Jetzt also doch noch. Der grosse Kulturschock. Ich fahre von Villarrica nach Pucon, viele Autos, schmale Strasse, nicht wirklich angenehm. Ich bin etwas früh dran und probiere mal, ob mein Baumhaus schon bereit ist. Der Empfang ist freundlich, doch für mich sehr ungewohnt. Viele Menschen, die mich anlächeln, begrüssen, offensichtlich kontaktfreudig sind. Überfordert mich grad etwas. Noch ungewohnter aber ist: ich höre viele Sprachen und auch viel Deutsch, es sind viele junge Menschen, die grad kochen, essen oder irgend sonst etwas Komisches machen. Hostel an einem Tourismushotspot.
Es ist definitiv eine andere Welt. Ein Haus direkt am Strand von Pucon. Dahinter ein zweites Haus. Und ein drittes. Vielleicht auch noch mehr, so genau habe ich gar nicht hingeschaut. Alles etwas verwinkelt, dazwischen Platz, um Wäsche zu trocknen oder sich hinzusetzen und mit Zuhause zu telefonieren. Offene Gespräche. Weil versteht einen ja eh keiner. Im Gemeinschaftsklo mit Dusche gibt es eine Steckdose, aber kein Licht. Und in den Bäumen hat es zwei Baumhäuser, von denen ich grad eins bewohne. Ich habs schon schlechter getroffen.
Ich hatte gehofft, hier ein Ebike mieten zu können, was aber wohl nicht möglich ist. Ein wenig den Vulkan hochfahren hätte mir gepasst. Aber Pucon ist auch sonst sehr hübsch und so werde ich morgen wohl einfach mal wieder einen Tag rumhängen und vielleicht schaffe ich es, ein paar Zeilen zur Colonia Dignidad zu schreiben. Für heute jedenfalls bin ich zu müde dazu. Und ich habe ja noch Wichtiges zu tun: die schöne Aussicht geniessen!
Nachtrag: Es gibt sie, die Sekunden, wo ich müde bin. Genug habe. Daran denke wie schön es wäre nicht jeden Tag weiterzuziehen. Abenteuer zu erleben. Frustriert zu sein, weil ich keine Abenteuer erlebe. Momente, wo ich Nachhause zurückzukehren möchte. Wo ich genug habe von all dem Stress des Reysens. Am Morgen nicht zu wissen, was der Tag bringen wird. Es gibt sie. Diese Momente. Schon öfter als auch schon. Und manchmal auch mehr als nur Sekunden von Dauer. Dann gibt es aber auch die Wochen. Wo ich spüre, nicht für ewig, aber ein paar Wochen länger würde ich es schon noch aushalten. Ein paar. Wochen. Nicht viele. Aber doch, schon einige. Vielleicht auch ein halbes Jahr. Oder zwei. Ganz bescheiden. Nur ein paar Wochen. Oder Monate. Und ich werde traurig. Noch 35 Tage. Und noch kein halbes Jahr unterwegs. Das Leben ist einfach zu kurz!
Lieber Reyman
Ich bin ja unsicher, was ich Ihnen schreiben soll. Zwei Herzen wohnen ach! ….
Erstens: Nun bin ich ja gewissermassen auf Schritt und Tritt dabei auf Ihren unglaublichen Aventiure. Und gleichsam muss auch ich feststellen, dass sich die von Ihnen erwähnte Reysefatigue auch bei mir breitzumachen beginnt. Ich lese alles, ich schwör’s, aber langsam fehlen mir die Ideen. Vielleicht hätte ich weniger, dafür geballter kommentieren sollen. Bro ist mir schon immer einen Schritt voraus (verdammt!).
Zweitens: das Gegenteil. Sie radeln grad südlich Chile hinunter, nachdem Sie verflucht nochmal zwei Mal die USA durchquert haben. Wer da nicht mal einen Moment innehalten, sich woanders hinwünschen möchte, ist kein Mensch, beim lebendigen Bro! Sehen Sie’s mal von unseren Längengraden aus: Wir wünschten uns vielleicht an den Platz, an dem Sie gerade sind. Und Sie sich zu uns. Also Kompromiss: Wir treffen uns in der Mitte!
Dranbleiben! Und bald nachhause kommen!
Mein werter Herr.
Mit Bro Schritt zu halten ist aussichtslos, da müssen Sie sich nicht schlecht fühlen. Der macht mit einem überpackten Velo 3000 Höhenmeter an einem Tag und merkt es nicht mal. Wo ich schon nach 300 fluchend zusammenklappe. Aber Ihre Kommentare haben mir immer wieder den Glauben gegeben, nicht ganz ins Leere hinaus zu schreiben, sondern zumindest einen treuen Leser zu haben. Das hat gut getan und dafür bin ich Ihnen ausserordentlich dankbar.
Ja, mir fehlen in letzter Zeit auch immer mal wieder die Ideen, das Schreiben ist zäher geworden. Was man auch als Entspanntheit deuten kann. Nicht mehr der gleiche Drang.Vielleicht auch weniger Erlebnisse. Es ist witzig, dass ich mich weiter unter Druck setze, weil ich dies und das nicht besucht oder erlebt habe (Jomo). Und vergesse dabei wie Sie schreiben, dass ich grad den amerikanischen Kontinent viermal durchquere, schon dreimal durchquert habe, gut, einmal nur mit dem Flugzeug, aber einmal mit einem E Bike. Das alleine wäre schon Stoff genug gewesen für ein halbes Jahr Reyse. Und deshalb: genug ist genug.
P.S. Habe ich schon erwähnt, dass es heiss ist? So richtig sommerheiss? In der Nacht dann aber wieder angenehm kühl? Ich an den wunderbarsten Orten lese, verweile, bin? Das nicht genug wertzuschätzen ist eine Sünde. Bloss: was wäre ein Leben ohne Sünde?