. Wenn grad Alarmzeit ist. Erstaunlicherweise bleibe ich ruhig. Was solls. Ist grad so schön gemütlich. Wäre vielleicht auch ein schön gemütlicher Moment für. Der Alarm stoppt. Fünf Minuten später kommt der Security mal wieder. Gibt noch weitere Hotelgäste. Alles gut.
Joschka Breitner wirkt scheinbar.
Du übst Dich in stoischer Gelassenheit, selbst wenn gegenüber eine Bank ausgeraubt wird.
Und selbst dieses fettige Stück eines hochverarbeiteten Lebensmittel nimmst Du liebevoll an.
Beeindruckend.