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Tag 66 Helper

„Sie wissen: Der Mensch braucht 60 Tage, um sich an etwas zu gewöhnen.“ (Zitat Mr. Alphabetty)

Nach 60 Tagen war eigentlich eher ein wenig die Luft draussen. Mit der Überquerung der Rockies, mit dem Erreichen von Yellowstone hat es sich ein wenig so angefühlt, als ob ich das Ziel erreicht hätte. Und wie Sie wissen, täuschen uns Gefühle sehr oft. Vielleicht war ich aber auch einfach müde nach vielen vielen zum Teil sehr anstrengenden Kilometern entlang von viel befahrenen Highways. Wo östlich der Rockies Velofahrhimmel war, ist westlich nicht Velofahrhölle, aber eben nicht mehr Himmel. Erlebt habe ich aber auch diesseits der Rockies viel. Die Tage in Salt Lake City habe ich sehr genossen, vielleicht wars einfach etwas viel in diesen ersten 60 Tagen. Wenn ich in die Zukunft denke, bin ich dennoch auf jeden Fall froh, nicht schon in 24 Tagen (???!!!) weiterreisen zu müssen, da das ESTA-Visum abläuft, sondern noch weit über 100 Tage zur Verfügung zu haben. Vielleicht kann ichs auch so wenden: ich habe schon so viele solche Touren gemacht, einfach noch keine so lang und so intensiv. Was vielleicht das 60 Tage Erlebnis etwas verwirrt hat. Und ja, ich bin bereits wieder sehr motiviert, möchte es aber bewusst langsamer angehen. Bereits übermorgen habe ich wieder ein Hotel für 4 Nächte reserviert, für Moab ein Schnäppchen und ich überlege mir sogar, eine Nacht einfach all mein Zeug im Hotel zu lassen und mit weniger Gepäck zu zelten, sollte ich einen passenden Zeltplatz finden. Island in the sky zum Beispiel soll noch nett sein. Abenteuer. Neues. Muss schon auch sein 🙂

„Es stresst mich oft, wenn ich angesprochen werde“. (Zitat von bro, der Reyman zitiert)

Wie immer nehme ich meinen bro natürlich sehr ernst und habe mich heute a) ansprechen lassen und b) mich wohl über eine halbe Stunde mit einem passonierten Biker unterhalten. Ich weiss nicht mehr, in welchem Zusammenhang ich das gesagt habe, ich spreche kaum selber Leute an, aber versuche tatsächlich offen zu sein und habe so schon viel erlebt. Im Jetzt sein, ich versuche auf Reysen „ja“ zu sagen, auch wenn ich grad keine Lust habe, einfach weil sich daraus oft Spannendes ergibt. So bin ich immerhin zu einem Auftritt im transnistrischen Fernsehen gekommen und habe ich auch sonst schon viel erlebt… Aber das Quatschen mit Fremden fällt mir schwer und ich muss eingestehen: leider. Fahrtwind-Gedanken, tönt spannend. Sicher ein weiterer guter Buchtipp von bro! Und nur am Rande: Ladyfinger Zeltplatz war cool. Und doch zu wenig, um mich davon zu überzeugen in Zukunft Zeltplätze Hotels vorzuziehen. Aber schon schön. Schon nicht nichts. Schon auch mit Reizen. Schon auch, wir werden sehen 🙂

„Mein ganz grosses Glück bisher ist es, dass nichts Gravierendes passiert ist“. (Zitat von bro, der Reyman zitiert)

Es kommt darauf an, was man unter gravierend versteht. Ich meine damit wirklich Gravierendes. Kein Unfall. Aber auch keinen Unfall verursacht zu haben. In Äthiopien habe ich zeitweise alle paar Kilometer einen umgekippten Lastwagen gesehen oder andere Unfälle (was machen die unversicherten Fahrer bloss danach)? Mein Horror ist die Vorstellung, dass es einen Frontalcrash gibt, weil ich doof überholt werde. Oder irgend so etwas. Eine Krankheit irgendwie weniger, weil es wenig mit der Reyse zu tun hätte, auch wenn es diese beenden könnte. Und schon gar nicht zwei kaputte Speichen, das Umdrehen wegen des Waldbrands. Ich finde, es ist mir bislang sehr gut gelungen, die positiven Aspekte zu sehen und die negativen wegzuschieben. Zu viele Platten, was solls. Die defekten Speichen – war ein cooles Abenteuer wie ich in die nächste Stadt kam. Der Waldbrand – dann bin ich halt zurückgefahren. Und dass ich mich über die unflexiblen Hotels aufgeregt hatte war wohl eher ein Erhoffen von etwas Mitleid. War aber letztlich eh egal und schon bald habe ich realisiert, dass ich (als Marktwirtschaftler sowieso…) froh bin, dass die Zimmer relativ teuer waren. Denn sonst hätte ich so kurzfristig garantiert nichts mehr gefunden. Und der finanzielle Verlust geht eh unter im Rauschen der ganzen Reysekosten.

Es geht bei diesem Thema natürlich auch darum, Risiken einzugehen. Ich empfinde mich nicht wirklich als Abenteurer (… Herr B), eher als risikoavers. Und doch habe ich natürlich extrem viel erlebt bisher, sehr viel Positives, Schönes, Erstaunliches, Berührendes. John, mein Gesprächspartner von heute hat von „Baja“ geschwärmt. Mexiko. Als ich ihn auf die Gefährlichkeit von Mexiko angesprochen habe, hat er es kaum verstanden. Ja, Strassen sind gefährlich. Aber sonst? Die Narcos zielen nicht auf mich… Mich würde es extrem reizen, die Reyse von Kalifornien im Extremfall bis Panama weiterzuführen. Zu gefährlich? Könnte zu Gravierendes geschehen? Ich habe noch Zeit, mir das zu überlegen. Risikomanagement ist eh etwas Lustiges. Wir haben über gefährliche Bären gesprochen. Ich fragte dann mal, wie viele Opfer es wohl jährlich gebe. Er meinte: wohl so viele wie zwei Stunden Autoverkehr. Vermutlich sind es nur ein paar Minuten. Bären trifft man aber auch selten. Das gefährlichste Tier der Erde? Nicht der Hai, die Mücke. Aus der braucht man auch keinen Elefanten zu machen – die sind schon so tödlich genug.


Heute ging es erst bergauf. 1000 Höhenmeter so ungefähr. Zuerst Gegenwind, viel zu hoher Akkuverbrauch. Wie machen die das bloss ohne Akku. Fasziniert war ich dann bei der Abfahrt von Helper, wo ich auch John getroffen habe. Ein Städtchen, das vor einigen Jahren floriert hat, dann wurde die Kohlemine geschlossen und auch sonst ging es bergab. Seit einigen Jahren wird aber (vor allem von einer Person) wieder investiert. Viele Hotels und Motels sind geschlossen, aber es soll ein Neues eröffnen. Die Main Street ist am Sonntag ziemlich verwaist, aber es hat Galerien, Restaurants, Cafes, viele sehr hip, Museen, Kunst, wirklich faszinierend. Im Aufbruch.

Und für einen Ort im streng religiösen Utah mit viel Humor, wobei auch John garantiert Harris wählen wird und nicht Trump. Diese Hauswand ist mir am Eingang der Altstadt aufgefallen. Check out our brothels. Eine Anspielung an die Zeit des wilden Westens. In der Altstadt dann dieses Hotel.

Und wenn man genau hinschaut: mit Puppen, die aus dem Fenster schauen als ob es sich um Prostituierte handeln würde, die sich darbieten. In Zusammenhang mit der Wild West Vergangenheit in meinen Augen eine sehr gelungene Kunstinstallation – und Helper hat noch mehr zu bieten. Würde ich meiner Familie und meinen Freunden definitiv weiter empfehlen. Bloss fehlte hier die Umfrage…

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Ein Gedanke zu „Tag 66 Helper“

  1. Das kenne ich auch: Die Angst vor einem FrontalCrash, weil die Auto-bzw. Lastwagenfahrer doof überholen. Wobei ich komischerweise eigentlich nie Angst um mich selbst habe, sondern dass die 2 Fahrzeuge crashen, was dann auch für mich und meine sensible Seele natürlich trotzdem gravierend wäre.
    Das Gefühl der eigenen Unverwundbarkeit: wohl ein klassischer Fall von Selbstüberschätzung. Lässt sich aber ganz gut Leben damit…

    Also, weiterhin gute, sichere Fahrt und auf dass Dir nichts gravierendes passiert.
    Dein Bro (und Deine SUVA.)

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