Heute hat das Fahren mal wieder mehr Spass gemacht. Zumindest am Morgen. Endlich mal wieder eine Landstrasse mit wenig Verkehr, nicht so heiss, abwechslungsreiche und vor allem grünere Landschaft. Es geht zwar erst einmal viel bergauf, aber da der Akku locker reichen wird, gönne ich mir etwas mehr Unterstützung als in den letzten Velotagen, auch das gefällt mir. Am Nachmittag dann wider ein Highway, 2 Spuren mit Gegenverkehr, Autos flitzen mit über 100 Km/h an mir vorbei, die „Shoulder“ ist schmal, manchmal zu schmal, so macht Velo fahren keinen Spass. Morgen gehts in den berühmten Zion Nationalpark, auf der Strasse durch den Park fahren nur Shuttle Busse, Autos sind verboten, Velos meines Wissens nicht. Bin gespannt.
Heute möchte ich aber vor allem auf den gestrigen Kommentar von Herrn wie auch immer eingehen: Er schrieb: „Noch etwas zur Zeitverschiebung: Wenn bei Ihnen schon früher jetzt ist, sprechen Sie dann nicht aus der Vergangenheit zu uns? Und müsste man dann von Ihnen als rückständig sprechen? Also passt das zu Ihrer politischen Gesinnung oder bringe ich da etwas durcheinander?“
Die Einteilung von Zeitzonen wurde, so vermute ich, von alten, weissen Männern vollzogen, womit sie sich in imperialistischer Hinsicht und patriarchalem Elan die Welt untertan machen wollten. Was ihnen ja auch grösstenteils gelungen ist. Die Herrschaft der Zeit knechtet nun die Ausgebeuteten der Welt und treibt sie in den Mammon, respektive treibt sie dazu, sich nur noch um das Beschaffen von Geld zu kümmern und so die Bonzen noch reicher zu machen. Warum hat man die Zeitzonen nicht genau umgekehrt gemacht? Von Ost nach West? Oder von Süd nach Nord? Immerhin scheint die Sonne im Süden länger. Mein Herr. Ist es rückständig, so zu sprechen oder ist es progressiv? In meinen Augen ist das vor allem Bullshit. Erinnert mich aber in der Denkart einem angeblich progressiven Denken, das mir Schauder über den Rücken jagt. Da bin ich lieber scheinbar rückständig.
Ich möchte heute etwas weiter ausholen. Ich habe mich sicherlich stark verändert, was meine politischen Positionen betrifft. Aus einer „jungen“ Sicht mag ich rückständiger geworden sein, aus einer „älteren“ Sicht habe ich durch Erfahrung und viel Reflexion gelernt, dass nicht alles, was neu ist, gut ist und vor allem, dass nicht alles, was neu ist, neu ist. Ein junger Mensch entdeckt eine für ihn neue Idee und versteht nicht, warum die Alten sie nicht so toll finden. Vielleicht ist es einfach deshalb, weil die Alten die Idee als Junge auch hatten und gelernt haben, dass die Idee doch nicht so toll ist. Ist das rückständig?
Was das Alter lehrt ist, dass nicht alles, was intuitiv und offensichtlich tönt auch richtig ist. Und es gibt zwei Möglichkeiten mit dieser Erkenntnis umzugehen. Entweder man passt seine Denkweisen den neuen Erfahrungen an – oder man ignoriert neue Erfahrungen, biegt sie sich zurecht, um seine Denkweise nicht ändern zu müssen. Mir sind Menschen, die im Laufe ihres Lebens ihre Denkweisen anpassen deutlich lieber, auch wenn das aus einer jungen Perspektive dann als rückständig erachtet werden kann.
Erlauben Sie mir, ein Beispiel zu bringen. Wie gesagt: etwas ausführlicher. Es geht um das Zombie-Argument von David Chalmers, das auch im Buch „Die 100 wichtigsten philosophischen Argumente“ abgedruckt ist. Es lautet wie folgt:
„1. Gemäss dem Physikalismus ist alles, was in unserer Welt existiert (inklusive Bewusstsein) physisch/physikalisch.
2. Daraus folgt, dass wenn der Physikalismus wahr ist eine metaphysisch mögliche Welt, die in allen physisch/physikalischen Tatsachen identisch ist mit unserer Welt all dies enthalten muss, was in unserer Welt existiert. Insbesondere muss auch bewusste Wahrnehmung in einer solchen möglichen Welt existieren.
3. Tatsächlich können wir uns aber eine Welt vorstellen, welche physisch/physikalisch ununterscheidbar ist von unserer Welt, in welcher es aber kein Bewusstsein gibt (eine Zombie-Welt). Daraus folgt (gemäss Chalmers), dass eine solche Welt metaphysisch möglich ist.
4. Daraus lässt sich schliessen, dass der Physikalismus falsch ist. (Der Schluss folgt von 2. und 3. mittels modus tollens)“
David Chalmers ist in der Denkweise des Dualismus verfangen. Er kann diese Denkweise nicht ablegen, er kann sich eine Welt wie sie der Physikalismus propagiert gar nicht vorstellen. Seine Intuition ist zu stark. Und genau dies geschieht oft auch in der Politik. Man weiss doch, dass man recht hat. Man fühlt es. Kann sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass der Andere, womöglich sogar der Rückständige, Gott bewahre, recht haben könnte. Oder selbstverständlich auch umgekehrt. Dass der Progressive recht haben könnte. Um den anderen zu verstehen, muss man also die Denkweise des anderen verstehen. Und David Chalmers hat den Physikalismus schlicht und einfach nicht verstanden. Denn das Argument ist trivialerweise falsch.
Es geht bei dem Argument um das Bewusstseins-Problem. Es gibt grundsätzlich drei Möglichkeiten:
- Bewusstsein und Nicht-Bewusstsein (z.B. die materielle Welt, die das Bewusstsein überlebt) sind zwei völlig verschiedene Dinge
- Bewusstsein lässt sich auf das Nicht-Bewusste reduzieren
- das Nicht-Bewusste lässt sich auf das Bewusste reduzieren.
Oder in anderen Worten:
- Bewusstsein und Materie sind von einer grundsätzlich unterschiedlichen Art; Bewusstsein kann auch ohne Materie existieren, Materie kann auch ohne Bewusstsein existieren
- Bewusstsein ist auf das Materielle rückführbar, Bewusstsein gibt es nicht ohne materielle Ursache, Bewusstsein gehorcht ganz normalen physikalischen Gesetzen
- das Materielle ist auf das Bewusste rückführbar, die materielle Welt gibt es nicht ohne Bewusstsein, die Welt gehorcht irgendwelchen nicht physikalischen Gesetzen
Die erste Position nennt man auch Dualismus, die zweite Materialismus und die Dritte Idealismus. Dualismus und Idealismus sind nicht mit einem naturwissenschaftlichen Weltbild vereinbar, weshalb die Naturwissenschaften wohl materialistisch oder wie es im Argument oben heisst: physikalistisch ist: Alles, also auch Bewusstsein folgt letztlich physikalischen Gesetzen. Eigentlich eine banale Aussage – das Aspirin bewirkt physikalisch, dass die bewusst erlebten Kopfschmerzen weniger werden, der bewusste, willentliche Impuls, die Hand zu strecken führt dazu, dass die Hand sich physikalisch streckt. Bewusstsein und Materie sind sehr eng verbunden und damit keine zwei völlig unterschiedlichen „Substanzen“. Bewusstsein existiert nicht ohne Gehirn, das Gehirn allerdings durchaus ohne Bewusstsein. Was bereits ein Argument gegen den Idealismus ist.
Das Problem ist nun das Folgende: Intuitiv, und damit komme ich auf das Thema dieses Posts zurück, ist ein Materialismus/Phyiskalismus offensichtlich falsch. Intuitiv sind wir wohl alle Dualisten. Bewusstsein ist qualitativ etwas völlig anderes als Materie. Bewusstsein soll „materiell“ sein? Welcher Idiot glaubt denn so etwas? Ein Materialist ist offensichtlich ein „rückständiger“ Mensch, der überhaupt nichts begriffen hat. Logo. So offensichtlich, das muss man nun wirklich nicht mal thematisieren. Lächerlich.
Umgekehrt ist der bei etwas Nachdenken völlig absurde Idealismus gerade auf der (scheinbar) progressiven Seite sehr weit verbreitet, so zum Beispiel im heute sich leider immer weiter ausbreitenden postmodernen Denken. Idealismus bedeutet, dass das Materielle vom Bewusstsein abhängig ist. Gemäss einem Idealismus gab es vor dem Bewusstsein keine Erde, geht die Welt aber auch jeden Abend beim Einschlafen unter (was Idealisten natürlich ignorieren). Idealismus bedeutet, dass die materielle Welt erst mit dem ersten bewussten Augenblick entstanden ist, die Welt also immerhin ein paar Jahrtausende älter ist als gemäss der Kreationisten, aber die Entwicklung des Lebens aus unbelebter Materie lässt sich damit definitiv nicht erklären. Und dennoch: Intuitiv sind die meisten Menschen Dualisten, vehemente Antimaterialisten und hat der Idealismus ein erstaunlich positives, halt „progressives“ Image. Und damit kommen wir auf den Fehler von David Chalmers zurück.
Im Physikalismus / Materialismus gibt es einen bestimmten Zustand von Materie, der Bewusstsein zur Folge hat. Das heisst, wenn ein Gehirn in einem bestimmten materiellen Zustand ist, dann hat ein Subjekt bewusste Zustände. Wenn das Gehirn in einem anderen materiellen Zustand ist, hat dasselbe Subjekt keine bewussten Zustände, schläft also beispielsweise traumlos. Und, entschuldigen Sie das makabere Beispiel, wenn eine Kugel das Hirn trifft endet das Bewusstsein dieses Subjekts für immer. Ganz normale, natürliche, physikalische Vorgänge.
Der Fehler von Chalmers liegt nun in Punkt 3: „Tatsächlich können wir uns aber eine Welt vorstellen, welche physisch/physikalisch ununterscheidbar ist von unserer Welt, in welcher es aber kein Bewusstsein gibt“. Das ist falsch, wenn der Physikalismus / Materialismus recht hat. Wenn der Physikalismus / Materialismus (rein hypothetisch) stimmt, dann ist Chalmers Argument falsch. Sein Argument funktioniert nur, wenn der Dualismus stimmt – dann aber lautet sein Argument streng genommen: wenn der Dualismus korrekt ist, dann ist der Physikalismus / Materialismus falsch. Wenn aber der Physikalismus / Materialismus stimmt, dann ist sein Argument hinfällig.
Chalmers ist derart von der Denkweise des Dualismus durchzogen, dass er (und auch die Kollegen, die das Argument nachplappern) sich den Physikalismus / Materialismus schlicht nicht vorstellen kann. Denn im Physikalismus / Materialismus heisst es ja, dass Materie, die sich in einem bestimmten Zustand befindet, zwingend (!) Bewusstsein hat, befindet sich die Materie in einem anderen Zustand, hat es zwingend (!) kein Bewusstsein. Im ersten Fall ist zwar in einem Dualismus, nicht aber in einem Physikalismus / Materialismus ein „Zombie“ vorstellbar. Physikalismus / Materialismus bedeutet, wenn Materie in Zustand X ist, dann existiert Bewusstsein. In einer physikalisch von unserer Welt ununterscheidbaren Welt hätte Materie in Zustand X also zwingend auch Bewusstsein. So ist der Materialismus / Physikalismus ja definiert. Ein Zombie würde bedeuten, dass sich die Welt physikalisch / materiell von jener ohne Zombie unterscheidet. Sorry, es ist so unfassbar trivial, dass es schon beängstigt, dass ein solches Argument zu den hundert wichtigsten der Welt gehören soll… Aber die Verfasser des Buches waren wohl wie die meisten „Philosophen“ Dualisten und konnten ihre Denkweise nicht überwinden…
Nun, mein Werter, mir geht es aber eigentlich gar nicht um Chalmers Argument, dessen Widerlegung sie in anderen Worten auch auf der sehr empfehlenswerten Website Argumentarium.ch finden. Geschrieben von meinem guten Freund Martin Rey. Sondern darum, dass wir in Denksystemen gefangen sind. Chalmers im Denksystem des Dualismus. Und Chalmers kann sich dieses Denksystems nicht entledigen, weshalb sich für ihn Menschen, die nicht seinem Denksystem folgen offensichtlich irren. Und vor allem als rückständig erscheinen, obwohl eigentlich Chalmers jener ist, der die Grundproblematik nicht verstanden hat und damit – rückständig ist.
Sie haben einst auf diesem Blog das Höhlengleichnis erwähnt. Und eigentlich geht es mir darum. Viele junge Menschen, viele „Progressive“ haben das Gefühl, sich ausserhalb der Höhle zu befinden, sind aber derart in ihrem Denksystem gefangen, dass sie das Innere der Höhle als ganze Wahrheit erachten. Stimmt ja schliesslich mit ihrer Intuition überein und man ist ja so fortschrittlich und nicht so rückständig wie die alten Knacker. Und der alte Knacker schmunzelt über die übereifrige Jugend, weil er ja auch mal in der Höhle gewesen ist und jetzt von ausserhalb (vermutlich immer noch in einer Höhle) darauf schauen kann.
Das Bild mit dem Höhlengleichnis ist mir übrigens bei einer hitzigen Diskussion gekommen, wo ich alleine gegen mehrere Freunde argumentiert habe. Ich hatte nicht gut argumentiert, gestehe ich ein, aber plötzlich hatte ich dieses Bild vor meinen Augen: verdammt, merken die wirklich nicht, wie lächerlich ihre Haltung ist? Wie offensichtlich falsch? Wie sie das als Realität wahrnehmen und es so offensichtlich unhaltbar ist? Das Spannende daran war, dass ich ja selber lange genug in der Höhle gelebt hatte und noch vor wenigen Jahren genau gleich argumentiert hätte wie sie. Gefangen in einem Denksystem, das leider genauso fehlerhaft ist wie der Dualismus von David Chalmers. Aber von dem man umso mehr überzeugt ist und das man vehement verteidigt. Denn ansonsten müsste man ja sich selber, seine Überzeugungen, möglicherweise sein Selbst in Frage stellen. Dann doch lieber im Denksystem verhaften – und so in aller Bequemlichkeit älter werden.
Ich versuche zu einem Ende zu kommen. Bei mir ist natürlich nicht früher Jetzt. Sondern früher Morgen. Was doch ein wesentlicher Unterschied ist. Deshalb bin ich wohl in letzter Zeit oft so müde. Zu früher Morgen. Aber jetzt ist mein Jetzt jedenfalls: Zeit, um daran zu denken wie ich diesen Abend abschliesse, wo Sie vermutlich bereits wieder wachliegen und sich fragen, was die Kleine denn nun schon wieder hat. Passiert beides im Jetzt. Einfach der Sonnenstand ist ein Anderer. Ihnen wünsche ich – ach Gott, eine ruhige Nacht passt wegen der Nichtgleichzeitigkeit der Jetzte natürlich nicht, also einen angenehmen Montag und ich wünsche Ihnen und Ihrer nicht mehr ganz kleinen Familie ein gutes Eingewöhnen in die neue Realität. Jetzt und in Zukunft.
Und allen anderen Lesern, die bis hierhin durchgehalten – ein herzliches Dankeschön!