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Tag 82 Ich gebe auf

Ja. Ich gebe auf. Das hat so keinen Sinn mehr. Ich kann es nicht, bin einfach unfähig. Dabei kann es gar nicht so schwer sein. Ich habe sogar extra ein Youtube Video angeschaut. Nix. Geht nicht. Keine Chance. Dabei hatte ich mit so viel Liebe gearbeitet und den Flick, besser geht nicht. Zumindest nicht durch mich. Fortan keine Flicks mehr, Schläuche werden ausgetauscht. Immerhin geschieht das Malheur in der Nähe eines schattigen Plätzchens und ist schnell behoben. Anders als ein anderes Malheur, das dazu geführt hat, dass es im Moment nicht mehr weiter geht.

Lange hatte ich mich nicht entscheiden können. Die heutige Etappe wäre eigentlich etwas überdurchschnittlich anstrengend gewesen, aber nicht wirklich anstrengend. Aber ich hatte keine Lust. Und habe mich dann heute Morgen dazu entschieden die Etappe in zwei Stücke zu teilen, ein weiser Entschluss wie sich später zeigen sollte. Da das Hotel erst nachmittags zum Checkin bereit sein würde und es erst 10 Uhr ist, suche ich auf Komoot noch eine kleine Tour. Es hat einen Steinbogen im Nichts. Gut. Ich fahre der empfohlenen Route entlang durch ein Wohnquartier, dann in ein kleines, etwas verstecktes Tal und es wird etwas komisch. Ich fahre an einer jungen Frau dabei, die Rasen mäht oder sowas, mich nicht wahrnimmt, seltsam abwesend ist, auch sonst wirkt es so als ob ich durch Privatgrundstücke fahren würde. Und dann komme ich an dieses Schild:

Nicht wirklich einladend. Ich überlege, was ich tun soll, da fährt ein Auto vorbei. Ich versuche die Frau anzuhalten, doch sie fährt einfach weiter. Na gut. Kehre ich halt um. Bei der jungen Frau angekommen rufe ich laut „excuse me“, keine Reaktion. Gut. Weiter. Da kommt ein Pickup-Truck. Ich halte ihn an und frage, ob ich da durchfahren könne. Er meint: nein. Und dann. Ah, du willst zum Freeway, doch, das geht schon, ich erlaube es dir, fahr einfach hinter mir her. Nach vielleicht einem knappen Kilometer kommen wir an eine grosse Strasse, die auf Komoot noch als Baustelle eingezeichnet ist.

Eine Umfahrungsstrasse, wie ich später erfahre, es sollen hier auch neue Siedlungen entstehen. Mit etwas mulmigem Gefühl fahre ich der Strasse nun alleine entlang, aber die Bauarbeiter kümmern sich nicht um mich. Und eigentlich müsste meine geplanter Weg schon nach wenigen hundert Metern abzweigen, natürlich steht daneben: „no trespassing“. Da ich ja eh Zeit habe, fahre ich halt einfach mal weiter der Strasse in Bau entlang. Ich würde gerne abzweigen, aber es gibt keine Möglichkeit und so fahre ich bis kurz vor dem Freeway und bis ich in die offizielle Strasse einbiege.

Dort folgt nach Kurzem dieses Schild, ich scheine wieder am richtigen Ort zu sein. Ich will links abbiegen und – die Strasse ist durch ein Gitter versperrt. Ich schlage in der App Alternativen nach – es gibt keine einzige. Ich muss auf den Freeway (was erlaubt wäre) oder umkehren. Da ich relativ planlos herumfahre, entscheide ich mich dazu, umzukehren und diese Morgentour als Abenteuer abzustempeln.

Um etwas nach 14 Uhr bin ich bereits am Zielort, checke im Hotel ein und will dann noch ein wenig die Stadt erkunden. Ich weiss, dass es mehrere Velohändler hat. Muss ich ausnützen, bloss habe ich im Walmart noch einen Schlauch gekauft und brauche nichts. Zur Sicherheit halte ich vor dem ersten Geschäft kurz an und prüfe, ob es vielleicht doch eine leichte Acht im Rad hat. Dann könnten die das Rad für mich zentrieren. Und da sehe ich etwas, was ich lieber an diesem Ort sehe als wenn ich es irgendwo draussen in der Wüste entdeckt hätte:

Die Felge ist gebrochen. Die 50 Meter zum Velohändler hält sie noch, es gibt aber zwei negative Befunde: damit kann ich nicht mehr weiterfahren, das kann jederzeit komplett brechen. Und sie haben kein passendes Hinterrad. Verweisen mich aber an den nächsten Veloshop und dort kommt Hoffnung auf: sie haben ein 20 Zoll Rad auf Lager und sie haben auch gleich Zeit, um die Reparatur zu versuchen.

Ich setze mich in den gemütlichen Stadtpark und finde es fast schon schade, dass ich nicht noch etwas in der Stadt bleiben kann, mir gefällt es hier. Als ich um halb Sieben noch keine Meldung erhalten habe, ahne ich aber, dass da etwas nicht klappt. Ich gehe zurück zum Geschäft, das um 7 schliesst und in der Tat: die Kassette passt nicht auf das Rad. Kassette, das ist das Ding mit den Ritzeln, das Ding mit den 10 Gängen auf der Velonabe. Sie versuchen es zwar noch, aber heute klappt es definitiv nicht mehr. Ich mache dann den Vorschlag, eine passende Kassette zu montieren, damit müsste ich fahren können, halt einfach mit kratzenden und mit weniger Gängen. Bis Las Vegas müsste das machbar sein und dort hat es sicher einen Tern Händler. Hat es nicht. Finde ich heraus. Und die extrem coole Tour durch die Sierra Nevada nach Kalifornien, die ich mir im Stadtpark zusammengestellt habe, schaffe ich damit auch nicht. Der nächste Tern-Händler ist wohl in Los Angeles. Schwierig. Der Vorschlag mit Expresspost ein Rad kommen zu lassen, verfängt auch nicht wirklich, auch wenn ich es in diesem Moment als beste Option sehe. Schwierig.

Letztlich aber habe ich extremes Glück. Ich habe Zeit, bin in einer Stadt mit allen Möglichkeiten (inkl. guten Restaurants…), ich habe zwar Pläne für die Weiterfahrt, aber noch nichts definitiv festgelegt. Es wird jetzt ein wenig mühsam, aber es wird eine Lösung geben.

Im Moment meine grösste Hoffnung sieht wie folgt aus: ich rufe morgen den Tern-Händler in Salt Lake City an, bei dem das Velo im Service war. Der hat entweder ein Hinterrad auf Lager oder kann es bestellen, schneller wird es wohl niemand erhalten. Und es gibt einen direkten Bus nach Salt Lake City, ich könnte das Rad also abholen gehen. Die Fahrt dauert 5 Stunden. Vielleicht geht es also schon morgen weiter, weil der hiesige Velomech eine Lösung findet (eher nicht), vielleicht bin ich noch in einer Woche hier, ist im Moment nicht einzuschätzen. Das einzige wirkliche Problem aus meiner Sicht: ich würde gerne die Sierra Nevada weiter nördlich überqueren und ich weiss nicht wie lange das noch vor der Wintersperre möglich sein wird. Problem aber würde ich das nicht wirklich nennen. Und so bleibt mir nichts anderes übrig als mal zu schauen wie sich die Lage entwickelt. Ich bin aber auf jeden Fall weiter guten Mutes. Und Grund zum Aufgeben ist das zumindest aus jetziger Perspektive definitiv nicht!

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1 Gedanke zu „Tag 82 Ich gebe auf“

  1. Lieber Herr
    Ich bin beeindruckt. Ihr Mut, ihr Biss, nicht aufzugeben trotz all der Strapazen. Sie sind mein Sabbatical-Held. Oder Abenteurer. Wahrhaft schön zu hören.

    Ich wünsche Ihnen morgen nur das Beste, wahrscheinlich geht’s mit dem Bus das Rad holen, was? Oder Sie kaufen sich einen Chevy und holen damit das Rad ab. Oder auch nicht nach Salt Lake City und dafür gleich nach Las Vegas, direkt mit der Karre ins Kasino, auf Rot gesetzt und noch Black Jack dazu.
    Keep it up! Rien ne va plus.

    Beste Grüsse
    Weiterso

    PS: Lebt Bro eigentlich noch?

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