Das Motel, wo ich mich gerade befinde hat eine „Okay-Bewertung“. Das ist doch eher mies. Aber so schlimm ist es nicht, ein Bett, sauber und eine Dusche, viel mehr brauche ich nicht. Ich erinnere mich aber grad dran, dass es wohl hier war, wo darauf hingewiesen wurde, dass die Betten sehr weich sind. Jetzt weiss ich, was das bedeutet…
Der heutige Tag war wenig spektakulär. Nach einem amerikanischen Frühstück (dazu sicher später mal mehr), fahre ich los und befinde mich bald auf einer ehemaligen Bahnstrecke, die zu einem – zumindest samstags – gut besuchten Weg umfunktioniert wurde. Zumindest bis jetzt sind die Bedingungen zum Fahrrad fahren herrlich, gute Strassen, wenig Verkehr und wenn es doch mal auf eine Hauptstrasse geht sind die Strassen breit und die Autos verhältnismässig langsam. Amerika, Veloland.
Dies zeigt sich kurz nachdem dieser Trail geendet hat. Es folgt die nächste Eisenbahn, die in einen Weg umfunktioniert wurde. Dutzende Kilometer einem Fluss entlang, herrlich. Es ist bedeckt, angenehme Temperatur, viel bessere Konditionen gibt es kaum. Bis leider ein Teil des Wegs gesperrt ist und die einzige Alternative nicht nur über eine vielbefahrene Strasse führt, sondern auch steil bergauf über einen Hügel führt, statt am Wasser entlangzugehen.
Wie so oft gibt es im nächsten Örtchen ein kleines Fest, ein paar Stände, die Attraktion besteht darin, dass ein historischer Zug frisch gemacht wird. Danach geht es für längere Zeit bergauf, wobei sich einmal mehr zeigt, dass die von der App Komoot vorgeschlagenen Routen mit Vorsicht zu geniessen sind. Einen knappen Kilometer fahre ich auf einer immer schlechter werdenden Waldpiste bis ich aufgebe. Ein Baum liegt quer über dem Weg, die Alternative ist zu steil. Umkehren lohnt sich, die Fahrt auf der Hauptstrasse fühlt sich gut an.
Kurz vor meinem Ziel beginnt es zu regnen. Erst versuche ich es zu ignorieren, dann wird er stärker. Sobald ich den Regenschutz angezogen habe, hört es wieder auf. Aber immerhin weiss ich jetzt, dass dieser funktioniert…
Unterwegs sind mir weiterhin nur wenige Wahlkampfplakate aufgefallen. Vielleicht 5 Trump-Plakate stehen am Wegesrand, ansonsten spürt man wenig davon, dass das Land angeblich beinahe vor dem Bürgerkrieg steht. Und ich befinde mich immerhin in einem der „Swing States“. Was mir aber auffällt ist der Kontrast zu gestern. Noch 50 Kilometer von New York entfernt sind die Einfamilienhäuser gross, haben viel Umschwung, hier lebt eine gute Mittelschicht.
Jetzt, wo ich mich den Appalachen nähere, respektive mich schon mittendrin befinde, werden die Dörfer ärmlicher. Ich befinde mich offensichtlich bereits im berühmten Coal Country, wo früher Kohle gefördert wurde und wo heute für viele Menschen nur wenige Perspektiven bestehen. Es ist wohl das Land, das J.D. Vance, Vizepräsidentschaftskandidat der Republikaner in seinem Buch „Hillbilly Elegy“ beschreibt. Auseinander gerissene Familien, Drogenelend, Arbeitslosigkeit einer weissen ehemaligen Mittelschicht.
Gestern war mir aufgefallen, dass ich durch „schwarze“ wie durch „weisse“ Gegenden gefahren bin. Beide aber Mittelklassegesellschaften. Bis auf eine Strasse, wo ich zum ersten Mal auf dieser Reyse dem Drogenelend der USA begegnet bin. Halbe Zombies, die am Strassenrand sitzen, eine Frau, die sich sehr auffällig benimmt. Durch solche Nachbarschaften werde ich wohl noch mehrmals fahren, wobei mir bewusst wird, dass ich vor allem bei den grösseren Städten wohl vorher noch einen Blick auf die Karte werfen sollte: wo befinden sich die übelsten Viertel? Gibt es No-Go Areas, die wohl auch No-Bikedrive Areas sind oder ist mir das egal?
Im Moment braucht mich das aber definitiv nicht zu kümmern, ich bin im ländlichen Pennsylvania angelangt und hier begegnen sich Fuchs und Hase. Zumindest habe ich sie beide heute gesehen. USA ist Veloland.