Zuerst habe ich ihn gerochen. Und ich ward glücklich. Meine Mundwinkel erhoben sich, die Stimmung, die schon vorher nicht schlecht war, verbesserte sich noch merklich. Auch wenn ich mich wiederhole (und das nach so wenigen Worten): ein Glücksgefühl breitete sich aus, vom Herzen ausgehend strahlte es vor allem rauf in mein Gesicht und hätte mich jemand in diesem Moment genauer betrachtet, wäre das wohl genauso aufgefallen wie jene Momente, wo ich meine Gesichtszüge aufgrund von schlechten Nachrichten nicht mehr kontrollieren konnte. Emotionen. Wir sind zwar nur allzu gut darin, sie zu verhüllen, aber es gibt Momente, wo sie nicht zu verbergen sind. Und dieser Geruch, dieser Geruch, er machte mich glücklich.
Was eigentlich seltsam ist. Regen kann man riechen. Ich sagte einst zu bro, dass ich Hunde riechen könne. Er meinte, das könne nicht sein, weil er meinte, ich meinte, ich könnte so die Gerüche wahrnehmen, die Hunde wahrnehmen könnten. Was ich nicht meinte. Sondern ich meinte, dass ich den Regen riechen kann, bevor es regnet. Dann riecht es wie Hunde riechen. Nach nassem Fell. Was weiss denn ich. Manchmal kann ich auf jeden Fall den Regen riechen, bevor es regnet. Und ich glaube alle Leser wissen, was ich meine. Meine ich. War nur ungeschickt ausgedrückt.
Und genauso wie Regen eigentlich nicht riecht, riecht Salzwasser ja eigentlich nicht. Wenn ich Pasta koche. Da habe ich nie das Gefühl, oh, das riecht jetzt aber krass nach Salzwasser. Sondern wenn schon, das riecht jetzt nach Teigwaren. Oder so. Nach Fisch, der im Salzwasser gekocht wird. Aber Salzwasser? Geruchsneutral. Und doch eben nicht.
Vielleicht sind es ja die Algen. Oder das Motoröl, das aus den Schiffsbootsmotoren ausläuft. Irgendwelche Mikroben. Die Kläranlage wohl weniger. Weil die riecht auch so, wenn es kein Salzwasser ist. Und auch nicht die Fische. Weil Süsswasserfische. Und doch wissen wohl alle Leser, was ich meine. Der Moment, wo man das Meer riecht. Wo man sich der Brandung nähert, sie vielleicht schon hört, unbewusst und dann plötzlich zieht eine Brise vorbei und es riecht nach Meer. Nicht wirklich ein unfassbar wohlriechender Duft. Natürlich riecht es erst recht nicht schlecht. Sondern ziemlich neutral, nur nicht neutral, sondern halt nach Meer. Und das Faszinierende dabei: auch wenn der Geruch nur OK ist, ist es für mich immer wieder ein Ereignis, wenn ich das Meer rieche. Ich mag es. Respektive ihn, den Duft.
Aber das war es nicht. Ich mochte diesen Moment nicht einfach. Ich roch das Meer, wie ich es schon Hunderte Mal zuvor gerochen hatte. Aber diesmal war es anders. Weil ich genau in diesem Moment realisierte, dass ich es geschafft hatte. Es war ein Geruch, den ich lange nicht mehr wahrgenommen hatte. Zum letzten Mal in New York. Und genau in diesem Moment begriff ich, ich habe es geschafft. Das ist das andere Meer. Das andere. Ich habe es geschafft. Ich bin, verdammt nochmal, auf dem Landweg vom Atlantik an den Pazifik gereist. Mit einem Kindervelo. Wie geil ist das denn? Nun: einfach, einfach nur geil.
Ja, es fühlt sich irgendwie surreal an. Ich habe den amerikanischen Kontinent in gut zwei Monaten (ohne Ruhetage) durchquert. Nein. Mehr als durchquert. 10000 und 42 Kilometer abgespult (gut, mit Ruhetagen…), viele Umwege gemacht, eine Route gesucht, die sich mal mehr, mal weniger bewährt hat. Auf einem Kindervelo mit Motor. Und das mit dem Kindervelo wird mir irgendwie am nächsten Morgen bewusst. Oder Abend. Wo ich das lädierte Velo nochmals ans Meer schiebe, um letzte Fotos zu machen. Plötzlich realisiere ich wie klein das Velo ist. So ohne Gepäck. Wie der Lenker sich beinahe über dem Gepäckträger befindet, dazwischen ich, eingeklemmt. Um das Velo schieben zu können, muss ich erst den Schlauch entzweischneiden, der sich überall festgeklemmt hat. Das Hinterrad war die schwache Stelle. Der Rest läuft weiter einwandfrei.
Ja, es wird ein Abschied sein. Das Kindervelo ist schnell gealtert und nun ein Greis. Dazwischen aber hat es sich auch sehr erwachsen verhalten. Mir unglaubliche Dienste geleistet, ohne Murren grosse Qualen auf sich genommen. Obwohl ich es so rücksichtslos behandelt, mit viel zu viel Gepäck belastet, zu viele schlechte Strassen damit befahren habe. Zu oft ohne Rücksicht auf Verluste. Ich habe es fast sechsmal den Mount Everest – ab Meerlevel – hochgequält – und bin in zu hohem Tempo wieder runtergefahren. Ich bin damit in drei Monaten quasi nach Indien gefahren, wäre inzwischen wohl sogar in Bangladesh, wäre ich nicht von New York nach Westen, sondern von Zürich nach Osten losgefahren.
Und jetzt steht es vor der Titanic. Weit über zehnmal weiter gereist. Gut. Natürlich nicht. Ist die Queen Mary. Und die Queen Mary, die liegt in Long Beach vor Anker. Und Long Beach liegt am Pazifik. Von hier ist fast schon Japan zu sehen, Tahiti, Australien. Eine andere Welt. Was noch fehlt, weil ich es schlicht versifft habe, aber das reicht auch noch morgen: ja, dem aufmerksamen Leser wird es klar sein. Etwas fehlt. Etwas Wesentliches, bevor ich mich wieder in Richtung Osten aufmachen kann. Aber das hat auch Morgen noch Zeit. Das eilt nicht. Der Grund, warum ich alle diese Qualen auf mich genommen habe. Der Grund für das ganze Abenteuer. Ach. Das Abenteuer, es ist wohl noch nicht vorbei! Aber nahtlos wird es wohl nicht weitergehen. Sondern ich
Hip Hip Hooray! Du hast es geschafft!!! Congrats!!!
Aber warum denn wieder in den Osten?! Enjoy sunny California!
PS: Milo riecht mit nassem Fell imfall wie eine Rose….
Hey Martin!
Sooooo cool!!!!!! Beim Lesen deines Blogs kommt echt Freude auf! Ich rieche glaub ich grad ein bisschen Meer und freu mich mit dir, nachdem wir kulinarische Höhenflüge und mentale Tiefflieger (vor allem wegen Handyhalterungen…) mit dir mitgelesen haben! Danke für das grosse Vergnügen und für die unglaublichen Bilder!
Ich hoff , dass das coole Abenteuer noch nicht ganz beendet ist und die ‚zweite Staffel‘ erst grad auf Sendung geht!
Bis bald in diesem Kino!
Jeannine
Lieber Herr Rey
Ich weiss, was noch gemacht werden muss, bevor Sie wieder gen Osten reysen: mehr auf die Präsidentschaftswahl eingehen. Hab ich Recht?
Liebe Grüsse
Moby Dick