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Tag 93 Ne, so nicht

Ich habe in einer Pyramide übernachtet. Einer richtig grossen Pyramide. Sehr sehr gross. Riesig. Parterre. Vielleicht war das ja der Grund. Zu viel Energie. Ne, so nicht. Definitiv nicht.

Als ich heute Morgen aufgewacht bin, wollte ich eigentlich noch liegenbleiben. Es lag ja kein wirklich strenger Tag vor mir. Und es war grad so kuschelig warm. Und draussen für Las Vegas ungewohnt kühl. Sagte mir zumindest meine Wetterapp. Und so gönnte ich mir noch eine Dusche (nicht ganz heiss genug, weil wohl grad Hochbetrieb war) und machte mich dann auf den Weg ins Casino. Nein. Ich habe keinen einzigen Dollar verzockt. Reizt mich gar nicht. Aber ich wollte noch eine Foto machen. So Foto vom Pyramidencasino. Ich verstehe ja den Reiz eines Roulettetischs. Von Kartenspielen. Von Automaten, wo alle paar Minuten Münzen rauskugeln. Aber hier gibt es vor allem Automaten. Ohne Münzen. Wo man einen Knopf drückt und bei Gewinn leuchtet es ein wenig. Ne, versteh ich nicht, den Reiz. Das Online Checkout funktioniert leider nicht, also, ach Gott, ne, so nicht.

Dafür sitze ich jetzt im seltsamsten Airbnb. Heute ist Las Vegas ausgebucht. Auch die Nachbarorte. Pahrumb. Sogar Beatty. Ausgebucht. Wahnsinn. Nascar Rennen. Preise ab 6-700 Dollars. Für ein Hostelbett im Sechserschlafsall. Für Frauen. Und ich habe gut 150 Franken bezahlt. Ohne Frau, ohne Frauenschlafsaal. Wahnsinn. Glückspilz. Schnäppchen. Ich bezahle dafür mit der Ungewissheit, ob ich am richtigen Ort bin. Keine Seele, keine Glocke und nicht wirklich einladend. Bis ich das Checkin Prozedere lese – man muss einfach am Wohnmobil vorbei (vielleicht 50 cm Platz), dann Tor öffnen, aufpassen, dass die Schildkröte nicht entwischt, also Tor gleich wieder zu (schnell!!), dann in den Garten und im Hinterhof hat es ein Tiny House. Fun Fact: als ich wieder rausgehen will, sitzt die Schildkröte direkt vor dem Tor. Ich muss sie wegtragen. Vor Kurzem sollen Airbnb Idioten das Tor nicht geschlossen haben. Ich hoffe, sie hat den Ausflug genossen. Ach. Ich liebe Schildkröten.

Der Garten ist riesig, gehört zu einer Villa, vor der Villa sind fette Karren geparkt, ein Sportwagen, ein übler SUV, weitere Autos. Die Vermieterin, ach Gott. Ich weiss nicht, was ich machen soll. Hübsches Gesicht. Keine Frage. Sehr hübsch. Gut geschminkt. Das Parfum hallt im Zimmer nach. Aber eben nicht nur Gesicht. Nein, da darf man nicht hinschauen. Aber wenn man da nicht hinschaut, dann hat man etwas verpasst, was man im Leben nicht mehr nachholen kann. Vor dem Kaminfeuer bereuen wird. Wenigstens ein kurzer Blick. Schwierig. Diese Figur in Verbindung mit der Figur des Betts im Tiny House, ja, da könnte man auf Gedanken kommen. Ne, so nicht.

Ein Schwarzer hält an. Steigt aus, fragt mich, ob der Pickup zu kaufen sei. Vintage Pickup. Kaum noch lauffähig. Aber ich gestehe ein: mit so einem durch die USA fahren, wäre schon geil. Vielleicht, ich sage ihm, dass der nicht zu verkaufen sei. Vielleicht, also nur womöglich oder möglicherweise. Wäre das ne Option? Für mich? Ne. So nicht. Noch nicht.

Die Villa ist eigentlich ziemlich chaotisch und unaufgeräumt. Sehr seltsam. Darf ich da wirklich rein? Das Tor zum Garten ist grundsätzlich nicht abschliessbar, was auch für die Tür zum Tiny House gilt. Für mich kein Problem, aber ich wundere mich. Scheint ne sichere Gegend zu sein. Und doch. Also. Ne. So ganz sicher nicht. Viel zu positiv.

Heute Abend gabs Udon Nudeln beim Vietnamesen. Hat gut geschmeckt. Sehr gut. Anders als die zwei Asiaten zuvor. Vor allem beim Einen wusste ich nicht, ob das jetzt exotisch ist oder nicht mehr gut. Thai-Suppe, die sauer schmeckt (soll eine andere, die ich eigentlich nicht gewählt habe) und nach Käse. Seltsam. Mein Körper hatte allerdings im Nachhinein nichts dagegen einzuwenden. Der Italiener (Chicago Joe’s) dafür, der war cool. Schon die Eingangstür. Wäre da nicht ein „open“, ich hätte mich wohl nicht einzutreten getraut. Als ob man in eine Wohnung eintritt. Direkt in die Stube. Und der Chef schaut mich dann noch komisch an. Aber war gut. Linguine Marinara mit Pilzen. Marinara, also Tomatensauce. Ne, so nicht.

Heute habe ich die 10000 geknackt. Ich ärgere mich ein wenig, dass ich kein Bild davon gemacht habe (ja, ich habs verpennt), aber 10010 habe ich. Gut. Langweilig. Mit meinem Bike in der Schweiz habe ich die 10000 gefeiert. War in Litauen. Viele Fotos. Geiler Moment. Nach zwei Jahren oder so. Jetzt drei Monate. Drei Monate. 10000 Kilometer. Schon krass. Und jetzt schon 10042. 10042 habe ich! Und da springt es mich an. 10042! Wie geil ist das denn! 42!!! Ja, so ist gut. Aber jetzt noch etwas mehr, ähm, Dings. Weil ohne Dings kein Bums.

Es geht bergauf. 1000 Höhenmeter. Tönt nach viel, schreckt mich ein wenig ab, aber es geht. Die ersten 400 Höhenmeter merke ich kaum, danach zieht es etwas an. Aber ich habe genug Akku, ich staune einfach einmal mehr wie man 3000 Höhenmeter an einem Tag ohne Unterstützung hinkriegt. Der Berg scheint ein Übungsplatz für Biker zu sein, so viele habe ich noch selten gesehen, auf guten Rennvelos. Fahren mir davon. Ne, also schon besser, aber doch nicht. Ne. Wenn ich ehrlich bin. Ganz schlecht.

Ich halte an. Toilettenpause. Letzte Tankstelle vor Pahrump, meinem Zielort. Dixieklos. Muss ich immerhin nichts kaufen. Und der Besuch lohnt sich. Endlich etwas zum Thema Wahlkampf… Ne, also bitte. Das ist ja widerlich. Wobei. Das ist das Leben.

Gut. Ein Vorteil, wenn es aufwärts geht ist es, dass es danach wieder abwärts geht. Wobei die Metapher aufs Leben bezogen natürlich genau andersrum lauten müsste. Und ja, es ist wirklich kühl geworden und ich ziehe erstmals (!) bewusst mehrere Schichten und die leichten Handschuhe an. Ich fahre vorsichtig und dennoch beginnt das Velo mal wieder schwammig zu werden. Ich verdamme mein Unglück, versuche mein Glück darin zu finden, dass ich wenigstens an einem guten Ort halten kann. Rad weg, Reifen weg – ne. Geht nicht. Habe ich noch nie erlebt. Der Reifen klebt. Ich bringe den Reifenheber nicht drunter. Die neue Felge. Was in aller Welt haben die gemacht? Mehrere Autos und ein Töfffahrer aus Kanada auf einer Ural-Seitenwagenmaschine (russisch, korrigiert er mich, nicht sowjetisch) halten an. Fragen, ob ich OK sei. Nett. Dem ersten sage ich nein, da ich ja den Reifen nicht abkriege und dann plötzlich hat er es eilig. Ich murkse, nehme das schwere Werkzeug und irgendwann schaffe ich es, den Reifen auf einer Seite zu lösen. Auf der anderen klebt er weiterhin. Keine Ahnung wie dieses Stück Metall es in meinen Schlauch geschafft hat. Das lag doch flach auf dem Boden? Nun, Plattengeschichten sind langweilig. Aber leider wars das nicht. Vielleicht hatte ich es vorher übersehen, vielleicht sind sie erst jetzt entstanden: Sprünge in der Felge. Ne, so nicht.

Ich muss direkter. Ich bin ein Glückspilz. Das Uber XL war nur 4 Minuten entfernt. Normalerweise fahren Uber wohl gar nicht so weit raus, kenne ich. Und so sitze ich wenige Minuten später in einem grossen Ford mit einem Vietnamveteranen als Fahrer. Er fährt gut. Viel Erfahrung. 72 Jahre alt, viele Kinder, Grosskinder, viele Geschichten. Sein Jüngster ist älter als ich, Kontakt hat er keinen mehr. Dazu hat er einen Idiot. Was wohl für einen geistig Behinderten steht, wie ich heraushöre. Der ein Kind gezeugt hat und jetzt als Shrimp Fischer nach Alaska will. Als ob er vergessen hätte, dass er ein Kind hat. Ein Leben ohne Kinder ist nicht immer einfach. Wirklich nicht. Auch nicht ohne Mutter der Kinder. Ehrlich. Wirklich nicht. Keine Illusion. Aber mit Kindern auch nicht. Und doch, das Leben ist schön. Schreibt mir heute ein Freund. Und ich merke erst zu spät, dass er sich damit gerade Mut macht. Ach Gott. So schon gar nicht.

Leider hört er nicht mehr so gut. Mein Uber-Fahrer. Navyschaden. Und redet undeutlich. Schade. Und er hat eine schwache Blase, die er beim Fahren entleert. Seltsam. Aber auch lustig. Ich versuche möglichst rasch eine Übernachtungsmöglichkeit zu finden – 600 Dollars im Minimum. Bis auf dieses Schmuckstück. Später erfahre ich, dass das Paar, das das Airbnb gebucht hatte, frühzeitig abgereist ist und es (also das Haus) deshalb heute kurzfristig zu haben war. Ich Glückspilz. Oder. Schon weird hier. Ne. Noch direkter.

Gut, dann halt so. Es ist aus. Vorbei. Vermutlich. Ich mag nicht mehr. Ich habe schon länger das Vertrauen in das Velo verloren. Spüre im Kopf immer nach, ob irgendwo ein Defekt sein könnte. Und ohne Vertrauen ist OK in einer Stadt. Aber uncool wirklich abgelegen. Und da, wo ich hinwollte, wäre es wirklich sehr abgelegen gewesen. Extrem cool abgelegen. Diverse Geisterstädte oder fast Geisterstädte. Richtig, richtig cool. Und damit meine ich. Richtig, also so, das möchte ich in meinem Leben schon erlebt haben cool. Löffelliste-cool. So, Aufwand ist zwar gross, aber haha, Aufwand. Dafür lohnt er sich! Area 51. Aliens. Ja. Kenne ich. Vollgeil. Habe mich sehr darauf gefreut. Extrem sehr. Sie wieder zu sehen. Ne, so richtig nur gefreut habe ich mich nicht. Fehlendes Vertrauen. Nicht mit diesem Velo. Kindervelo. Und so bin ich eigentlich froh, dass es, ja, dass es passiert ist. Ja, komm, es ist doch nicht so schwierig.

Gut. Die neue Felge ist gebrochen. Geborsten. Explodiert. Wenige hundert Meter nach dem Platten. ich hatte mich so gefreut als die in St. George eine Lösung gefunden hatten. Der Reifen war zwar sehr teuer, ich hatte aber geglaubt, dass er auch sehr gut ist. Hatte immerhin Platz für 12 Gänge, passte für mein Velo, war glaubhaft. Und vor allem: die hatten einen Reifen an Lager. Alle anderen Geschäfte im Ort nicht. Aber: war wohl doch ein Billigprodukt. Oder sonst was schief damit. Schon, dass der Pneu daran geklebt hat, irgendwas war da faul. Vermutlich habe ich die Felge beim Pneu abziehen kaputt gemacht, immerhin hielt er danach nur noch wenige hundert Meter, maximal Kilometer. Was natürlich nicht geschehen dürfte, zumal die Felge an mehreren Orten Sprünge zeigte. Tönt nach, keine Ahnung. Schon besser.

Ja. Das Abenteuer wäre grösser gewesen, wäre das in 200, in 300, in 500 Kilometern passiert. Oder so. So Abfahrt vom höchsten Pass. Yosemite. 100 Kilometer Tempo und dann Peng und dank meinem inzwischen schon bisschen lädierten Superhelm hätte ich es überlebt. Hoffentlich. Gut. Mit Schäden. Aber der Navy-Uber-Fahrer musste ja auch sein Gehör lassen. Oder auch ohne Schäden. Gute Geschichte. Bessere Geschichte. Aber ich habe ja keine Enkel, denen ich sie dann vor dem Kaminfeuer erzählen könnte. Schwerhörig. Oder mit Humpefuss. Sie damit langweilen könnte.

Und ich bin ja Warmduscher. Und so ist die Lage eigentlich phänomenal. Ich sitze im Garten eines wirklich seltsamen und gleichzeitig grossartigen Airbnbs, habe bereits eine Zusatznacht gebucht, damit ich einen Tag Zeit habe, um zu überlegen. Die Lage ist ernst, aber keineswegs hoffnungslos. Ne, so nicht. Ernst ist die Lage nicht. Hoffnungslos auch nicht. Von hier erreiche ich den Pazifik mit oder ohne Velo – es gibt Greyhound Busse, wo man Zusatzgepäck wie ein Faltvelo für Geld mitnehmen kann. Viele pro Tag. Also Busse, nicht Faltvelos. Nach Los Angeles. Und in Los Angeles gibt es Tern Händler. Bloss: wie ich ja erfahren habe, kann man Hinterräder nicht bestellen und dauert es locker 2 Wochen, um einen Reifen ohne Speichen zu erhalten. Also 2-3 Wochen, weiss nicht, ob ich mir das noch antun möchte, das Visum läuft ja keine lächerlichen 90 Tage mehr… Und Panama soll auch ganz schön schön sein. Löffelliste Minimum. Kindheitstraum. Janosch. Oder so. Schon besser.

Die Option Auto mieten ist leider grad etwas kompliziert – den internationalen Fahrausweis habe ich zwar dabei, aber den Nationalen finde ich beim besten Willen nicht. Und ohne den – ist auch der Internationale ungültig. Liegt wohl Zuhause. Lässt sich nachsenden, aber kompliziert. Und ich fahre wirklich nicht gerne Auto. Immerhin habe ich zwei Krankenkassenkärtchen, das eine abgelaufen. Hatte ich wohl für den Führerschein gehalten…

10042 Kilometer habe ich mit meinem Velo geschafft. 42. Der Sinn des Lebens. Das steht jetzt, aktuell auf dem Display. Es war nicht die Pyramide, es war das Schicksal. Ein Wink. Ich bin ein vollkommener Glückspilz. Gut. Wink wozu. Das werde ich nun herausfinden müssen. Neue Herausforderung. Aber das bedeutet doch, dass es gut kommt. Wo immer es auch hingeht. Es kommt gut. 42. Ja. So ist gut. Genau so. Und auf keinen Fall anders!

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