Ich habe die letzten zwei Nächte also tatsächlich an dem Ort verbracht, wo missbrauchte Buben und gefolterte Menschen lebten. In einem Saal gespiesen, wo ebendiese Mahlzeiten zu sich genommen, aber auch aufs Übelste verprügelt worden sind. All das ahnte ich schon, aber dank meiner Cola Zero Sucht weiss ich es nun auch.
Nach einem wiederum fabelhaften, aber etwas späten Frühstück (dieses ist erst ab 9 bereit), verlasse ich diesen mysteriösen Ort. Die Reception ist unbesetzt wie auch das Häuschen am Eingang des Geländes. Man muss Eintritt zahlen. Ich habe keine Ahnung, warum. Mit dem Velo komme ich problemlos raus und da der resorteigene Laden noch geschlossen hatte, entscheide ich mich im vielleicht einen Kilometer entfernten Imbiss kurz anzuhalten – und eine Dose Cola Zero zu kaufen. Der Ort war mir schon bei der Hinfahrt aufgefallen und ich hatte einen wirklich guten Hamburger-Italiano zu Mittag gegessen. Ich wunderte mich aber zugleich, dass ein Kilometer von der Villa Baviera entfernt ein deutscher Imbisswagen steht.
Auf den ersten Blick sind die Cola Zero aus. Klar. War ja schon zwei Tage zuvor hier. Aber es gibt Nachschub aus dem Kühler hinter dem Verkaufsstand. Der chilenische Herr versucht schnell Deutsch statt Spanisch zu sprechen und ich ergebe mich. Gebe mich zu erkennen. Was eine Kettenreaktion auslöst. Und kurze Zeit später sitze ich mit Notizbuch und Stift einem Herrn gegenüber, der in der Colonia Dignidad aufgewachsen ist und gerne erzählt. Gerne und gut. Und was er mir erzählt ist einfach nochmals zehnmal krasser, weil es so unmittelbar von einem Betroffenen kommt. Und ich viele Details erfahre, die mir bislang noch unklar gewesen sind. Ich komme darauf zurück. Nicht heute.
Dem Herrn gehört dieser Imbiss. Mit zwei Zielen: Geld zu verdienen, aber sicher auch ein Stachel im Fleisch der heutigen Villa Baviera zu sein. Beim Kampf geht es vor allem um die Ungerechtigkeit, dass die Erben der Führungsriege des Foltercamps nun das Gelände besitzen – und die damaligen Opfer und Sklavenarbeiter nichts oder fast nichts davon abkriegen. Darüber spreche ich danach auch noch mit dem Chilenen, der damals adoptiert worden ist und ebenfalls im Lager lebte. Adoptiert hiess natürlich: für tot erklärt und „entführt“. Diese Ungerechtigkeit treibt ihm fast Tränen in die Augen. Auch der deutsche Herr empfindet es (fast) als Schlimmer als das, was damals geschehen ist. Erstaunt mich, finde ich aber unglaublich spannend.
Nach dieser Stunde oder so bin ich etwas verwirrt. Der Deutsche hatte auf ein Auto gewartet, das ihn in die nächste Stadt bringt, weil sein Auto grad defekt ist. Also Autostopp. Und weil das nicht so richtig klappen will, wird mal herum telefoniert und es ergibt sich eine Fahrgelegenheit. Als diese kommt, wird es hektisch. Er schlägt mir eine Unterkunft in San Fabian vor, ein Ort, der sehr hübsch sein soll und etwa gleich weit weg ist wie mein Zielort. Und gibt mir seine Telefonnummer.
Einige Zeit später fahre ich von Fliegen verfolgt den Hügel rauf. OK. Ich schiebe. Bin mir unsicher, was ich machen soll. Vorsorglich habe ich das nächste Hotel abgesagt, da ich nicht weiss wie es jetzt weitergeht. Ev. San Fabian oder dann würde ich zurück nach San Carlos fahren. Das ist nahe genug, dass ich zurückkehren könnte. Denn er hat davon gesprochen, mich gerne durch die Colonia Dignidad zu führen. Das wäre unfassbar spannend. Ich rechne aber nicht so wirklich damit, dass er sich meldet. Was er aber tut. Und so sitze ich jetzt in dieser Cabaña in San Fabian. Nach dem schlimmsten Aufstieg der Fahrt genehmige ich mir ein Glace, was den Vorteil hat, dass danach ein Pickup an mir vorbeifährt, dessen Fahrer sich entscheidet, mich nicht in der grossen Hitze fahren zu lassen. Mein Velo auf der Ladefläche fahren wir innert weniger Minuten in den leicht touristischen Ort – allerdings ausschliesslich chilenische Touristen.
Ob das mit der Tour klappt, bin ich inzwischen nicht mehr so sicher. Heute war Sonntag, morgen muss er arbeiten. Ich bin aber flexibel und so warte ich ab, was nun geschieht. Ich habe keine Eile, mein Plan war es gewesen in die richtig schönen Landschaften Chiles vorzustossen, aber da hats halt auch viele Touristen und das hier find ich grad viel spannender. Und so ist mal wieder alles offen, aber seien wir ehrlich, das ist es ja, was das Reysen ausmacht. Fortsetzung folgt. Und: be relaxed!
Reyman, das ist wieder einmal nicht zu fassen…was für ein Jahresanfang!?! Bitte um zügige und umfassende Berichterstattung, finde es grad auch sehr spannend…!!!!