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Abenteuer

Was zählt, ist das Abenteuer. Möglicherweise ist es sogar die Essenz der Existenz. Aber Abenteuer zu erleben ist schwierig. Ich habe es ehrlich versucht. Aber meine Tage werden bereits wieder zur Routine, zum Alltag, zum Gegenstück des Abenteuers. So werde ich zurzeit jeden Morgen von der Sonne geweckt, so weit, so schön. Schwankend erhebe ich mich, setze mich an ein Fenster und lasse das Erwachen auf mich wirken. Das Sein wesen. Nach der nichtenden Nacht mich wieder in die Realität eintauchen und meine Existenz neu aufbauen. Das dauert seine Weile.

Danach mache ich mich jeden Morgen auf den Weg in die Küche, wo sich das Nest meines Küchenhuhns befindet und schaue, ob es schon wieder geworfen hat. Das tut es eigentlich zuverlässig jeden Morgen, wenn auch aus dem Geworfenen nichts So-Seiendes entsteht, sondern nur mein Frühstück. Dazu gibt es ein Stück Krokodilfleisch, das allerdings mangels eines Kühlschranks nicht mehr wirklich frisch wirkt. Es dünstet einen sehr eigenständigen Duft aus.

Nach dem Frühstück mache ich mich auf, um nachzuschauen, ob die Akkus über Nacht sauber geladen wurden. Da ich ja flussabwärts fahre, spielt das zum Glück keine allzu grosse Rolle. Dann lichte ich den Anker und es beginnt ein neuer Tag, der dem alten wie ein Ei dem anderen ähnelt. Nichts Spektakuläres, nichts wirklich Überraschendes, nichts Abenteuerliches. Ehrlich gesagt: ich bin ein wenig enttäuscht.

Intergalactic Airport auf Komoot

Nein, natürlich nicht. Natürlich treibe ich nicht auf dem Mississippi her. Ich treibe mich herum. Mit dem Velo. In Süddakota. Fahre und fahre und fahre und plötzlich fahre ich an einem „intergalaktischen Flughafen“ vorbei. Ehrlich. Ungelogen. So steht das in Komoot. Krasse Sache.

Das macht mich natürlich gleich neugierig und ich fahre hin. Sieht ziemlich unspektakulär aus. Eine Graspiste, die aber offensichtlich zu kurz ist, um Flugzeuge starten oder landen zu lassen. Also Flugzeug-Flugzeuge. Für andere Flugzeuge reicht es allemal. Ich fahre zum Schuppen, der am Ende der Landebahn steht, mache die Türe auf und – 72 Augen schauen mich gleichzeitig an. Das wäre jetzt nicht wirklich überraschend, wenn die 72 Augen nicht einfach einem einzigen Wesen gehören würden, das soeben aus einer fernen Galaxie, ach. Abenteuer. Warum erlebe ich nie Abenteuer? Ausser in meiner Fantasie?

Gut. Ganz so übel ist es nicht. Ich habe ja schon von Kavieng geschrieben. Boluminski Highway. Wie ich mich in Kavieng gelangweilt habe. Das war allerdings nur zwischen den Abenteuern. So habe ich in Kavieng ein Kanu gemietet, bin damit entlang einer Insel gerudert und habe dieses Boot aus dem Zweiten Weltkrieg entdeckt. Gut. Miniabenteuer. Wollte dann mit dem Kanu um die Insel herumfahren und habe mich entschieden: zu grosses Abenteuer. Wellen.

So bin ich auf einer Insel herumgewandert und habe diese fussballspielenden Kinder entdeckt. Und viele Einheimischen-Hütten und und und, bisschen Abenteuer. Oder habe auf einer anderen Insel jemanden angesprochen, der schickte mir dann seinen Sohn, der mir die Insel zeigte – mit ganz vielen Kanonen etc. aus dem Zweiten Weltkrieg. Und der Junge wollte nicht mal Geld. Miniabenteuer.

Oder auf dem Boluminski Highway. Ich mit Velo. Leute winken, Leute freuen sich. Ich bin schlapp, es hat einen Strand, ich fahre hin, am Strand hat es Kinder, die spielen, Kinder, die baden, Kinder, die fischen. Fotomotiv. Doch so wie sie eine Attraktion sind für mich, bin ich es auch für sie. Ein paar härtere Jungs kommen aus dem Dschungel hervor, mit langen Macheten und grimmigem Blick. Im Land, wo der Kannibalismus erst vor kurzem abgeschafft wurde und mancherorts weiterhin existieren soll. Aber zum Glück nicht hier. Schnell klettert einer auf eine Palme, „pflückt“ eine Kokosnuss, die dann mit der Machete stilgerecht geöffnet wird. Auch Fische werden gebraten, aber die sind wohl zu kostbar, ich darf nicht kosten. Schon ein wenig Abenteuer.

Gut. Oder die Geschichte mit der Entführung. Das Resort (ohne Spezialfee!) sieht sehr seriös aus, ich will noch eine weitere Nacht hier verbringen, mir wird aber kundgetan, dass voll. Obwohl kein Schwein hier ist. Seltsam. Später wird mir dann gesagt, dass sie noch Hütten auf einer anderen Insel hätten, ich könne dort übernachten. Ich sage zu. Am Abend werde ich dann tatsächlich mit einem Boot auf eine andere Insel gebracht, aber statt eine einsame Insel mit schönen Bungalows werde ich auf eine Insel gebracht, wo es Scheinwerfer und komische Leute hat. Auch die Wellblechhütte erinnert nicht an einen Bungalow.

OK. Das ist geflunkert. Die Hütten waren ganz OK. Einfach nicht annähernd wie im Resort. Das Bild zeigt zwar eine Hütte auf der Insel, aber halt irgendeine…

Und wozu ich auf einer einsamen Insel zwei bewaffnete Wachleute benötige leuchtet mir auch nicht ein. Ich werde leicht paranoid, schlafe schlecht, was soll das? Wurde ich entführt? Macht zwar keinen Sinn, aber keine Entführung auch nicht. Am nächsten Morgen habe ich immerhin einen Beistand gefunden. Einen Freund. Einen herzensguten. Der mich hier raushauen wird.

Ich spaziere dem Ufer entlang, sehe dass es übliche Hütten hat, nette Menschen, so weit, so gut. Scheint nicht ganz so übel zu sein. Aber klappt das dann mit der Abholung? Es klappt. War das ein Abenteuer? Ach, ach, ach, schon wieder vor allem in meinem Kopf.

Wozu denn noch verreisen, wenn die Abenteuer vor allem in meiner Fantasie geschehen? Vielleicht ist es das, was diese Reyse von anderen unterscheidet, Kavieng ist da nur ein Beispiel. Dort gab es viele Abenteuer und ich habe vor einigen Tagen dennoch darauf hingewiesen, dass mir langweilig war. Die Zeit zwischen den Abenteuern.

Hier ist es irgendwie umgekehrt. Das Velofahren füllt die Zeit, Langeweile kenne ich bislang kaum. Und es gibt auch immer wieder kleine Highlights. Vielleicht keine wirklichen Abenteuer, aber eine schöne Stimmung. Die Windräder. Ein Streifenhörnchen, das über den Weg huscht. Das Traktorziehen bei den Amish. Die Geisterstadt Gary. Das defekte Display. Ein lustiger Gedanke für einen Post. Ein Gespräch. Eine Beobachtung. Ein Gedanke. Musikhören im Regen. Keine wirklichen Abenteuer. Es hat sich ein Alltag eingeschlichen und ich geniesse die kleinen Dinge. Den Sonnenaufgang heute Morgen aus einer Art Kellerfenster meiner Absteige. Und es ist gut. Auch ohne Abenteuer.

Herr Buchstabensuppe, jetzt bin ich ein wenig konsterniert. Unsicher. Ist es wirklich das Abenteuer, das zählt? Was meinen Sie? Oder vielleicht klarer formuliert: was wäre denn ein Abenteuer? Hier in den Staaten, wo alles geregelt ist? Vielleicht ein Abenteuer, wie Sie es auf Island erlebt haben?

Wäre es ein Abenteuer an einer Insel und mit meiner Büchse auf ein Krokodil anzulegen? Eine Nacht den Anker nicht legen, äh setzen? Mit dem Risiko auf einer Insel aufzuschlagen und mein „Boot“ zu verlieren? Auf der Insel zu stranden und fortan statt zu reysen einfach zu seyn? Ich bin etwas ratlos, aber zum Glück habe ich ja Sie und freue mich schon auf Ihren Rat!

Hochachtungsvoll, Ihr R.

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Ein Gedanke zu „Abenteuer“

  1. Lieber Herr R.

    Haben Sie Dank für diese Zeilen, die mir wohl gefallen wollen. Es geht ums Erzählen. Es geht um Wahrheit und Erfindung. Als vor ein paar Tagen diese Mississippi-Geschichte gepostet haben, haben Sie mich überrascht. Auch heute wieder.
    Kürzlich flog ein Gedanke vorbei, der da sagte: Ist Ihr Bloggen, das akribische und wunderbare Beschreiben Ihrer Reyse, nicht am Ende auch EINE GROSSE ERZÄHLUNG? Ich denke schon, ja. Wir sind uns an die Unterscheidung gewöhnt, die wir vornehmen, wenn wir etwas als sachlich-informativ oder erfunden-unterhaltend bezeichnen. Diese Dichotomie scheint mir aber zu einfach, zu binomisch. Und da liegt, glaube ich, der Zauber Ihrer irren Bloggerey (nicht bös‘ gemeint) verborgen. Im Dazwischen.

    Dieser Moduswechsel neulich hat mich umgehauen. Jedoch kam er nicht unangekündigt. Mir fällt auf, dass Sie bei Ihren Einträgen (wir dürfen uns ja glücklich schätzen, dass es deren schon viele sind!) gerne mal in einen Möglichkeitssinn steigen. Das sind mitunter die spannendsten Beiträge.

    Um endlich auf Ihre Frage nach dem Abenteuer zu antworten: Meine erste Reaktion ist, das moderne Konzept Abenteuer als einen Trend abzukanzeln, entsprungen der hehren Absicht, etwas zu erleben, das wenig mit der eigenen Lebensumwelt zu tun hat. Lonely Planet, Massentourismus, Sie wissen, was ich meine.
    In meinem Studium kam ich in Kontakt mit dem Konzept der Aventiure. Zwischen dieser und jener Vorstellung von Abenteuer bestehen gewiss Parallelen, so zum Beispiel in der Vorstellung, dass Aventiure ja immer auch örtlich und zeitlich verankert ist. Vielleicht ist Ihnen, mîn herre, Bachtin ein Begriff, der diesen Topos genauer untersucht hat.

    Es bestehen noch weitere Parallelen, die gleichzeitig auch Unterschiede zutage fördern: So muss sich der Ritter/Held auf Aventiure begeben, weil er seine êre steigern möchte. Leicht finden sich hier Anküpfungspunkte zum modernen Leben. Zwar ist der Ehre-Konzept nicht direkt vergleichbar mit dem heutigen Verständnis von Ehre, aber es ist zuletzt die äusserliche Validierung, welche das eigene Handeln beeinflussen oder in Gang setzen. Damit möchte ich nicht sagen, dass Sie diese Reyse deswegen angetreten sind. Gleichwohl ist nicht streitbar, dass Sie sich auf Kavieng etwas verloren widergefunden und sich gefragt haben, was hier zu erleben (!) sei.

    Gingen Sie aus eigenen Stücken auf die lange und zehrende Reyse ans Ende der Welt oder war da noch was anderes? Die Vorstellung nämlich, dass das Abenteuer an diesem Ort auf Sie wartet. Um erlebt zu werden. Ich entsinne mich an die Idee, dass der Ort Aventiure immer auch etwas Zauberhaftes hat, was den Ritter anzieht. Die Sphäre der Aventiure hat auch immer andere Gesetzmässigkeiten, meistens mystische. Vielleicht liegt darin auch ein Wink auf unseren Ursprung. Oder aber die mitterhochdeutschen Artusromane machten das, was Menschen schon seit jeher taten: uns eine Geschichte erzählen. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie erfunden ist oder nicht. Es geht um Transzendenz, begleitet vom Nacherleben, das mit Emotionen belohnt wird.

    Jetzt ist nicht mehr weit, Sie, mîn herre, als ein Subjekt zu erkennen, dass von dieser (transzendentalen) Sphäre angezogen wird, weil Sie schliesslich erleben, sprich: fühlen, wollen.

    Ich hoffe, Sie mit diesen Zeilen gebührend unterhalten zu haben und empfehle mich.

    Ihr Herr Buchstabensuppe

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